WERKSTATTBERICHT VOICE OVER IP

Heraus kamen Sprachschnipsel

03.12.2005 von Andreas Schmitz
Trotz eines bis zuletzt optimistischen IT-Infrastruktur-Chefs hat die Papierfabrik August Koehler den Plan auf Eis gelegt, künftig über das Internet zu telefonieren. Neun Monate lang laborierten Techniker der T-Systems vergeblich an der Software „Netphone“ herum.

Vor einem Jahr war Alexander Fischer fest davon überzeugt, Referenzkunde der Telekom in Sachen Voice over IP zu werden – also für das unternehmensweite Telefonieren über das Internet. Drei Monate lang schickte die Telekom täglich drei bis fünf Mitarbeiter zur Firmenzentrale nach Oberkirch, drei Koehler-Mitarbeiter kamen hinzu, um testweise lediglich vier Telefone mit Hilfe der Software Netphone zusammenzuschalten. „Bis zum Schluss war die Übertragungsqualität schlecht“, sagt der Leiter der IT-Infrastruktur bei Koehler Papier Fischer, der das Projekt daraufhin abbrach.

Dabei nutzen schon heute nach Angaben des Beratungshauses Deloitte etwa 500000 Kunden in Deutschland regelmäßig die Internetvariante des Telefonierens und verfügen über entsprechende Hard- und Software. Zwölf Prozent der Gespräche ins Ausland wickelten sie über das Internet ab, jedes siebte Unternehmen soll nach Deloitte-Angaben bereits Voice over IP nutzen. Die Vorteile gegenüber herkömmlichen Telefonanlagen sind laut Marktforscher Berlecon Research schnell genannt: technische Überlegenheit, effiziente Integration von Sprach- und Datennetzen mit Kostenvorteilen, geringere Kosten für externe Telefonate durch Internettelefonie, Telefonate zwischen Unternehmensstandorten über bestehende Datenleitungen und ein Plus an Flexibilität und Erreichbarkeit der Mitarbeiter. Auch die Software Netphone von Mediastreams schien keine schlechte Wahl zu sein. Softwaregigant Microsoft kaufte unlängst Mediastreams.com – und nutzt die Patente künftig für seine Plattform.

Maschinenpark ließ sich nicht einbinden

Nicht immer erschließen sich diese theoretischen Vorteile automatisch. Koehler-Mann Fischer hatte die Vision, im ganzen Unternehmen Telefone durch Headsets zu ersetzen und die Wählscheibe nur noch auf dem Bildschirm zu haben. Es falle keine Wartung von Telefonanlagen mehr an. Zudem seien Mitarbeiter überall erreichbar, schon wenn sie ihren Laptop am Wireless-LAN-Firmennetz andocken.

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Dass es nicht so kam, hat zunächst mit einer Besonderheit der August Koehler AG zu tun. Als Hersteller von Papier ist die Steuerung der Produktionen ein sehr wichtiger Prozess. Die Produktion wird mit analogen Modemanschlüssen von den Herstellern per Fernwartung überwacht. Die von diesen Herstellern gewählte Technologie ist das kleinste gemeinsame Vielfache weltweit – also nicht DSL, nicht ISDN, sondern analoge Modemtechnik. „Der gesamte Maschinenpark konnte nicht mit der Software erfasst werden“, konstatiert Fischer. Auch wenn immer wieder fast mantramäßig die Botschaft der Telekom zu hören war: „Das ist kein Problem“, schallte es aus den Fluren der Koehler-IT-Techniker zurück. „Das können wir uns nicht vorstellen“. Die Telekom-Werbebotschaft hatte gelautet: „Machen Sie Microsoft Outlook mit der Netphone-Integrationslösung von T-Com zum alles umfassenden Kommunikationszentrum in Ihrem Unternehmen – jetzt auch für Telefongespräche.“ Doch die tägliche Praxis machte die IT-Manager von Koehler skeptisch. Lediglich bei hundertprozentigen Dienstleistungsunternehmen sieht Fischer heute eine Basis für eine reine Softwarelösung wie Netphone.

"Sämtliche Produktionsbetriebe haben ein Problem", meint Fischer, der in seiner 15-köpfigen IT-Abteilung vor allem IT-Fachleute beschäftigt, die sich so schnell nichts vormachen lassen. Outsourcing etwa ist ein Schimpfwort bei dem mittelständischen Familienunternehmen mit 569 Millionen Euro Umsatz und mehr als 1700 Mitarbeitern – „Wir fragen nicht vorrangig, was es kostet, sondern, was es an Freiraum bringt.“ Voice over IP hieße in dieser Hinsicht für ihn vor allem wegfallende Wartungskosten, um mit diesen Ressourcen in andere Bereiche zu gehen. Dazu kommt es zunächst nicht, denn eigene Telefonanlagen für die Produktion wären nach wie vor nötig. „Dann rechnet sich die Umstellung schon nicht mehr“, so Fischer, der bewusst zunächst nicht auf Lösungen von Siemens oder Alcatel setzte, die zwar auch auf Voice over IP setzen, aber eine Wartungsgebühr für ihre VoIP-Telefonapparate verlangen, die in der Hand liegen wie ein normales Telefon. Diese harte Ware schafft Beschäftigung – und Kosten.

Vier Telefone und ein Echo

Vor einem Jahr war die Koehler-Gruppe mit ersten Tests gestartet. Es ging um vier Telefonapparate, die per Netphone mit Voice over IP versorgt werden sollten. Der Maschinenpark konnte jedoch bis zuletzt aufgrund der Analogtechnik nicht eingebunden werden. „Zudem war die Qualität nicht mit unseren jetzigen Telefonen zu vergleichen“, so Fischer. Echos seien immer wieder aufgetreten, was der gelernte Industriefachwirt auf die vielen Netzwerkstationen und Hubs schiebt, die die Sprachdaten auf dem Weg zum Telefonpartner überbrücken müssen.

Der Quality of Service sei in solchen Fällen die Ursache für die Probleme, heißt es bei der Telekom – also das Management der Daten, die sich durch das Netzwerk zwängen. Räumt der Netzwerker den Telefondiensten nicht die erste Priorität ein und verschicken Mitarbeiter parallel riesige Datenpakete, dann sind demnach solche Fälle nicht auszuschließen. „Bei Koehler ging es sehr stark um die Integration – Sprache als Dienst in der IT-Anwendung“, sagt Fritz Steinbrunner, verantwortlicher Solution Account Manager bei T-Systems. Die Migration auf eine neue Welt gehe allerdings nicht auf einen Schlag, innerhalb von zwölf bis 18 Monaten wäre mehr möglich gewesen, so der Telekom-Mann. Sein Vorschlag: die Voice-over-IP-Welt neben der „alten Technologie aus Modem und Maschinenpark“ nebenher laufen zu lassen. Das war Koehler-Mann Fischer zu teuer.

Migration war zu schwierig – Schlussstrich

Doch nicht nur hartnäckige Echos waren das einzige Problem. Es war unklar, wie die Umstellung der alten Anlage auf die neue Software bewerkstelligt werden sollte. Für die Zeit der Migration sollte die konservative Technologie in der Lage sein, der Software weiterzugeben, ob ein Anschluss frei ist, ob jemand spricht oder nicht da ist. Auch hierfür fand die Telekom bis zuletzt keine Lösung. Die bisherigen Telefone basieren auf der DECT-Technik, die sich zudem offensichtlich nicht mit dem WLAN-Netz bei Koehler vertragen: „Das Roaming, also die Nutzung der Telefone in anderen Netzwerken als WLAN, funktioniert noch nicht“, konstatiert Fischer, der aus der Summe der Probleme nur den vorläufigen Schlussstrich ziehen kann.

Seine nüchterne Analyse hat sich auch beim TK-Konzern Siemens herumgesprochen: Die Manager des Voice-over-IP-Anbieters wollen Fischer in einem vierwöchigen Test beweisen, dass die Lösung trotz Wartungskosten wirtschaftlich sinnvoll ist. Fischer dazu: „Bis Ende des Jahres muss ich unserem Vorstand für zentrale Dienste Bruno O. Schwelling einen Vorschlag zu diesem Thema machen. Derzeit tendiere ich zum Abwarten – ich will ja nicht vom Regen in die Traufe kommen.“