EU-Eigenkapitalrichtlinie für Versicherungsbranche

IT meets Solvency II

06.12.2006 von Walter Warmuth
Die Bekanntheit des "Committee of European Insurance and Occupational Pensions Supervisors (CEIOPS)" wächst. Die in Ausarbeitung befindliche Eigenkapitalrichtlinie der Europäischen Union, Solvency II, die frühestens im Jahr 2008 verabschiedet wird, sorgt für Wirbel in der europäischen Versicherungsbranche.
Solvency II: Paradigmenwechsel für die Versicherungsbranche.
Foto: Hannover Rückversicherung

Solvency II verpflichtet die Versicherungsunternehmen zu einem effizienten Risiko-Management. Das reicht von der Bepreisung des Risikos, über die Versicherungstechnik bis hin zum Asset/Liability Management. Hierüber und über die verwendeten "angemessenen" Methoden ist der Nachweis zu führen und zu berichten.

Es muss herausgefunden werden, wie sich aus der "Berichtspflicht" (in Deutschland ist es die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht - BaFin) Chancen für die deutschen Versicherer ergeben. Dazu gehört das Wissen über das Risiko, bei der Bepreisung von Risikoprodukten, bei der internen Rechnungslegung, beim Risiko-Controlling und bei der Bestimmung des Ertrags und der Aufwendungen bei der Kapitalanlage.

Grundlagen für ein neues Versicherungsaufsichtssystem

In der ersten Phase des Projektes "Solvency II" wurden zunächst die Grundlagen für ein neues Versicherungsaufsichts-System definiert. Bei der Ausgestaltung von EU-weiten Empfehlungen betritt Europa Neuland sich noch formender Silhouetten, viele Interessen sind zu erkennen und abzuwägen. Die Versicherungsbranche verfolgt die aktuellen Entwicklungen sehr aufmerksam. Der Nichtbetroffene nimmt eine Aneinanderreihung einzelner problemorientierter Ausarbeitungen mit laufenden Ergänzungen und Überarbeitungen wahr. Es ergibt sich für Anleger eine größere Einsicht in das Unternehmen, das Risiko wird präsenter. Wer sich über die konkreten Auswirkungen informiert, wird den Pardigmenwechsel verkraften.

Die EU forciert die Vereinheitlichung der Rechnungslegung nach internationalen Regeln. Mit den sich herausbildenden Solvabilitätsanforderungen konvergieren die interne und externe Rechnungslegung. Die sich dabei bietende Transparenz und Vergleichbarkeit mit den Wettbewerbern ist für das einzelne Versicherungsunternehmen zunächst nicht vordringlich. Bei Fragen nach der Höhe und nach der Vorgehensweise bei der Bestimmung des Mindestgarantiefonds reicht eine Beobachtung der Lage.

Die neue Richtlinie wird sich in der Versicherungsbranche bis auf die Produktebene herab auswirken, der Anwendungsbereich des Rechnungslegungsstandards IFRS 4 ist der Versicherungsvertrag.

Das neue Solvabilitätssystem wird den wirklichen Risiken der Versicherer Rechnung tragen. Das Versicherungsunternehmen muss dann nachweisen können, dass es weiß, welche Risiken es eingegangen ist und eingeht. Aber auch, wie es in der Lage ist, das Risiko zu managen. Fehlentwicklungen gilt es vorzubeugen.

Der Vorstand eines Versicherungsunternehmens müsste von seinem Controlling erwarten, daß es sich zu Solvency II positioniert, Handlungspotentiale aufzeigt, Problemfelder bewertet und in eine Reihenfolge bringt. Gemeinsam mit dem Vorstand sollte die Einordnung in die Unternehmenszusammenhänge erfolgen, der Anpassungsbedarf könnte aufgezeigt werden, unter Berücksichtigung der Unternehmenskultur wäre die Anpassung vorzudenken. Es sind Szenarien des eigenen Reagierens und Agierens zu entwickeln und die jeweiligen Auswirkungen zu messen. Für die "Messergebnisse" gilt es Bewertungen zu finden.

Letztendlich müssen alle Erkundungen risikonah, also am Versicherungsvertrag , erfolgen. "Risiken identifizieren, analysieren, kontrollieren und sie innerhalb vorgegebener Grenzen zu steuern, wird unter den neuen Geschäftsumständen als ein Wettbewerbsfaktor erster Güte wahrgenommen", sagt Helmut Perlet, Allianz AG. Selten lösen solche Einsichten Handlungen aus. Ausdauersportler wissen, dass tiefes Ausatmen ein tiefes Einatmen hervorbringt - und umgekehrt. Der Forderung der Aufsicht zum "Ausatmen" kann man mit Verweigerung begegnen. Rhetorisch klingen deren Einwände gut, Interessen sind berechtigt, Problemfelder werden verdrängt und Handlungspotentiale nicht erkannt.

Das methodische Rückgrat bilden Simulationen auf der Basis stochastischer Modelle. Sie bringen die Ergebnisse des Handelns auf den Gebieten Risikoadäquate Bepreisung, Versicherungstechnische Wertschöpfung und Renditeorientierte Kapitalzuteilung in ihrem Wechselspiel mit dem dabei erreichten Solvabilitätsgrad in Verbindung.

Stochastische Modelle und Simulation

In den Versicherungsunternehmen bedarf es hierzu eines methodischen Rückgrats. Neben der Bewertung und Bewichtung der sich abzeichnenden Entwicklung besteht die Möglichkeit, die für die Versicherungsunternehmen relevanten Auswirkungen konkret zu erkunden und sich auf sie ausgestaltend einzustellen.

Die methodischen Ansätze kommen aus reinen versicherungsmathematischen, aus fundamentalen finanzmathematischen aber auch aus bedienungstheoretischen und zuverlässigkeitstheoretischen Modellen. Die Bepreisung, die Wertschöpfung und die Kapitalzuteilung werden modellgetrieben "detailgetreu" nachgebildet. Eine hierarchische Modellierung ermöglicht die Weiterverwendung einmal erstellter stochastischer Modelle als künftige Teilmodelle.

Die Simulationen dieser Modelle sind statisch oder dynamisch und ereignisgesteuert. Als "Stichprobendaten" werden zum Beispiel Risikoprämien, Abschlußkosten, Verwaltungskostenvergütungen, lfd. Verwaltungskosten und Amortisationskosten genutzt und erzeugt. Aus den realen Geschäftsdaten gewinnt man Start-Kennwerte der Modelle (notwendige Risikoprämie, den Kosten zugrundeliegende Erwartungen, Bruttoprämie usw.). Wechselwirkungen zwischen den unterschiedlichen Risikoarten sollten berücksichtigt werden.

Die Modelle repräsentieren das qualitative Verständnis, das auch gewisse quantitative Folgerungen induziert beziehungsweise solche ausschließt. Das quantitative Verständnis ist allein in Parametern und Kennwerten aufgehoben.

Gelingt es, risikonah in dem vertriebsegmentierten Versicherungsgeschäft mit Methoden des Data Mining weitere Differenzierungen der Risiken aufzuspüren, dann fördern diese Erkenntnisse und systematisches Probieren eine risikogerechtere Bepreisung und die vermögensgerechte Sicherung der Solvabilität des Unternehmens.

Die Versicherungsprodukte werden mit "Tarifen auf Probe" ausgestattet. Mittels risikobezogener Simulation werden die Bestands- und Neugeschäfts-Risiken virtuell mit diesen Tarifen versehen und die versicherungstechnischen Verbindlichkeiten ermittelt. Unter verschiedenen angenommenen rechnungsgemäß gebildeten - also risikobasierten - Vermögensblöcken kann die Kapitalallokation simuliert werden. Dabei müssen die jeweiligen Anlagevorgaben, der Einsatz des übrigen gebundenen Vermögens und des Eigenkapitals eingehalten werden. Beispielsweise kann dabei eine in Erörterung befindliche Veränderung von Anlagevorschriften für Eigenmittel mit anderen Auswirkungen verglichen werden. Die Renditeerwartung steigt bei Berücksichtigung der Anlagevorgaben der regulierenden Stellen für die einzelnen Vermögenstöpfe nicht linear mit dem Risiko. Wertorientierung ist Rendite-Risiko-Management.

Der Vergleich der Simulationsergebnisse unterschiedlicher Versicherungsunternehmen oder heterogener großer Bestände kann über Erstjahreseffekte, die Auswirkung von verlagerten Steueraufwendungen und -erträgen sowie über eine vermutete Prozyklizität informieren.

Tools

Tools sollten ohne IT-Fachkenntnisse anwendbar sein.

Von der IT wird die Bereitstellung von Simulationstools erwartet, die ein Controller ohne interne Kenntnisse von Simulationssprachen und Informationstechnik bedienen kann. Die Geschäftsprozess-Transformation muss ohne IT-Experten möglich sein.

Toolbasiert muss die Anlehnung an eine Vielfalt versicherungsspezifisch ausgestalteter Modelle erfolgen. Die Annäherung an die Modell-Risiken in den Risiko-Modellen sollte zunächst mit den dem Controller weitgehend vertrauten Elementen erfolgen, wie Geschlecht und Alter der versicherten Personen, Storno- und Sterbewahrscheinlichkeiten. Dazu gehören außerdem unter anderem rechnungsmäßige Risiko-, Spar- und Kostenprämie, Normrisikoprämie, Rückkaufwert, überrechnungsmäßige Abschlußkosten, Garantiezins, Überschussbeteiligung, ungezillmerte Prämien. Verdiente Prämie und Rechnungszins. Dabei handelt es sich um Aggregate, die sich nicht mehr auf den einzelnen Vertrag beziehen. An ihnen werden die Auswirkungen von Unternehmenseinflußnahmen sichtbar.

Umfangreiche spezifische statistische Werkzeuge mit Leistungshöheverteilungen, Sterbe-/Überlebensverteilungen, Krankheitseintritts-/-dauerverteilungen, Berufsunfähigkeitseintrittsverteilungen und Kappungsparameter für langanhaltende Krankheiten sollten die Modellbildung ergänzen.

So gerüstet können beispielsweise Auswirkungen bei einem Nichterreichen des kalkulierten Absatzes, Übersteigen des Frühstornos und Ausbleiben des Spätstornos erforscht werden. Für verschiedene nichtrisikoadäquate Anforderungen (z. B. Unisex- und Türöffner-Tarife) kann die Bindung des Kapitals für die Wertschöpfung in der Versicherungstechnik und der Umfang des Restes vom Eigenkapital und dessen höchste risikoadjustierte Rendite ermittelt werden. Die Bewertung einer Risikoeingrenzung (zum Beispiel durch den Einkauf einer Rückdeckung) kann einbezogen werden. Die Auswirkungen der Finanzierung von Provisionen bei eingeschränkter Zillmerung kann man datengestützt vorab erschließen.

Risikoorientierte Steuerung

Aufsichtsmodelle gehen von den Gegebenheiten auf Unternehmensebene aus. Allerdings kann an den globalen Eingabegrößen variiert werden. Der interne Zusammenhang zum eingegangenen Risiko selbst (auf Vertragsebene) bleibt dabei außen vor (z. B. der Einfluß auf die Vermögensblöcke, das notwendige Sicherungskapital, den Umfang des Risikokapital usw.). Die Risikoabschätzung in weitgehend unabhängig agierenden Unternehmenseinheiten ist höchst problematisch.

Auf Versicherungszweigebene gibt es für Streßtests Gewichtungsvorgaben wie beispielsweise für das Forderungenausfallrisiko und Kapitalanlagerisiko (Adressenrisiko, Marktänderungsrisiko, Konzentrationsrisiko). Auch hier stehen die Risiken scheinbar beeinflussungslos nebeneinander. Das Ziel, mit solchen globalen Modellen zu testen, ob aus ökonomischer Sicht das gezeichnete Risiko die Risikotragfähigkeit des Unternehmens nicht übersteigt, wird in einer Phase des Nichtvertrautseins mit sich ausgestaltenden Solvabilitätsanforderungen nicht erreicht werden können.

Die Steuerung muss risikonah ansetzen. Der Vergleich der zufälligen Belastung mit der zufälligen Belastbarkeit stellt bei der Bepreisung von Risikoprodukten, bei der internen Rechnungslegung, beim Risiko-Controlling und bei der Bestimmung des Ertrags und der Aufwendungen bei der Kapitalanlage eine Methode dar, die auch vorab zur Simulation von Management-Entscheidungen und der Entwicklung von Szenarien benutzt werden kann. Das hierbei erworbene Wissen kommt der Entwicklung "interner Modelle" aber auch dem Umgang mit "Standard-Modellen" zu Gute. Die gesammelten Erfahrungen sollten dazu dienen, ein gut funktionierendes Risikoüberwachungs- und Informationssystem aufzubauen. Risikomanagement erfolgt in allen Bereichen. Die IT kann innovativ wieder zu ihrem Versicherungsunternehmen zurückfinden. Die IT-Ausstattung wird an die sich formenden Anforderungen angepaßt.

Dr. Walter Warmuth ist Berater bei der Lantenhammer Unternehmensberatung in München.