Deutsches Herzzentrum gibt Individualsystem auf

Gesetzliche Änderungen erzwingen den Standard

18.11.2008 von Petra Winkler
Das Deutsche Herzzentrum Berlin steckt gerade mitten in der Umstellung seiner Individualsysteme auf eine Standardlösung samt Kommunikationsplattform. Von der technischen Seite gibt es bislang wenige Probleme, berichtet Reiner Petersen, der Leiter der Informationstechnik des Deutschen Herzzentrums Berlin (DHZB). Treiber für die neue Lösung waren vor allem wachsende regulatorische Anforderungen, etwa gesetzliche Änderungen im Zuge der Umstellung auf Fallpauschalen.
Reiner Petersen ist seit mehr als 30 Jahren in der IT. Seit mehr als 15 Jahren leitet der Diplom-Informatiker die Informationstechnik des Deutschen Herzzentrums Berlin (DHZB).

Herr Petersen, das Deutsche Herzzentrum Berlin DHZB ist gerade dabei, von einer eigen entwickelten Systemlandschaft auf Standardlösungen umzustellen - was ist der Grund dafür?

Unsere Individualsysteme sind historisch gewachsen. Als Spezialklinik für Herzchirurgie, Kardiologie und Kinderkardiologie ist das 1986 in Betrieb gegangene DHZB ein relativ junges Krankenhaus. Von Beginn an lag der Schwerpunkt des IT-Einsatzes weniger auf der administrativen und mehr auf der medizinischen Seite. Da es damals für unsere Ziele kaum Standardanwendungen gab, haben wir nach und nach sehr viele Systeme selbst entwickelt und eingefügt. Unser Ziel war, für die Hochleistungsmedizin mit allen klinischen Prozessen eine entsprechende IT-Unterstützung aufzubauen. Bei uns sind sehr viele Geräte angeschlossen, angefangen mit EKG und Ultraschall in der Kardiologie über aufwändige bildgebende Verfahren in der Radiologie bis zur Beatmung und dem Monitoring in der Intensivmedizin.

Die IT-Funktionen für Verwaltung und Abrechnung waren also von geringerer Priorität?

Ja, der Ausgangspunkt für unser System war weniger auf Abrechnung ausgerichtet. Zu der Zeit waren die meisten Krankenhausinformationssysteme für die Verwaltung und die Kosteneinziehung gebaut, erst später kam die Erweiterung um medizinische Daten. Bei uns verlief die Entwicklung eher umgekehrt: wir haben ein medizinisch orientiertes System geschaffen, das um zusätzliche Funktionen für die Betriebswirtschaft erweitert wurde.

Was hat sich geändert, warum nun der Wechsel?

Mit unseren Individualsystemen wurde es zunehmend schwierig, Schritt zu halten mit den permanenten gesetzlichen Änderungen. Das wurde deutlich spürbar, als die Abrechnung über Fallpauschalen eingeführt wurde. Unsere Systemlandschaft an die regelmäßigen Aktualisierungen des DRG-Systems und die weiteren ständig wachsenden Anforderungen des regulatorischen Umfelds anzupassen, wurde zu einem zeitintensiven Faktor. Hinzu kamen weitere Aspekte wie die elektronische Gesundheitskarte, die weitere Anbindung an Netzwerke und Portale - in der Nachbehandlung unserer Patienten arbeiten wir beispielsweise mit dem Paulinen-Krankenhaus in Berlin zusammen, was jetzt schon einen intensiven Datenaustausch erforderlich macht.

Kurz und gut: die Anforderungen waren enorm gewachsen und es war einfach unrentabel geworden, alle Änderungen für nur ein System, nämlich unseres, einzupflegen. Und so entschieden wir uns für eine neue Lösung.

Wie sieht diese Lösung aus?

Unsere historisch gewachsene Infrastruktur umfasst bereits einige Standardsysteme, zum Beispiel für die Dokumentation auf der Intensivstation. Insgesamt sind für Medizin und Verwaltung über 50 Systeme im Einsatz, die über einen Kommunikationsserver zusammenarbeiten. In einem ersten Schritt sollte dieser abgelöst und zu einem EAI-System (Enterprise Application Integration) erweitert werden. Ein zentrales Kriterium war dabei für uns, dass der neue Server den HL7-Standard (Health Level 7) unterstützt, was leider nicht bei allen der Fall ist. Nach gründlicher Marktanalyse haben wir uns entschieden, auf Ensemble von Intersystems umzustellen. Unter anderem auch, weil es als "proof of concept" schon seit längerer Zeit im Einsatz war. Der Wechsel hier verlief absolut reibungslos. Wir hatten die Schnittstellen der alten Systeme nachgebaut, das lief über Ensemble im Parallelbetrieb, und der Vergleich der Ergebnisse zeigte keine Abweichungen. Seit September ist die Umstellung vollzogen und es hat bislang keinerlei Probleme gegeben.

Was ist mit dem Wechsel des KIS-Systems?

Für das neue Krankenhausinformationssystem hatten wir den Markt ebenfalls länger beobachtet und haben uns dann nach einer ersten Auswahlrunde und der eigentlichen Ausschreibung für MedFolio von Nexus entschieden. Mit MedFolio sind wir gerade mitten in der Implementierung, das soll zum 1. Januar in Betrieb gehen. Lediglich die Übernahme der Altdaten aus den letzten 20 Jahren erfolgt später, also Dokumente einschließlich Befundberichte, Arztbriefe, etc. werden sukzessive in das neue Archiv übertragen.

Wie ist hier der Stand der Dinge? Müssen Sie noch mit Schwierigkeiten oder Problemen rechnen?

Ja, hier könnten durchaus Probleme auftauchen - aber wir erwarten weniger Probleme technischer Art, eher organisatorischer und psychologischer Art.

Wie das?

Insgesamt - mit Ärzten, Pflegekräften und Verwaltungspersonal - haben wir mehr als 1.000 Mitarbeiter, die alle bis Weihnachten geschult werden müssen. Hier beginnen die Schwierigkeiten, für jeden Einzelnen einen Schulungstermin zu finden, immerhin sind die Dienstpläne bereits Wochen im voraus fixiert. Es bringt aber auch nichts, die Leute zu lange vorher zu schulen, weil dann bis zum Start zu viel des erlernten Wissens wieder verloren geht.

Nich jeder will ein neues System …

Natürlich ist die nächste Frage die Akzeptanz des neuen Systems bei den Mitarbeitern. Für die Anwender ist es ja auch eine Umstellung und nicht jeder ist gleich begeistert von dem neuen System. Und selbst wenn in Testläufen bei Einzelanwendungen alles funktioniert, ist noch nicht sicher, dass auch im Zusammenspiel alles reibungslos klappt. Was passiert, wenn dann im Praxisbetrieb etwas nicht funktioniert, beispielsweise der Ausdruck eines Dokuments? Wie wird der betreffende Mitarbeiter reagieren, wie wird er mit solchen Hindernissen umgehen? Das sind die eigentlichen Schwierigkeiten, die ich sehe. Denn technische Probleme und Fehlermeldungen lassen sich beheben. Bei den "weichen Faktoren" ist das unsicher.

Ändert sich für die Mitarbeiter denn so viel?

Ja, denn die Arbeitsprozesse müssen der neuen Anwendung angepasst werden. Bisher war unser Individual-KIS nach den eigenen Prozessen ausgerichtet und unsere Mitarbeiter sind an diese Abläufe gewöhnt. Da aber unser neues Krankenhausinformationssystem an anderen Standards ausgerichtet ist, stimmen nun die klinikeigenen Abläufe und die Software-Prozesse nicht mehr überein. Um aber den Pflegeaufwand für die Software zum Beispiel bei Updates minimal zu halten, müssen sich jetzt manche Klinik-Prozesse der IT anpassen - und das erzeugt durchaus Reibungen.

Wie begegnen Sie diesen Schwierigkeiten, was tun Sie für die notwendige Akzeptanz bei den Mitarbeitern?

Zum einen erleben wir eine gute Begleitung durch den Software-Hersteller, in den ersten Tagen nach der Umstellung wird es genug Fachleute vor Ort geben, um bei Problemen schnell zu reagieren.

Und zum anderen haben wir intern viel vorbereitet. Ganz am Anfang haben wir hausintern eine eintägige "IT-Messe" für die Mitarbeiter veranstaltet, mit Präsentationen und mit Stellwänden, wo sich alle informieren konnten. Zudem berichten wir über das Intranet kontinuierlich über den Stand der Entwicklung.

Die Schulungen laufen durch ein eigenes Schulungsteam, und zwar für Ärzte, Pflegekräfte und Verwaltungsmitarbeiter jeweils in einer eigenen Gruppe. Und damit die Akzeptanz später möglichst hoch ist, haben wir bereits während der Konfigurationsphase Anwender miteinbezogen, so genannte Key User ausgewählt und diese gesondert geschult, damit sie später in der Live-Phase die erste Anlaufstelle für die anderen Anwender sein können. Mit diesen Maßnahmen können wir die Mitarbeiter hoffentlich dafür gewinnen, an unserem Strang mitzuziehen.