Analysten-Kolumne

IT zwischen Offshore und "Inhouse"

30.08.2006 von Steffen Böhm
Die Kosten- und Qualitätsanforderungen für IT-Leistungen innerhalb von Unternehmen sind in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Trotz einer verbesserten wirtschaftlichen Situation bei den meisten Unternehmen, sind deren IT-Budgets nicht oder nur sehr gering erhöht worden. Damit stellt sich die Herausforderung eines "do more with less". Wie reagieren europäische IT-Verantwortliche darauf und was unterscheidet Unternehmen, die der Transformation in der IT-Leistungserbringung vorangehen von solchen, die der Entwicklung hinterhinken?

Auf der einen Seite des Spektrums nutzen fortschrittliche Unternehmen diese Chance und lagern sinnvolle Arbeitspakete an Drittanbieter aus. Bestmögliche Konditionen realisieren sie dabei durch den Einkauf von Standardleistungen und die Bündelung von Bedarfsmengen. Bei der Identifikation von für sie relevanten Arbeitspaketen nutzen sie Service-Portfolios, die neben dem Produktkatalog (Kundenperspektive) auch die Leistungskomponenten (Beschaffungs- bzw. Produktionsperspektive) umfassen.

Analog zur Automobilindustrie, wo mehrere Modelle eines Herstellers durchaus identische Komponenten wie Motor, Getriebe oder auch die Bodengruppe nutzen, kommt es auch in der IT zunehmend darauf an, die Produktionskosten durch einen modularen und serviceorientierten Ansatz weiter zu senken. Bei der Beschaffung machen sich diese Unternehmen den globalisierten Markt zunutze und kaufen oder erbringen IT-Leistungen in jeweils den Ländern, die für eine bestimmte Aufgabe die optimalen Rahmenbedingungen liefern ("Rightshoring").

Auf der anderen Seite des Spektrums stehen Unternehmen, die nach wie vor über Anreizstrukturen verfügen, die die Eigenfertigung systematisch dem Fremdbezug vorziehen. Das kann beispielsweise an der Entlohnung von Führungskräften nach der Größe der Abteilung liegen oder an der Verwendung von Kennzahlen, die sich an der internen Ressourcenauslastung, aber nicht an Deckungsbeiträgen orientieren. Diese Unternehmen produzieren IT-Leistungen meist zu deutlich höheren Kosten, da sie historisch gewachsene Strukturen nicht aufgebrochen haben.

Dort wo IT-Leistungen gezwungener Maßen aus dem eigenen Unternehmen bezogen werden müssen sind den Geschäftsverantwortlichen die Hände gebunden. Sie müssen die oft im Vergleich zur Konkurrenz höheren IT-Kosten schultern und dennoch im Wettbewerb bestehen.

Wertschöpfungstiefe variiert nach Branche und Land

Capgemini hat mit über 160 CIOs europäischer Unternehmen in Einzelgesprächen über die geplanten Änderungen der nächsten Jahre diskutiert (siehe Capgemini: European CIO Survey 2006 - Views on future IT delivery). Zunächst - wenig überraschend - zeigt sich ein deutlicher Einfluss des Sektors auf die IT-Wertschöpfungstiefe. So ist die eigene IT-Wertschöpfung in der Finanzdienstleistungsbranche mit 70 Prozent nach wie vor sehr hoch, während sie in der Telekommunikation mit 30 Prozent deutlich geringer liegt. Branchenübergreifend wird nach Planung der befragten Unternehmen der Anteil der eigenen Wertschöpfung von derzeit 63 Prozent innerhalb von zwei Jahren auf 51 Prozent des IT-Budgets sinken.

Auch das Stammland eines Unternehmens hat einen großen Einfluss. So liegen Großbritannien und Irland beim Outsourcing in Off- und Nearshore-Gebiete auch aufgrund der niedrigeren sprachlichen Barriere mit derzeit 15 Prozent des IT-Budgets vorne. Das deutschsprachige Europa folgt mit sechs Prozent knapp vor Skandinavien.

Die befragten Unternehmen gaben an, diesen Anteil in den nächsten zwei Jahren verdoppeln zu wollen. Mit deutlichem Rückstand nutzen Frankreich und Spanien die internationalen Unterschiede in den Faktorkosten. Insbesondere in Deutschland und Österreich ergibt sich hierbei mit Osteuropa versus Indien eine Diskussion, die in anderen Ländern nicht mit vergleichbarer Intensität geführt wird. Beispielsweise ist in Großbritannien und Irland Indien als Offshoring-Standort weitgehend gesetzt. In Frankreich hingegen sind trotz geografischer Nähe Marokko oder Algerien als Nearshore-Produktionsstandorte für IT-Leistungen kein Thema.

Internationale Konzerne am auslagerungsfreudigsten

Überlagert werden die Einflussfaktoren Branche und Stammland auf den Bezug von IT-Leistungen jedoch von der Internationalität des Kerngeschäfts. Global tätige Unternehmen, die im weltweiten Wettbewerb stehen, haben sich in den letzten Jahren deutlich stärker transformiert als eher national agierende Unternehmen gleicher Größe.

Diese Tendenz gilt über Sektor- und Landesgrenzen hinweg und mit der Konsequenz, dass national tätige Großunternehmen deutlich weniger Leistungen aus Near- oder Offshore-Gebieten beziehen. Letztere geben etwa zwei Prozent ihrer IT-Budgets für Leistungen aus Niedriglohnländern aus, verglichen mit zwölf Prozent bei global tätigen Unternehmen. Daraus resultiert eine schlechtere IT-Kostensituation als in internationalen Großunternehmen, die häufig sogar eigene Offshore-Zentren etabliert haben ("captive offshoring").

Diese Handlungsoption ist für nationale Unternehmen aufgrund der internen Strukturen meist ausgeschlossen. Damit auch sie Kostenvorteile in den IT-Leistungen durch internationale Arbeitsteilung erzielen können bleibt ihnen nur das Outsourcing an einen Service Provider. Hierbei bietet sich an, zunächst wenig wettbewerbsrelevante Leistungen ("commodities") mit großem Volumen auszulagern. Aus strategischer Sicht wichtig ist in einem solchen Szenario, dass die IT-Steuerungskompetenz im Unternehmen verbleibt. Damit kann eine Abhängigkeit von einem Lieferanten vermieden werden und zumindest die Option eines späteren Insourcings bleibt erhalten.

Steffen Böhm ist Berater Business & Information Strategy bei Capgemini Deutschland GmbH in Berlin.