Governance treibt SOA voran

Hype weicht Realismus

18.09.2008
Bis 2011 sollen 80 Prozent der Unternehmen das Konzept der Serviceorientierten Architekturen (SOA) oder wenigstens Teile davon umgesetzt haben. Doch bei aller Euphorie: Sicherheit, Performance und Interoperabilität sind offene Punkte.

Service-orientierte Architekturen (SOA) sind in den Unternehmen angekommen“, erklärt Wolfgang Martin, Analyst und Inhaber des Beratungsunternehmens Wolfgang Martin Team. Und die Serviceorientierung
forciere den Marktplatzgedanken: So gebe es Service-Produzenten, -Konsumenten und Web-2.0-Technologien, die für die rasche Verbreitung von SOA sorgten. Weltweit rund 80 Prozent aller Firmen haben
seinen Schätzungen zufolge bis 2011 SOA-basierende Anwendungen im Einsatz.

Die rasche Verbreitung belegen die Auguren des Beratungshauses IDC mit ihren Umsatzprognosen: Lagen die Ausgaben für SOA-Technologien und -Services 2006 weltweit bei 2,3 Milliarden US-Dollar sollen es 2008 schon sechs Milliarden Dollar sein. Bis 2011 werden dann 14 Milliarden erwartet. Auch hierzulande wird kräftig an der Umsetzung der Serviceorientierung gewerkelt, wie die Analysten von PAC herausgefunden haben: Etwa 600 bis 700 Millionen Euro geben deutsche Unternehmen in diesem Jahr für SOA-Tools und Service aus.

CIOs stocken SOA-Teams auf

Ein Weiteres hat Analyst und Marktkenner Wolfgang Martin in den vergangenen Monaten beobachtet: „Die Erwartungen und Einschätzung der Bedeutung von SOA sind realistischer geworden.“ Seine Aussagen
stützt er auf eigene Marktbeobachtungen sowie auf eine Umfrage, den „SOA Check 2008“, die er gemeinsam mit der TU Darmstadt und dem Team um Professor Steinmetz durchführt. Wie die Umfrage zeigt, sind die Teams für SOA in den Unternehmen gewachsen – das Thema ist gesetzt, das Projektvolumen im Durchschnitt gestiegen.

„So positiv das rasche Wachstum und die starke Verbreitung für Anbieter auch sind, das Angebot an Tools wird dadurch jedenfalls nicht durchsichtiger“, erklärt der Gartner Analyst Massimo Pezzini. Sehr zum Leidwesen der Anwender: Was gehört zu einer SOA-Plattform, welches sind die Kernkomponenten und welcher Anbieter verfügt über ein vollständiges Sortiment?

Dazukaufen ist angesagt

Für Licht im SOA-Dschungel sorgen Analysten mit einer Unterteilung in zweierlei Hinsicht: Zum einen legen
sie zunächst fest, welche Teilkomponenten zu einem vollständigen SOA-Angebot gehören – den sogenannten SOA-Stack: ein Enterprise Service Bus, Business Process Management (BPM), Repository, Application Server, Portal, Business Activity Monitoring und Master Data Management gehören dazu. Darin sind sich die Auguren einig. Zum anderen ordnen sie die Hersteller, je nach Grad der Vollständigkeit ihres Portfolios, in drei Schubladen: Vollsortimenter, Quasi-Komplettanbieter sowie Nischenanbieter.

Massimo Pezzini, Vice President und Analyst bei Gardner Research: "So positiv das rasche Wachstum und die starke Verbreitung auch sind, das Angebot an Tools wird dadurch leider nicht durchsichtiger."

Zur Kategorie der SOA-Vollsortimenter gehören IBM sowie Oracle. Gartner-Mann Pezzini zählt auch SUN Microsystems, die SAP AG und Microsoft zu den Vollsortimentern, wenn auch bei letzteren, laut Pezzini,
noch elementare Bausteine wie ein Repository, Webservice-Management sowie BPM-Tools fehlen. Zur Kategorie zwei der SOA-Anbieter zählen Analysten Anbieter, denen einzelne Komponenten etwa ein Portal oder Application Server fehlen. Tibco, die Software AG, Progress Software, Sterling Commerce und HP. Hier
ist Dazukaufen angesagt: Eine der Großakquisitionen tätigte die Software AG, die sich im vergangenen Frühjahr Webmethods einverleibte. Der angestammte Anbieter von EAI-Werkzeugen hatte selbst den Repository-Anbieter Infravio gekauft.

Dickschiffe kaufen Spezialisten

Aufsteiger ins Segment der Gruppe zwei der SOA-Anbieter ist HP. Bereits 2006 kaufte das Softwarehaus den Spezialisten für Software-Testing und Governance Mercury, der sich zuvor Systinet einverleibt hatte.
Progress hat Ende Juni den ESB-Spezialisten Iona geschluckt und ist dabei, sich zum Vollsortimenter aufzuschwingen. Zur Kategorie drei gehören laut Gartner Anbieter mit einem Umsatz bis maximal 100 Millionen Dollar. „Also ein weites Feld von Hunderten Spezial- und Nischenanbietern“, wie Pezzini erläutert.

Zu den großen Umsatzmotoren gehören in den kommenden Jahren SOA-Governance, Service-Management und BPM. „SOA bringt eine hohe Komplexität mit sich und damit verschärfte Anforderungen an die Einhaltung von Entwicklungsrichtlinien“, begründet Martin die steigende Nachfrage. „Sonst passen die einzelnen Bausteine nicht zusammen, und das Versprechen der Wiederverwendung wird nicht erreicht.“ IBM hat dazu beispielsweise ein sehr umfassendes „Governance Framework“ vorgestellt. Dabei handelt es sich um ein Set aus Methoden und Tools, die helfen sollen, die hohen Anforderungen an Transparenz sowie die stringenten Vorgaben für die Entwicklung von Anwendungen einzuhalten.

Auch die Darmstädter Software AG forciert das Thema Governance und promotet dazu das Tool Crossvision“, das gemeinsam mit Fujitsu Siemens entwickelt wird. Darüber hinaus habe sich, so Martin, die Erkenntnis durchgesetzt, dass SOA und BPM eng zusammengehörten. „Unternehmen starten mit SOA, weil sie ihr Prozess-Management optimieren möchten, und Unternehmen, die mit BPM vorgeprescht sind, erkennen den Nutzen von SOA, um ihre Ideen zu unterstützen.“

Noch treibt die IT das Thema SOA

Ein weiteres Riesenthema wird die Implementierung einer SOA mithilfe von Geschäftsregel-Management-Systemen, wie sie etwa ILog, Innovations und Pega Systems anbieten. Grund genug übrigens für IBM, Ilog zu kaufen, wie Ende Juli geschehen. Sogenannte „Transparent Decision Services“ machen Entscheidungen oder die Einführung und Änderung von Geschäftsregeln transparent für alle Anwendergruppen. Damit erhalten sogar Fachanwender die Möglichkeit, ohne IT-Unterstützung neue
Regeln für die Implementierung einer SOA einzugeben. SOA-gestützte Prozesse sollen damit flexibler werden und die in sie gesetzten Anforderungen erfüllen.

Bei allen rosigen Aussichten für SOA sind dennoch einige Hürden aus dem Weg zu räumen: So sei die Botschaft vom Nutzen der Service-Orientierung noch immer nicht richtig bei der Geschäftsführung angekommen. „Der Treiber ist immer noch die IT“, nennt es Martin. Das soll sich zwar ändern, aber dafür muss die Kommunikation zwischen Fachbereich und IT geführt werden, und das möglichst ohne technische Fachbegriffe. Eine der Hauptursachen, weshalb rund 40 Prozent der SOA-Projekte die gesteckten Ziele nur zur Hälfte erreichen, seien unklare Abmachungen zwischen IT und Business. Über die Hälfte der befragten Unternehmen hätten beispielsweise keine Service Level Agreements (SLAs) vereinbart. „Wie soll man etwas messen, wo weder die Kriterien noch die Zielerreichungswerte vorher klar sind“, lautet Martins Kommentar dazu.

Performance und Sicherheit offen

Schon heute zeigten sich Herausforderungen bei der Umsetzung einer SOA, an die vor wenigen Jahren keiner gedacht hat, ergänzt Gartner-Analyst Massimo Pezzini. Insbesondere das Thema „Federation“ – also
wie sich unterschiedliche SOAs miteinander verbinden lassen – und Performance werden Anwender, Anbieter und Forscher in den kommenden Jahren intensiv beschäftigen. Labors arbeiteten bereits an Konzepten, wie sich eine SOA künftig ohne Datenbank betreiben lasse: In gigantischen Arbeitsspeichern
sind alle Daten, Anwendungen und Steuerungsregeln zur Laufzeit enthalten, um akzeptable Prozesszeiten
überhaupt ermöglichen zu können.

Weitgehend unklar ist auch das Thema Sicherheit von Services, wie Berater Martin ergänzt. „In einem
Unternehmen mit einigen wenigen Services mag das noch überschaubar sein.“ Sollten Unternehmen jedoch in großem Stil Services anbieten und konsumieren, sei ein komplexes Rechte- und Sicherheitssystem nötig. „Wer nutzt Services, wie stelle ich sicher, dass zum Zeitpunkt der Aktualisierung keiner den Service verwendet und wie schütze ich Daten und Strukturen?“, lauten seine Fragen. Unternehmen wie die Brainloop AG (Security) zeigten hier Ansätze. Die rasche und zum Teil unvorhersehbare Entwicklung im SOA-Markt bringt Berater Pezinni daher auf die simple Formel: „Was wir
zurzeit im Markt sehen, ist erst der Anfang. Und: Es gibt noch viel zu tun.“