Versicherungen und IT

"Kann ich meine Facebook-Party versichern?"

19.09.2012 von Christiane Pütter
Vor allem die neue Mentalität der Konsumenten stellt Versicherer vor Herausforderungen. Zudem haben sie mit Compliance und Effizienzdruck zu kämpfen. Welche Rolle die IT spielen kann, darüber ist sich die Branche uneins. Das wurde beim Executive Think Tank "Insurance-IT" deutlich.

Im Bayerischen gibt es den Spruch von der "Eierlegenden Wollmilchsau", einer Art Wunderviech, das alles kann. So ähnlich dürften sich dieser Tage CIOs in Versicherungen fühlen - angesichts der Anforderungen an die IT. Die Branche ist im Umbruch. Welche Rolle die IT dabei spielen soll, darüber herrscht Unklarheit. Als drängendste Herausforderungen gelten drei Punkte: das veränderte Kundenverhalten, der Druck, effizienter arbeiten zu müssen, und Compliance.

Wer nun glaubt, bei einem gut aufgestellten Versicherer gelte heute der Grundsatz "die IT ist die Strategie", der irrt. So sieht es jedenfalls Jürgen Weiss, Vice President Research beim Marktforscher Gartner. Weiss ist auf Versicherungen spezialisiert und erklärt: "Die meisten Versicherungen haben keine Strategie." Die Unternehmen steckten im Operativen fest und blickten nicht über die kommenden drei bis vier Jahre hinaus.

Aber nicht nur das erschwert es IT-Entscheidern, die Rolle des Strategen zu übernehmen. Hinzu kommt, dass kaum CIOs im Vorstand von Versicherungen sitzen. Oft berichten sie an den COO (Chief Operation Officer) oder an ein Vorstandsmitglied, das etwa neben Human Resources noch IT mitverantwortet.

Weiss sagte das während einer Diskussion des Executive Think Tank "Insurance IT", den das Finance Forum Germany Mitte September in München veranstaltet hat. Mit seiner Position erntete der Analyst nicht nur Zustimmung. Auch ein weiterer Punkt sorgte für Kontroversen: regulatorische Vorgaben. Die einen sehen darin "ein Instrument zur Verhinderung erfolgreicher Geschäftsmodelle", die anderen "eine Chance, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln". Unstrittig ist eines: Entziehen kann man sich dem Thema nicht.

Dabei zeigte Ende vorigen Jahres eine Umfrage der PPI AG über MaRisk (Mindestanforderungen an das Risiko-Management), dass Regularien erheblichen Nutzen für Versicherer haben können. Drei von vier Entscheidern erklärten, sie nutzten nach Umsetzung der aufsichtsrechtlichen Vorgaben Synergien. Insbesondere profitierten Controlling und interne Kontrollsysteme. Das so ungeliebte Thema Compliance kann also durchaus gewünschte Verbesserungen in puncto Effizienz bewirken - ein Gedanke, der sich in der Branche offenbar nicht durchsetzt.

In Sachen Kundenbindungs-Management sieht Axel Liebetrau, Management-Berater aus Wiesloch, eine wesentliche Herausforderung beim Selektieren von Kunden. Herkömmliche Maßstäbe wie Bildung und Einkommen oder auch die Sinus-Milieus (sie gruppieren Menschen, die sich in ihrer Lebensweise und -auffassung ähneln) reichen heute nicht mehr aus, so der Consultant.

Er schlägt vor, Mediennutzung zu einem Unterscheidungskriterium zu machen, insbesondere im Hinblick auf neue Technologien. Dazu ein Beispiel aus den USA: Dort gibt es Mobiltelefone, die bei Kontakt mit der Polizei scheinbar auf "aus" gestellt sind - tatsächlich aber Audio- und Videoaufnahmen machen. Liebetrau: "Stellen sie sich vor, das tun Kunden beim Beratungsgespräch mit dem Versicherungsvertreter!"

Stichwort neue Kommunikationskanäle: Reinhardt Schink, Head of Market Analysis and Strategy bei der Allianz Deutschland, will sich andere Branchen zum Vorbild nehmen. Beispiel IT-Hardware: Wer einen PC kaufe, bei dem gehe nach der Erstinstallation ein Fenster auf mit dem Hinweis, wo er bei Fragen anrufen könne. Schink: "Das ist ein gutes Erlebnis für den Kunden." Hier hinke die Finanzbranche hinterher.

"Es wird niemals Geschäfte ohne Menschen geben"

Für den Hamburger Berater Jörg Forthmann ist ein weiterer Punkt nicht mehr zeitgemäß: die Art, wie Versicherer Risiko-Cluster bilden. Was zu der Frage führt, wo neue, junge Verbraucher Risiken sehen. Vielleicht treibt sie der Gedanke um, wie sie ihre Facebook-Party versichern können. Hartmut Goebel, selbstständiger Informatiker aus Landshut, weist bei aller Social-Media-Begeisterung jedoch darauf hin, dass Kunden den Versicherungen vertrauen müssen. Skandale wie bei der Ergo gingen nicht spurlos an den Menschen vorbei. So sieht es auch Berater Liebetrau: "Es wird niemals Geschäfte ohne Menschen geben."

Zwischen großen Worten von versicherten Facebook-Partys und vertrauensvollen Kunden stellt sich die Realität der Versicherungs-IT für Gartner-Analyst Weiss dann aber doch profaner dar. Er beobachtet, dass CIOs um zwei Fragen kreisen: Erstens die Modernisierung von Legacys. Teilweise hätte es die IT mit zehntausenden Systemen zu tun. Er höre öfter den Wunsch nach Standard-Software, so Weiss.

Alltag von CIOs hat nichts mit Modebegriffen zu tun

Zum Zweiten gehe es um Business Transformation, also ganz allgemein um die Frage, wohin sich die Branche entwickle. "Hier spielen Aspekte wie Social Media, Mobile und Cloud eine Rolle", so Weiss. Außerdem nennt er das Schlagwort Information und umschreibt damit den steigenden Bedarf an Daten über Kunden. "Das Modewort ‚Big Data‘ verwende ich bewusst nicht", sagt Weiss. Der Arbeitsalltag von CIOs habe mit Modebegriffen nichts zu tun.