Tipps

Gewalt am Arbeitsplatz vermeiden

10.04.2018 von Dr. Kerstin Neighbour
Pöbeleien, Bedrohungen, Handgreiflichkeiten: Gewaltausbrüche am Arbeitsplatz sind ein wachsendes Problem. Wie Unternehmen Übergriffe wirksam sanktionieren und präventiv einschreiten können.
Gewalt am Arbeitsplatz: In der modernen Arbeitswelt reagieren viele Mitarbeiter zunehmend reizbarer.
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Der Arbeitsplatz wird häufig zum gefährlichen Gewaltherd. Dies zeigen viele Gerichtsfälle der jüngeren Vergangenheit. Kontrahenten attackieren sich mit kiloschweren Katalogen, Motorradhelmen, Knallkörpern oder kochendem Wasser. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Fälle, in denen Arbeitnehmer ihren Kollegen oder Vorgesetzten drohen, sie schwer zu verletzen oder sogar zu töten.

Streit kann leicht eskalieren

In der modernen Arbeitswelt reagieren viele Mitarbeiter offenbar zunehmend reizbarer. Immer mehr Konflikte entladen sich in verbaler oder körperlicher Gewalt. Die Gründe für diese Entwicklung sind vielschichtig. Neben einer wachsenden Arbeitsbelastung und zunehmendem Termindruck ist oft eine unzureichende Kommunikations- und Konfliktkultur ursächlich.

Der Umgang mit Gewalt am Arbeitsplatz wird zu einer dringlichen Management-Aufgabe. Mit den richtigen Maßnahmen lassen sich viele Gewaltausbrüche verhindern oder eindämmen. Ungelöste Konflikte zwischen Kollegen oder mit Vorgesetzten kommen Unternehmen teuer zu stehen. Betroffene reagieren oft mit einer "inneren Kündigung" und stecken mit ihrer Unlust noch die Kollegen an.

Welches Sanktionsmittel ist angemessen?

Entladen sich schwelende Konflikte in Gewalt, ist der Schaden noch ungleich größer. Schnell sind das soziale Gefüge und die Produktivität ganzer Unternehmensbereiche nachhaltig beschädigt. Kommt es zu Gewalt am Arbeitsplatz, sollten Vorgesetzte zügig und konsequent, aber nicht überstürzt reagieren. Alle arbeitsrechtlichen Sanktionen wollen gut überlegt sein. Der Arbeitgeber trägt in einem Kündigungsschutzprozess die Beweislast und muss seine Entscheidung rechtfertigen. Wer unbedacht eine Kündigung ausspricht, riskiert langwierige

Kündigungsschutzprozesse mit ungewissem Ausgang. Die Crux: Zwar können Gewaltausbrüche an sich eine Kündigung rechtfertigen, doch entscheiden letztlich immer die individuellen Umstände. Deshalb empfiehlt sich bei Eskalationen ein systematisches Vorgehen in enger Abstimmung mit Betriebsrat und Personalabteilung (siehe Kasten unten "Bei Gewaltausbrüchen richtig vorgehen").

Konflikte zwischen Mitarbeitern moderieren
Konflikte zwischen Mitarbeitern moderieren
Wo Leute zusammenarbeiten, bleiben Konflikte nicht aus. Wie sich Führungskräfte dabei verhalten sollten, erfahren Sie hier:
1. Schritt: Das Ziel klären
Erklären Sie den Konfliktparteien, worum es bei der Konfliktmoderation geht: um ein Lösen des Konflikts. Jedoch nicht in der Form, dass wie in einer Therapie alle Emotionen und Erfahrungen in der Vergangenheit aufgearbeitet werden; auch nicht in der Form, dass wie in Betrieben oft üblich, der Konflikt ignoriert oder durch formale Regelungen zugedeckt wird. Nein, die Arbeitsbeziehung soll neu ausgehandelt und so geregelt werden, dass beide Mitarbeiter gut damit leben und ihren Job besser machen können. Dabei lautet die Maxime: Kein Beteiligter muss einer Lösung zustimmen, die ihn zum Verlierer macht.
2. Schritt: Regeln festlegen
Definieren Sie mit den Konfliktpartnern Regeln für die Moderation. Zum Beispiel:<br><br> - Beide stellen Forderungen an das Verhalten des jeweils anderen.<br> - Diese werden nach dem Prinzip "Geben und Nehmen" ausgehandelt.<br> - Die Absprachen werden schriftlich fixiert.<br><br>Vereinbaren Sie mit den Konfliktpartnern auch, worüber Vertraulichkeit gewahrt und worüber mit Dritten gesprochen werden darf. Klären Sie zudem Ihre Aufgaben als Moderator.
3. Schritt: Wünsche und die dahinterstehenden Bedürfnisse sammeln
Sind die Formalien geklärt, können Sie die Beteiligten zum Beispiel bitten, auf einem Formblatt folgende Fragen zu beantworten: <br><br> "Es würde mir helfen, effektiver zu arbeiten, wenn Sie folgendes häufiger/anders tun würden: .... weil…" <br> "Es würde mir helfen, effektiver zu arbeiten, wenn Sie folgendes seltener/nicht mehr tun würden: ....weil…" <br> "Behalten Sie folgende Aktivitäten bei, die mir helfen, effektiv zu arbeiten: ...."
4. Schritt: Verständnis klären
Die ausgefüllten Formblätter können Sie entweder kopieren oder so aufhängen, dass sie jeder lesen kann. Bitten Sie die Konfliktpartner, die Forderungen/Wünsche des jeweils anderen mit eigenen Worten laut zu formulieren. "Sie wollen, dass ich ..." Der andere soll die Aussage entweder bestätigen oder korrigieren. Bitten Sie als Moderator sofern nötig, um Beispiele für das gewünschte Verhalten, um das Verständnis sicherzustellen.
5. Schritt: gemeinsam Lösungen suchen
Hier ist das Brainstorming die Technik der Wahl, denn sie ermöglicht es allen Beteiligten, optimal zur Lösung beizutragen. Zudem sollte das Suchen und Sammeln der möglichen Elemente einer Lösung frei von (vorschnellen) Bewertungen erfolgen.
6. Lösungen bewerten und aushandeln
Nach dem Sammeln können beide Konfliktparteien anhand ihrer Forderungen die Lösungsvorschläge markieren, die ihnen am ehesten geeignet erscheinen. Bitten Sie die Konfliktparteien anschließend, sich wechselseitig Angebote zu machen.
7. Schritt: Absprachen treffen und Protokoll erstellen
Notieren Sie alle getroffenen Absprachen. Dass beim Aushandeln der künftigen Arbeitsbeziehung auch mal die Emotionen hochkochen und schmerzhafte Erlebnisse aus der Vergangenheit geschildert werden, ist denkbar. Das sollten Sie zulassen, damit der Druck aus dem Kessel weicht. Dabei müssen Sie aber Fingerspitzengefühl zeigen und darauf achten, dass sich kein Druck aufbaut.
8. Schritt: Abschließen und Folgetermin vereinbaren
Die bei Konfliktmoderationen getroffenen Vereinbarungen erscheinen Außenstehenden oft unbedeutend. Für die Beteiligten sind sie aber wichtig, weil Emotionen daran hängen. Folglich muss die Umsetzung der Abmachungen auch nachhaltig sichergestellt werden, damit alte Wunden nicht erneut aufgerissen werden. Vereinbart werden sollte auch, was geschieht, wenn Absprachen nicht eingehalten werden.

Bevor Arbeitgeber eine Kündigung aussprechen, müssen sie auch weniger einschneidende Sanktionsmittel in Erwägung ziehen. Die mildeste Maßnahme ist die Ermahnung als Vorstufe zur Abmahnung. Damit missbilligen Arbeitgeber vertragswidriges Verhalten, verzichten aber auf arbeitsrechtliche Konsequenzen. Eine Ermahnung kommt bei einem einmaligen leichten Fehlverhalten von verdienten Kräften in Betracht. Bei wiederholten oder schweren Übergriffen sollten Arbeitgeber eine Abmahnung aussprechen.

Damit dokumentieren sie den Sachverhalt und sprechen eine klare Warnung aus. Im Wiederholungsfall müssen Täter mit einer Kündigung rechnen. Bei erneuten Übergriffen nach einer vorausgegangenen Abmahnung ist eine ordentliche Kündigung möglich. Bei sehr gravierenden Übergriffen, die den Betriebsfrieden gefährden, dürfen Chefs auch zum stärksten aller Sanktionsmittel greifen und sofort eine fristlose Kündigung aussprechen.

Übergriffe von vorneherein vermeiden

Viele Aggressionen lassen sich vermeiden oder deutlich entschärfen, wenn Vorgesetzte ein Gespür für drohende Konflikte entwickeln. Die Führungsriege sollte Kontrahenten frühzeitig zu einer Aussprache mit einem neutralen Dritten zusammenführen. Ansonsten entwickeln Konflikte schnell eine Eigendynamik, die kaum mehr zu kontrollieren ist.

Vorgesetzte sollten ein respektvolles Miteinander vorleben und fördern. Hilfreich sind allgemeine Regeln für die kollegiale Zusammenarbeit in Form einer Arbeitsordnung oder eines Verhaltenskodex. Idealerweise entwickeln Geschäftsführung, Betriebsrat und Belegschaft die Leitlinien gemeinsam. So finden die Regeln breite Akzeptanz und helfen, Konflikte zu entschärfen, bevor sie eskalieren.

Bei Gewaltausbrüchen richtig vorgehen

1. Vorgang aufklären: Nicht immer ist die Schuldfrage eindeutig. Klarheit verschafft eine sorgfältige Aufklärung. Wer hat was genau gesagt oder getan? Gibt es eine "Vorgeschichte" oder ging dem Übergriff eine Provokation voraus? Hat der Täter sich im Nachhinein entschuldigt?

2. Beweise sammeln: Beteiligte schildern den Hergang oft unterschiedlich. Der Arbeitgeber sollte Beweise einholen und protokollieren. Decken oder widersprechen sich die Aussagen von Zeugen? Sind die Schilderungen realistisch? Gibt es Videoaufnahmen und können diese vor Gericht als Beweismittel dienen?

3. Sanktionen abwägen: Arbeitgeber sollte nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen, sondern Sanktionsmittel mit Bedacht auswählen. Bei einer Kündigungsschutzklage müssen sie sich vor Gericht rechtfertigen. Richter hinterfragen, ob die Sanktionen angemessen und nicht überzogen sind. Sicherheitshalber sollten Firmen vorab rechtlichen Rat einholen.