Analysten-Kolumne

IP: Revolution in den Unternehmen

26.04.2006 von Olaf Acker und Andreas Späne
Das Verschmelzen der klassisch zweigeteilten Bereiche IT- und Netzwerkarchitektur durch die Zauberformel von der IP-Konvergenz hat nicht nur technische Folgen, sondern verändert auch die Rolle des CIOs. Will er sich auf die ursprüngliche Aufgabe als IT-Entscheider konzentrieren oder in die Rolle des Maklers zwischen zwischen Technik und operativem Geschäft wachsen?

In vielen Telekommunikationsunternehmen existierten bislang IT-Infrastruktur und Telekommunikationsnetze völlig unabhängig voneinander. Doch seit dem Auftauchen der Zauberformel von der "IP-Konvergenz" verwischen sich die gewohnten Trennlinien. Das Internet-Protokoll (IP) hat seinen Siegeszug in die klassisch zweigeteilte IT- und Netzwerkarchitektur längst begonnen und wird nach und nach zur einheitlichen Grundlage der Kommunikationsinfrastruktur innerhalb der Unternehmen. In absehbarer Zeit werden IT und Netze in IP-basierten Infrastrukturen aufgehen.

Mit dem Zusammenwachsen der beiden Bereiche eröffnen sich für die Telekommunikationsunternehmen nicht nur neue Produktmöglichkeiten. Durch IP-Einsatz sind auch signifikante Kostensenkungen bei gleichzeitig optimierter Servicequalität möglich. Im Endkundenbereich sorgen "konvergierte" Telekommunkationsservices schon seit längerem für Aufruhr in der säuberlich getrennten Festnetz- und Mobilfunkwelt: Die "Homezone“ etwa vereint beides in einem Endgerät. Für den mobilen Geschäftskunden bietet ein konvergierter Mobilfunkdienst besseren Anschluss an sein Büro – per Videokonferenz oder schnellem Zugriff auf unternehmensinterne Netzwerke (WAN).

Die Auswirkungen vereinheitlichter IP-Infrastruktur auf Kundenmärkte und Unternehmen gehen jedoch weit über innovative Produktvarianten und Kosteneinsparungen etwa durch VoIP hinaus. Die Verlagerung klassischer IT- und Netzwerkaufgaben auf IP-Infrastruktur verändert die gesamte Art und Weise, wie Unternehmen in Zukunft Geschäfte betreiben – und vor allem welche Rolle der Chief Information Officer (CIO) dabei spielt. Die zentralen Fragen lauten: Wie wird die gesamte IT-Architektur in absehbarer Zeit aussehen? Wer ist für die entstehende Infrastruktur verantwortlich? Und wo werden die Zuständigkeiten der bislang "vagabundierenden" Service-Plattformen untergebracht sein?

Veränderung der IT-Architektur

Die Einführung konvergierter IP-Lösungen verwandelt bisher voneinander isolierte Serviceplattformen – etwa für SMS, MMS oder Videotelefonie – in eine IP-basierte Infrastruktur, die jede Art von Daten per Paket-Protokoll verschickt. Selbst die klassischen Netzwerk-Switches nehmen bald nur noch virtuellen Platz auf dem Server ein – als Software-Anwendungen. Auch Sprachtelefonie wird so zur Anwendung, die neben vielen anderen auf die gemeinsame Server-Infrastruktur aufgesetzt ist. Wie Java-Kids im Internet könnten bald Telekommunikationsdienstleister am laufenden Band neue Produkte und Services erfinden und in einheitlicher Umgebung schneller als bisher ausprobieren und auf den Markt bringen. Das altgewohnte Gefüge gerät durcheinander, auch der CIO muss seine Rolle neu definieren.

Wandel von Verantwortlichkeiten

Bevor der Traum von der unternehmensweiten IP-Netzwerkarchitektur zur Realität werden kann, müssen jedoch einige organisatorische Herausforderungen gemeistert werden. IP-Erfahrung hatte bislang oftmals nur die klassische IT-Abteilung, während die Netz-Spezialisten ihre jeweils unterschiedlichen Service-Plattformen weitgehend ohne das Internet-Protokoll bedienen konnten. Die Zusammenarbeit zwischen der "traditionellen" IT-Abteilung und den auf Netze konzentrierten Mitarbeitern wird daher zukünftig enger aufeinander abgestimmt sein müssen. Die Frage, ob sich der CIO auf seine Kernkompetenz IT-Applikationsentwicklung und -betrieb zurückzieht oder ob er durch den IP-Wandel näher an die Bereiche Netzwerk und Service-Plattform heranrückt, wird seine Rolle definieren.

Dies zwingt den CIO bereits heute zu weit reichenden, strategischen Entscheidungen. Zu klären ist: Existiert in Zukunft eine auf das Wesentliche, also auf Applikationen, konzentrierte IT neben einer riesigen Abteilung Netzwerk und Services? Oder wird die innerhalb von IT bereits vorhandene IP-Erfahrung in einem unternehmensweiten Kompetenzzentrum gebündelt? Bei letzterem liegt der Vorteil darin, dass der CIO die Möglichkeit hat, in der Transformationszeit die IP-Zukunft des Unternehmens maßgeblich mitzugestalten.

Operatives Geschäft gewinnt an Bedeutung

Die Veränderungen durch den technologischen IP-Wandel sollten nicht unterschätzt werden - gerade in der Übergangsphase, wenn beide Welten langsam verschmelzen. Zwar sinkt nach dem Umstieg auf eine gemeinsame Infrastruktur die organisatorische Komplexität durch Aufbau eines zentralen Kompetenzzentrums. Anstatt vieler Plattformen, die sich jeweils nur um ihren eigenen Service kümmern, werden Dienste und Software dann zentral steuerbar. Allerdings wird gleichzeitig der Betrieb und das Management der IP-Infrastruktur komplexer. Denn dann verlangen weit mehr Nutzer und Anwendungen die volle Aufmerksamkeit der IT-Experten.

Aus strategischer Perspektive birgt der Sprung auf den IP-Zug Chancen und Risiken für den CIO. Das Zusammenwachsen von klassischer IT und Netzwerk-Technik in einer anwendungsorientierten IP-Infrastruktur lässt auch Technik und operatives Geschäft näher zusammenrücken. Der CIO muss sich entscheiden: auf der einen Seite für die reine IT-Zuständigkeit, auf der anderen Seite für die Rolle als Makler zwischen Infrastruktur und Absatzmärkten und damit als Hoheit über die IP-Zukunft des gesamten Unternehmens. Es bleibt nicht mehr viel Zeit. Um den Übergang ins IP-Zeitalter möglichst reibungslos vorzubereiten, sollte der CIO intern bereits vorhandenes Wissen baldmöglichst in einem IP-Kompetenzzentrum bündeln. Es gilt: Schnelligkeit gekoppelt mit der richtigen Strategie ist der entscheidende Wettbewerbsvorteil.

Andreas Späne ist Mitglied der Geschäftsleitung bei Booz Allen Hamilton im Bereich IT, Olaf Acker ist Senior-Projektleiter für IT bei Booz Allen Hamilton.