Die wöchentliche CIO-Kolumne

Homo telelaborans

29.09.2003 von Heinrich Seeger
Noch so eine angekündigte Revolution, die zuerst ausfiel, nun aber doch allmählich durchschlägt: Laut Meta Group gibt es heute doppelt so viele Vollzeit-Telearbeitsplätze wie vor drei Jahren; bis 2006 sollen 60 Prozent der Global-2000-Unternehmen die Voraussetzungen für die Heimarbeit von Festangestellten geschaffen haben. Evolution statt Revolution; was indes noch aussteht, ist der Evolutionsschritt, der uns wirklich fit macht für die ortsunabhängige Business-Zukunft.

Viel spricht dafür, dass die Prognose der Meta Group wahr wird. Fast alle der rund 50 IT-Entscheider, die letzte Woche auf eine Kurzumfrage von CIO antworteten, glauben an ein Wachstum von Telearbeit - wenn auch meist in einer Mischform von Heim- und Präsenzarbeit und nicht in dem Ausmaß, das die Marktforscher voraussagen.

Die wichtigsten Pro-Argumente der CIOs: Telearbeit spart Arbeitszeit und Raumkosten. In Telearbeitsverhältnissen kann man Mitarbeiter und ihr Wissen bewahren, von denen man sich normalerweise ganz oder auf Zeit trennen müsste, etwa Mütter und Väter im Erziehungsurlaub. Telearbeit ermöglicht konzentriertes Arbeiten im Wechsel mit Entspannung zu frei gewählten Zeiten, ist dadurch motivierend und somit produktivitätsfördernd. Beispiel: Den Befund eines daheim arbeitenden Arztes als "second opinion" zur Diagnose des Diensthabenden hinzuzuziehen, ist eine (bereits praktizierte) Möglichkeit, den Konflikt um die Ärzte-Arbeitszeit zu entschärfen.

Andererseits: Was für die Global 2000 stimmt, muss nicht für alle gelten. Selbst Unternehmen, die ganz selbstverständlich Telearbeit und die Aufwendungen dafür akzeptieren, wenn es darum geht, Außendienstlern uneingeschränkten Zugang zum Unternehmensnetz zu verschaffen, zieren sich, ihren Mitarbeitern das Arbeiten in den eigenen vier Wänden zu gestatten. Viele Traditionalisten, gerade im inhabergeführten Mittelstand, scheinen mit dem Verlust der räumlichen Nähe auch den Verlust der Kontrolle über ihre Mitarbeiter zu befürchten. "Jobs, die ein intensives Beziehungsmanagement erfordern, eignen sich nicht für Telearbeit", hieß es in der Antwort eines IT-Entscheiders auf die Umfrage. Sogar von der "Aufsichtspflicht" des Arbeitgebers über seine Mitarbeiter war die Rede.

Die Vorbehalte gegen Telearbeit sind freilich nicht ausschließlich psychologisch oder patriarchalisch fundiert. Harte Argumente aus der Befragung: Unternehmenskritische Daten und Anwendungen via Internet bereit zu stellen, ist unsicher oder teuer. Vertrauliche Dokumente dürfen das Haus nicht verlassen. Telearbeiter gehören nicht richtig zum Team, weil sie für Adhoc-Besprechungen nicht zur Verfügung stehen und ihre Teilnahme an Meetings ebenfalls schwierig ist.

Gerade Letzteres stimmt auffallend; Telekonferenzen sind ein Thema für sich. Wer mal telefonisch einer Konferenz mit ansonsten körperlich versammelten Teilnehmern beigewohnt hat, dürfte das kennen: Diskussionsbeiträge am Tisch sind kaum zu verstehen, weil ständig durcheinander geredet wird. Eigene Wortmeldungen dringen nicht durch, weil der Kasten auf dem Konferenztisch nicht als Repräsentation eines vollwertigen Gesprächspartners wahrgenommen wird (Irgendwie verständlich, die Dinger sehen ja auch zu putzig aus in ihrem Spielekonsolen-Design mit bunten Lämpchen.). Welche Koalitionen sich im Gesprächsverlauf am Tisch bilden und welche Stimmungen sich aufbauen, ist telefonisch gar nicht auszumachen, sondern bestenfalls per Breitband-Videokonferenz; und das funktioniert auch nur dann, wenn es so etwas wie einen Regisseur am Tisch gibt, der dafür sorgt, dass Sprechende gleichzeitig zu sehen sind.

Für Telearbeit, speziell für Meetings, ist eine Art von Disziplin erforderlich, die viele Leute, auch die Profi-Kommunikatoren im Business, nicht aufbringen. Einen Moderator zu benennen, der dafür sorgt, dass per Telefon oder Video zugeschaltete Diskutanten genauso zu Wort kommen wie Anwesende, ist eine unabdingbare Voraussetzung. Sich gegenseitig zuzuhören und ausreden zu lassen ist die nächste, und unmittelbar nach dem Meeting per Protokoll-Rundsendung alle auf einen verbindlichen Informationsstand zu bringen gehört ebenso dazu. Nur: Mit Managergewohnheiten passt das oft nicht zusammen.

Aber, auf die Gefahr hin, mich unbeliebt zu machen: Traditionelle Präsenzarbeit samt Meetings leidet unter denselben Schwächen: Auch hier werden Kolleginnen und Kollegen in den Hintergrund gedrängt, wird dazwischengeredet, dass es eine Art hat, gehen vermeintliche Konsensfindungen den Weg alles Irdischen, weil das Protokoll erst Tage nach der Besprechung, wenn der fragliche Projektstand schon längst Geschichte ist, herumgeschickt wird - falls das überhaupt passiert. Nur: Das kennt man und akzeptiert es daher, wenn auch zähneknirschend.

Mit ein bisschen Bosheit kann man daraus ableiten: Wenn kommuniziert wird, dann geschieht das oft ohne Konzentration auf das Wesentliche, egal ob am echten oder am virtuellen Konferenztisch. Wenn dieses Übel abgestellt würde, könnte die Meta Group mit ihrer Telearbeits-Prognose sogar recht behalten.

Übrigens: Die Redaktion CIO zieht über das kommende Wochenende von Hamburg nach München um. Was Telekonferenzen (die bei uns natürlich glänzend laufen ...) im Vergleich zu lokalen Meetings angeht, haben wir dann den Vergleich. Wir sind gespannt.