IAB-STudie

Industrie 4.0 könnte in Deutschland rund 60.000 Jobs kosten

22.10.2015
Roboter, die für Nachschub sorgen, Maschinen, die voneinander lernen - mit der sogenannten Industrie 4.0 soll künftig die digitale Welt in deutschen Fabriken Einzug halten. Das bleibt nicht ohne Folgen für viele Beschäftigte.

Für Hochqualifizierte eine Riesen-Chance - für Hilfskräfte im schlechtesten Fall der Weg in die Arbeitslosigkeit: Der Einzug der digitalen Welt in deutschen Fabrikhallen könnte nach Prognosen von Arbeitsmarktforschern bis zu 60.000 Jobs kosten. Zwar dürften mit der Industrie 4.0, dem digitalen Wandel in der Produktion, in den kommenden Jahren in Deutschland rund 430.000 neue Arbeitsplätze entstehen. In derselben Zeit gingen aber 490.000 meist einfachere Jobs verloren, hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) errechnet. Einzelheiten stellte die Denkfabrik der Bundesagentur für Arbeit am Donnerstag in einer Studie (PDF-Link) vor.

Enzo Weber, Arbeitsmarktforscher und Mitautor der Studie, lässt jedenfalls keine Zweifel: "Es kommt zu einer deutlichen Umschichtung von Arbeitsplätzen. Dabei werden vor allem Beschäftigte, die heute Maschinen und Anlagen bedienen, betroffen sein." Um die Veränderungen abzufedern, müssten Firmen und die Bundesagentur frühzeitig entgegensteuern. Gerade Facharbeiter, die bisher an den Produktionsstraßen mit Routinearbeiten beschäftigt sind, müssten frühzeitig für anspruchsvolle Aufgaben in der Industrie 4.0 umgeschult, Arbeitslose für die neuen Anforderungen fit gemacht werden.

Nach der Definition des Bundeswirtschaftsministeriums zeichnet sich Industrie 4.0 durch eine enge Verzahnung der Produktion mit modernster Informations- und Kommunikationstechnik aus. Dabei koordinieren intelligente Maschinen selbstständig Fertigungsprozesse, Service-Roboter kooperieren in der Montage mit Menschen. Roboter sollen auch eigenständig Energie sparen, den Materialausschuss minimieren, Abläufe organisieren, Mängel melden und Nachschub organisieren - und das alles vernetzt mit den Kunden. Fachleute geben aber auch zu bedenken: Die digitale Fabrik ist teuer und wirft Sicherheitsfragen auf.

Die Digitalisierung der Fertigung kostet Arbeitsplätze, schafft aber auch neue, zumeist anspruchsvollere.
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Beschäftigte sollten sich nach Ansicht der Autoren der IAB-Studie dennoch nicht bange machen lassen. Trotz der Herausforderungen von Industrie 4.0 stehe Deutschland keineswegs vor einer Jobkrise. "Ein gut funktionierender Arbeitsmarkt muss das leisten können", gibt Weber zu bedenken. Auch in Zeiten normalen technologischen Wandels finde ständig eine Umschichtung von Arbeitsplätzen und Berufsfeldern statt. "In der Vergangenheit hatten wir immer wieder technologische Umschwünge. Die Arbeit ist uns dadurch nie ausgegangen", sagt Weber. Allerdings, so räumt er ein, habe sich bei solchen Veränderungsprozessen teilweise auch strukturelle Arbeitslosigkeit aufgebaut; die konnte erst zwischen 2005 und 2012 wieder einigermaßen abgebaut werden.

Gewinner von Industrie 4.0 werden nach der IAB-Studie vor allem gut ausgebildete IT-Fachkräfte, Ingenieure und Naturwissenschaftler sein. Chancen biete die vierte industrielle Revolution auch Lehrkräften. Denn die werden künftig verstärkt gefragt sein, um Mitarbeiter auf ihre neuen Aufgaben in der digitalen Fabrik vorbereiten, so die IAB-Einschätzung. "Wir werden eine noch stärkere Entwicklung hin zur Akademisierung haben", sagt Weber. Aber auch für Beschäftigte auf Facharbeiter-Niveau könne Industrie 4.0 Chancen bieten; dazu müssten die betrieblichen Ausbildungen aber weiterentwickelt werden. "Industrie 4.0 führt dazu, dass Produktions-, Wissens- und Entwicklungsarbeit stärker zusammenwachsen."

Standortbestimmung in Sachen Industrie 4.0
Die IT hat bei Industrie-4.0-Projekten die Hosen an
Mehr als drei Viertel der ITler messen dem Thema eine sehr hohe (38,5 Prozent) oder hohe Bedeutung (35,9 Prozent) bei. Unter den Produktionsmitarbeitern sagen nur 7,8 Prozent, Industrie 4.0 habe eine sehr hohe Bedeutung, immerhin 39,1 Prozent räumen dem Thema eine hohe Bedeutung ein.


Zunächst einmal zeigte sich dass der Wissensstand zum Thema Industrie 4.0 in Produktion und IT unterschiedlich ist. Während drei Viertel der ITler mit dem Begriff etwas anzufangen wissen, zeigen die Mitarbeiter in der Produktion zu 60 Prozent Erkenntnisdefizite.

Mehr als drei Viertel der ITler messen dem Thema eine sehr hohe (38,5 Prozent) oder hohe Bedeutung (35,9 Prozent) bei. Unter den Produktionsmitarbeitern sagen nur 7,8 Prozent, Industrie 4.0 habe eine sehr hohe Bedeutung, immerhin 39,1 Prozent räumen dem Thema eine hohe Bedeutung ein.

Auf die Frage, ob sich das Thema langfristig in produzierenden Unternehmen durchsetzen werde, sagten 36 Prozent der ITler, sie seien sich diesbezüglich „absolut sicher“. Nur elf Prozent der Produktionsbeschäftigten waren der gleichen Ansicht.

Wer treibt die Industrie-4.0-Projekte in den Unternehmen? Die IT-Profis sehen sich zu knapp 72 Prozent selbst im Driver Seat, während sich die Produktionsmitarbeiter nur zu 26,6 Prozent verantwortlich fühlen.





Was sind nun die IT-Themen, die von den Befragten als relevant im Zusammenhang mit Industrie 4.0 gesehen werden? IT-Security, Produktions-IT und Mobility gelten laut Umfrage in dieser Reihenfolge als die Topthemen, wenn es um die Einführung und Umsetzung geht.


Die Industriefirmen selbst werden nach Einschätzung der Nürnberger Forscher für den Umbau ihrer Fabriken zunächst tief in die Tasche greifen müssen. Pro Jahr werden sie nach IAB-Schätzung rund 15 Milliarden Euro in die Digitalisierung ihrer Produktion investieren müssen. Die deutsche Wirtschaft könnte davon aber schon bald profitieren. Dank des deutschen Know-hows bei der Sensortechnik habe Deutschland bei Industrie 4.0 derzeit die Nase vorn - im Vergleich zu durchschnittlichen Industrieländern etwa um fünf Jahre. Dank dieses Vorsprungs könnte Industrie 4.0 zu einem Exportartikel für die deutsche Industrie werden, so die Arbeitsmarktforscher. (dpa/tc)

Industrie 4.0: Ein Leitfaden für CIOs
Industrie 4.0 - Leitfaden für CIOs
Stephen Prentice (Gartner) legt den IT-Verantwortlichen zwölf Dinge ans Herz, die sie für den IT-Beitrag zu Industrie 4.0 beachten beziehungsweise tun sollten:
1. Nur keine Panik!
Industrie 4.0 ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Die gute Nachricht: Wenn man nicht so genau sieht, wo es hingeht, kann man bislang auch nicht wirklich eine Gelegenheit verpasst haben.
2. Integrieren Sie Informationstechnik und operationale Technik!
Unter operationaler Technik (OT) versteht Gartner Ingenieurtechnik mit einer Langzeitperspektive. Sie liefert Information über das, was im Inneren der Produktionssysteme vor sich geht. Dabei ist sie digital, aber nicht integriert.
3. Steigern Sie den Reifegrad Ihres Fertigungsprozesses!
Lernen Sie Ihre Mitspieler auf der Produktionsseite kennen. Verstehen Sie deren Sorgen und Hoffnungen und planen Sie den gemeinsamen Fortschritt auf einem fünfstufigen Weg.
4. Integrieren Sie Ihre Informations-Assets!
Reißen Sie Ihre Silos nieder und öffnen Sie Ihre Unternehmenssysteme auch für externe Informationsquellen: Wetterdaten, Social Media etc. "Ihre wertvollsten Daten könnten von außerhalb Ihres Unternehmens stammen", konstatierte Gartner-Analyst Prentice.
5. Verinnerlichen Sie das Internet der Dinge!
Das Internet of Things (IoT) ist der international gebräuchliche Begriff für das, was die Grundlage der Industrie 4.0 - und des digitalen Business - bildet.
6. Experimentieren Sie mit Smart Machines!
Virtuelle Assistenten für die Entscheidungsunterstützung, neuronale Netze, cyber-physikalische Systeme, Roboter und 3D-Druck mögen aus der heutigen Perspektive noch als Spielerei erscheinen. Aber es lohnt sich, ihre Möglichkeiten auszuloten.
8. Scheuen Sie sich nicht, den Maschinen ein paar Entscheidungen anzuvertrauen!
Der Fachbegriff dafür ist Advance Automated Decision Making. Es gibt schon einige Bereiche, wo Maschinen statt des Menschen entscheiden, beispielsweise bei der Einparkhilfe für Kraftfahrzeuge.
9. Denken Sie wirklich alles neu!
Jedes Produkt, jeder Service, jeder Prozess und jedes Device wird früher oder später digital sein. Denken Sie sich einfach mal Sensoren und Connectivity zu allem hinzu.
10. Führen Sie bimodale IT ein!
Die Koexistenz zweier kohärenter IT-Modi (einer auf Zuverlässigkeit, einer auf Agilität getrimmt) gehört zu den Lieblingsideen der Gartner-Analysten. Stabilität und Schnelligkeit lassen sich so in der jeweils angemessenen "Geschwindigkeit" vorantreiben.
11. Kollaborieren Sie!
Werden Sie ein Anwalt für Industrie 4.0. Schließen Sie sich Peer Groups, Konsortien und Standardisierungsgremien an. Denn die besten Ideen müssen nicht zwangsläufig aus dem eigenen Unternehmen kommen.
12. Halten Sie die Augen offen!
Die Dinge verändern sich - ständig. Erfolgreiche Unternehmen wie Google und Amazon wissen das. Sie sind immer auf der Suche nach neuen Entwicklungen und Möglichkeiten.
7. Werden Sie ein Digital Business Leader!
Der CIO sollte sich für das digitale Business engagieren. Dazu muss er aber seinen Elfenbeinturm verlassen. Denken Sie von innen nach außen, rief Prentice die IT-Chefs auf, und verbringen Sie etwa 30 Prozent Ihrer Arbeitszeit mit Menschen von außerhalb Ihrer Organisation.