Meinung

Haltloses Marketing

06.02.2004 von Patrick Goltzsch
Mit ihren Marketing-Kampagnen mutet die Software-Industrie ihrer Klientel des öfteren Einiges zu. Aber müssen Anbieter gleich am gesunden Menschenverstand ihrer Zielgruppe zweifeln?

Die amerikanische Software-Firma Port80 verkauft Zusatzsoftware für den Microsoft Webserver IIS. Ende letzten Jahr trat das Unternehmen zum ersten Mal mit der Behauptung an die Öffentlichkeit, die wichtigsten Webserver, nämlich die der amerikanischen Fortune 1.000, würden überwiegend auf Software von Microsoft beruhen.

Nun hat das Unternehmen nachgelegt und droht eine monatliche Statistik jener 1.000 Anbieter an, die weltweit die meisten Besucher anziehen. Bei der Messung der Besucherströme vertraue das Unternehmen auf die Zahlen von Nielsen Netratings vom Oktober des vergangenen Jahres, heißt es im Begleittext der ersten Auswertung. Das Ergebnis fällt, wenn auch knapp, zu Gunsten Microsofts aus: 43,1 Prozent der Unternehmen setzen auf den IIS, 39,7 Prozent vertrauen auf den Open Source Server Apache.

In der Liste von Port80 sticht die seltsam eingeschränkte Definition von "weltweit" als erstes hervor. Unter den ausgewiesenen tausend Sites verweisen ganze acht über ihre Domain auf England, eine auf Frankreich und eine auf Spanien. 822 entfallen auf die Domain ".com", der Rest auf andere, wie ".net" oder ".org". Deutschland taucht in dieser Übersicht gar nicht erst auf, obwohl T-Online in der Port80-Statistik gleich auf Platz 20 landen würde.

Möglicherweise wirken europäische Anbieter auf Port80 schlicht unheimlich. Unter den ausgewiesenen zehn Sites setzt einzig und allein die englische Zeitung "Independent" auf den IIS von Microsoft. Zwei verwenden Netscape, der Rest Apache.

Noch schlimmer sieht die Situation in Deutschland aus. Von den zwölf Anbietern, deren Server im Oktober letzten Jahres nach Zahlen der IVW (Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V.) mehr als 100 Millionen Seiten auslieferten, taucht der IIS nur beim Microsoft-Ableger MSN auf. T-Online und AOL weisen Unix als Betriebssystem aus, der Rest, vom Automarkt Mobile.de über den Fachverlag Heise bis zum Sex-Blättchen Coupé, setzt explizit die freie Software ein.

Eine andere Erklärung für die beschränkte Weltsicht von Port80 wäre, dass die europäischen Anbieter schon den guten Rat der Firma befolgt haben und ihren Webserver einen anderen Hersteller ausweisen lassen: "Warum jemanden herausfinden lassen, dass sie den Microsoft IIS Server betreiben? Führen sie potenzielle Hacker nicht in Versuchung!"

Dubiose Zahlen und kontraproduktive Sprüche - selten genug dürfte eine Marketing-Kampagne die Entscheidung so leicht machen.