Kritik an IT-Dienstleister

Herkules-Projekt der Bundeswehr im Test

20.09.2010 von Johannes Klostermeier
Ihre Studie über die Anwender-Zufriedenheit hat nun das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr komplett vorgestellt. Fazit: Positive Noten bei Ergebnissen, Defizite jedoch bei der Struktur- und Prozessqualität.

Über die begleitende Evaluierung der Zielerreichung und Wirtschaftlichkeit des Kooperationsprojekts Herkules gab es im Frühjahr bereits einige Berichte in Zeitungen. Auch unsere Schwesterpublikation CIO.de berichtete unter anderem in dem Artikel „Vertraulicher Bericht: Herkules verzögert und verteuert sich" und der Entgegnung „Nach Herkules-Verriss im Handelsblatt: Bundeswehr-IT verteidigt sich". Jochen Reinhardt, Sprecher der BWI Informationstechnik GmbH, hat dort versucht, Zweifel am Fortschritt des Projekts mit den bisher erreichten, gesammelten Erfolgen zu kontern.

Jetzt steht der vollständige „Forschungsbericht 92 - Nutzerzufriedenheit Herkules/BWI IT" von den Wissenschaftlern Thomas Krampe und Gregor Richter der Öffentlichkeit im Internet zur Verfügung. Auf 111 Seiten werten die Mitarbeiter des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr ihre Befragungen aus (PDF).

Das Institut führte die Befragungen im Herbst 2009 unter Bundeswehrangehörigen aus, über 30.000 Nutzer hatten teilgenommen. Die Studie basiert auf ursprünglich zwei Gutachten, die der Bundeswehr im Herbst 2009 vorgelegt wurden. Zielgruppe der ersten Online-Befragung waren Bundeswehrangehörige, also Anwender, in der zweiten Befragung wurden die Dienstellenleiter um Antwort gebeten. Der Forschungsbericht gehe inhaltlich über die beiden Gutachten hinaus, betonen die Wissenschaftler. „Hier wurden weitere, bisher noch nicht ausgewertet Befragungsergebnisse dokumentiert und ergänzende Analysen des Datenmaterials vorgenommen", schreiben sie.

Dabei ging es den Forschern, wie sie betonen, nicht um eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung, sondern darum, „die Wissensstände, Motivationen und Einstellungen" der umfassenden Modernisierung der zivilen Informationstechnologie der Bundewehr zu beschreiben. Sie verstehen ihre Arbeit als „Instrument des innerbetrieblichen Qualitätsmanagements".

Zentrale Ergebnisse der Studie

Die Nutzerzufriedenheit mit der IT-Ausstattung ist unter den Anwendern nach dem Roll-Out signifikant gestiegen. Wesentliche Verbesserungen konnten mit der Neuausstattung an Hardware und der Modernisierung der Netzwerke erzielt werden.

7,1 Milliarden Euro sollte Herkules kosten, jetzt wird über 635 Millionen Euro nachverhandelt.

Die Mehrheit der Anwender (70 Prozent) sieht die Erfüllung ihrer Aufgabe mit ihrer IT-Ausstattung als „(voll) gewährleistet" an, gegenüber 58,6 Prozent der Anwender mit noch nicht modernisierter IT. Bis auf die Komponente „Sonder-/Individual-Software" führte der Roll-Out in allen Punkten zu Verbesserungen. Erhebliche Verbesserungen gab es bei den Punkten „Hardware", „Bildschirme" und „Tastatur/Maus".

Erstaunlich: „(Sehr) häufige" Störungen und Ausfälle werden sowohl von Nutzen der neuen als auch der alten IT-Ausstattung beklagt. Beim Zugang zum Intranet wird auch von den Nutzern der modernisierten Arbeitsplätze weiterhin kritisch der Punkt „Geschwindigkeit/Performance" bezeichnet.

Knapp die Hälfte der Dienstellenleiter mit neuer IT bewertet die Leistungen der BWI im Rahmen des Erneuerungsprozesses positiv. Dennoch: Als privater Partner für den Betrieb der „weißen IT" der Bundeswehr erhält die BWI von vielen Befragten keine hohe Zustimmung. Die Mehrheit der Anwender steht der Studie zufolge grundsätzlich hinter dem Projekt: Dennoch: Lediglich ein sehr kleiner Anteil sieht in der Ausgliederung der IT-Erneuerung und des IT-Betriebs auf einen privaten Partner eine wesentliche Steigerung der Effektivität und Effizienz.

Verschwendung von Steuergeldern

Auch bei den Dienststellenleitern steht die Mehrheit grundsätzlich hinter dem Projekt. Diese bringen jedoch eine grundsätzliche Skepsis gegenüber der Anlage des Projekts zum Ausdruck, insbesondere gegenüber der Entscheidung, die flächendeckende Modernisierung der IT der Bundeswehr im Rahmen einer Öffentlich-Privaten-Partnerschaft (ÖPP) zu realisieren. Die Autoren dazu: „Das generell positive Bild zu den objektiven Leistungen des privaten Partners BWI, dass mit der Herkules-Studie zu Tage gefördert wurde, wird überformt von institutionellen und - wenn man so will - ordnungspolitischen Grundüberzeugungen der Bundeswehrangehörigen, die das Verhältnis von Staat und privatem Sektor betreffen."

Erhellend sind hierzu auch die in der Studie zitierten Antworten der Leiter auf „offene" Fragen. Hier überwiegen die kritischen Stimmen: So merkt ein Befragter an: „Wenn der Bundeswehr jährlich konstant 700 Millionen Euro für IT zur Verfügung gestellt worden wären, hätte man es besser machen können". Ein anderer schreibt: „Das Projekt Herkules ist eine Verschwendung von Steuergeldern. Bis dato hat unserer Dienststelle das Projekt Herkules nur Mehrarbeit und Überstunden bereitet und uns damit in der eigentlichen Auftragserfüllung der Einheit behindert."

Die Dienststellenleiter, die angegeben hatten, dass sie das Projekt nur in Teilbereichen unterstützen oder dass sie es für einen Fehler halten, wurden von den Forschern ebenfalls in einer offenen Frage gebeten, ihre Gründe zu nennen. Ergebnis: Die Führungskräfte sind der Meinung, dass Public Private Partnership keine geeignete Form für die Modernisierung der Bundeswehr ist.

Dabei geht es ihnen offenbar vor allem um die Frage der Datensicherheit und militärischen Führungs- und Handlungsfähigkeit. Die Forscher schreiben: „Viele militärische und auch zivile Führungskräfte haben offenbar systematische Bedenken gegen eine Abgabe von Kompetenzen in sicherheitsrelevanten Bereichen an einen privaten Partner. Folgende Aussage einer Führungskraft wird von ihnen dazu zitiert: „Man sollte die Kommunikationswege einer Armee nicht in die Hände der privaten Wirtschaft legen."

Ein anderes Argument ist der befürchtete Verlust von Kernfähigkeiten und Wegfall von Know-how. Befragte sorgen sich um einen Verlust von Fähigkeiten, die vor allem im Hinblick auf das Aufgabenprofil der Bundeswehr als Einsatzarmee wichtig seien.

Führungskräfte sehen ÖPP-Projekt Herkules skeptisch

Andere bemerken eine „divergierende Interessenlagen der Partner im Projekt Herkules“. Zitat hierzu: „Die wirtschaftlichen Interessen der BWI lassen sich mit denen der Bundeswehr nur begrenzt in Einklang bringen.“ Andere monieren den durch Herkules eingeführten Zentralisierungsgrad, die Verfahrenswege und den bürokratischen Aufwand: Einer von ihnen formuliert es so: „Es wird viel Geld für langsamen und durch Regeln und Verträge sehr unflexiblen Service ausgegeben.“

Herkules sei „zu komplex, man will zu viel auf einmal erreichen.“ Und: „Die Komplexität der Umsetzung wurde offensichtlich unterschätzt und führt bereits jetzt zu Einschränkungen in der Auftragserfüllung, die durch die Truppe kompensiert werden müssen.“

Die Forscher meinen in ihrem Fazit: „Die Struktur- und Prozessqualität von ÖPP-Projekten im Servicebereich der Bundeswehr hinkt oftmals der Ergebnisqualität hinterher." Der weitere Erfolg des Projekts hänge „vor allem davon ab, inwieweit es den Verantwortlichen in der Bundeswehr und der BWI in partnerschaftlicher Weise gelingt, diesen Spagat zwischen Standardisierung und Zentralisierung auf der einen Seite und Kundenorientierung und Flexibilität auf der anderen Seite nachhaltig zu schließen."

Aber vielleicht scheint sich hier tatsächlich ein Satz aus einem früheren CIO.de-Artikel zu bewahrheiten: „Wer Dienstellenleiter der Bundeswehr nach ihrem Erstkontakt mit der freien IT-Wirtschaft befragt, nähert sich der Wahrheit eben nur von einer Seite an.“