Praxishandbuch "IT im Gesundheitswesen"

Healthcare-IT für Anfänger

02.06.2009 von Hartmut  Wiehr
Bücher, die sich ausführlich mit Healthcare IT befassen, sind rar gesät. Umso begrüßenswerter ist es, dass der Hanser Verlag nun ein Kompendium zur "IT im Gesundheitswesen" herausgebracht hat. Doch ist das Buch insgesamt weniger für Praktiker als für Einsteiger in die Materie geeignet, denen ein erster Überblick geboten wird.

Der Verlag begründet das Erscheinen des Werks wie folgt: "Die Informationstechnologie hat längst auch das Gesundheitswesen durchdrungen. Die meisten medizinischen Geräte enthalten einen (wesentlichen) Anteil Software, und viele Prozesse im Gesundheitswesen werden durch IT gestützt." Wer den Herausforderungen des Gesundheitswesens erfolgreich begegnen wolle, müsse daher sowohl die IT als auch das Gesundheitswesen und seine besonderen Anforderungen gut kennen.

Praxishandbuch IT im Gesundheitswesen. Herausgeber: Christian Johner und Peter Haas, Hanser Verlag

Aus den genannten Gründen befasst sich auch die Ausbildung an den Universitäten und Fachhochschulen im Fach Wirtschaftsinformatik mit dem Thema IT im Gesundheitswesen, so wie andere Branchen Stoff für das Spannungsverhältnis von Wirtschaft und IT abgeben. Was lag also näher, als sich an den Unis umzusehen und einige Spezialisten aus dem Gebiet IT im Gesundheitswesen zu Wort kommen zu lassen. Die beiden Herausgeber Christian Johner und Peter Haas sind Professoren mit dem Spezialgebiet Medizin und Informatik, und die meisten Autoren des Buches arbeiten an ihren Instituten.

Der Aufbau des Buches deckt viele Bereiche von Healthcare IT in Deutschland ab und orientiert sich stark an den Studiengängen. Die Gliederung ist allerdings nur schwer nachzuvollziehen, beziehungsweise zu sehr am Unibetrieb ausgerichtet. So widmen sich gleich die ersten beiden Kapitel der Software-Entwicklung und der Integration von IT-Systemen, während es danach bei "BWL und Management" noch grundsätzlicher wird. Es ist nicht einzusehen, warum sich die Zielgruppe der "Fach- und Führungskräfte" (Verlagsinformation) noch einmal mit ein paar Brocken Rechnungswesen oder Prozessmanagement abgeben soll. Ein paar Kapitel weiter folgt eine Darstellung über das Controlling im Gesundheitswesen (Kapitel 7), und noch weiter hinten ein weiteres über IT-Controlling und IT-Kennzahlen (Kapitel 21) - von einer logisch aufgebauten Gliederung ist hier nicht viel zu merken.

Hier und an weiteren Stellen des Bandes merkt man sehr deutlich, dass sich die Herausgeber einfach an existierenden Skripten aus ihren Universitäten bedient haben. Der akademische, letztlich praxisferne Charakter des Werkes ist auch daran zu merken, dass sich wiederholt der Duktus von Uni-Papieren feststellen lässt, in denen sich Arbeitsanforderungen wie "Untersuchen Sie …" (Seite 94) oder "Diskutieren Sie im Rahmen des Workshops …" (Seite 97) finden. Das Lektorat hätte hier mehr eingreifen müssen.

Vieles bleibt im Grundsätzlichen oder im Stoff von Proseminaren stecken. So widmet sich der ganze Teil VII des Buches dem Thema "Kommunizieren und Führen" mit so allgemeinen Ausführungen wie "Menschen mögen" oder "Demotivation vermeiden". Es wäre sinnvoller gewesen, hier mehr auf die typischen Besonderheiten des Gesundheitswesens einzugehen. Die Herausgeber sprechen selbst von der Notwendigkeit, den "Wertschöpfungsbeitrag der IT im Gesundheitswesen" zu verstehen: "Der IT-Leiter, der in einer Bank hervorragende Dienste geleistet hat, wird nicht notwendigerweise auch ein ausgezeichneter IT-Leiter eines Krankenhauses sein oder es nur dann werden, wenn er schnell die Spezifika des Gesundheitswesens versteht." Doch dieser Anspruch wird nur teilweise eingelöst.

Vor allem für Studenten und Berufsanfänger geeignet


Erst nach über 100 Seiten geht es richtig mit dem Thema los: Das Kapitel "Basisinformationen zum Gesundheitswesen" stellt zunächst die Akteure im deutschen Gesundheitswesen vor - Politik und staatliche Institutionen, Selbstverwaltung, gesetzliche und private Krankenkassen, Vertragsärzte und kassenärztliche Vereinigungen sowie Krankenhäuser und Krankenhausgesellschaften. Dies verschafft einen Überblick, wobei jedoch weitere wichtige Player wie die Hersteller von IT- und medizinischen Geräten sowie ihre Interessensverbände keine Erwähnung finden. Dies erstaunt etwas, war doch Herausgeber Johner selbst in der Industrie bei Fresenius Mediacal Care beschäftigt. Alle Hersteller in und um Healthcare IT herum wissen, welche Beträge aus den zahlreichen staatlichen Fonds im Gesundheitswesen jedes Jahr zu verteilen beziehungsweise zu erobern sind - ein wesentlicher Motor, warum sich so viele Anbieter auf diesem Sektor tummeln, den die Herausgeber sogar als den "größten Wirtschaftszweig Deutschlands" bezeichnen.

Informativ sind die Beiträge über medizinische Dokumentation und Kommunikation sowie über Informationssysteme und Bildverarbeitung, die in der Praxis der Krankenhäuser eine immer bedeutendere Rolle spielen.

Die Gesundheitssysteme in den verschiedenen Ländern sind stark von nationalen Entwicklungen und Institutionen geprägt. Um so wünschenswerter wäre es gewesen, auch eine geraffte Darstellung der wesentlichen Unterschiede zwischen den deutschsprachigen Ländern Deutschland, Österreich und Schweiz mit aufzunehmen. Gerade im Vergleich ließen sich die Besonderheiten des Healthcare-Systems hierzulande besser verstehen.

Leider finden sich auch keine ungefilterten Best-Practices-Berichte in dem Buch, die gerade für Einsteiger sehr lehrreich sein könnten. Hier wäre eine echte Marktlücke zu schließen gewesen, da es gemeinhin fast nur Anwenderberichte aus Hersteller- beziehungsweise Marketinghand gibt.

Ebenso fehlt eine gründliche Auseinandersetzung mit einem aktuellen Thema wie der elektronischen Gesundheitskarte. Der Leser erfährt lediglich, dass die Karte mit den digitalen Patientendaten beschlossene Sache ist, aber von den heftigen, interessengesteuerten Debatten und Verzögerungen bei ihrer Einführung ist nicht die Rede.