A.T. Kearney Studie

Keine Chance gegen Aldi, Lidl & Co.

03.04.2012 von Hartmut Wiehr
Deutsche kaufen keine Lebensmittel im Internet. Händler senken lieber die Preise, anstatt das Web für Differenzierung und Services zu nutzen.
Dann doch zu Aldi: Die meisten Deutschen haben Bedenken bei der Frische der Lebensmittel und kaufen deshalb lieber nicht im Internet ein.
Foto: ALDI Einkauf GmbH & Co. oHG - Unternehmensgruppe ALDI SÜD

Wer in Deutschland zu einer klitzekleinen Minderheit gehören will, hat es leicht. Er muss sich nur dahin outen, dass er gerne bei einem Online-Shop Lebensmittel einkaufen möchte. Ein solches Interesse führt gerade einmal zu einem Umsatzanteil von 0,2 Prozent am gesamten deutschen Lebensmittelmarkt. In Großbritannien dagegen sind es schon 4,5 Prozent, und im Großraum London noch mehr. Auch in der kleinen Schweiz liegt der Anteil deutlich höher als hierzulande.

Die Marktforscher von A.T. Kearney drücken es in ihrer Studie „Online-Food-Retailing – Nischenmarkt mit Potenzial" auf drastische Art und Weise aus: "Anders als beispielsweise in Großbritannien sind die Verbraucher in Deutschland noch äußerst zurückhaltend, wenn es darum geht, Lebensmittel über das Internet zu beziehen: So hat im Jahr 2010 jeder Deutsche im Schnitt für rund zwei Euro Lebensmittel über das Internet bestellt, in Großbritannien waren es pro Kopf 82 Euro." In Deutschland entspricht das einem Anteil am Gesamtumsatz im Lebensmittelhandel von gerade einmal 200 Millionen Euro (0,2 Prozent), während es jenseits des Kanals bereits stolze 5,5 Milliarden Euro (4,5 Prozent) sind.

Direkt im Anschluss an diese eindeutige Aussage schlägt A.T. Kearney dann aber eine beachtliche Volte und macht aus "äußerst zurückhaltend" ohne Übergang "enorme Wachstumspotenziale": "Der Online-Lebensmittelhandel hat aber das Potenzial, bis zum Jahr 2016 von derzeit 0,2 auf 1,5 Prozent des gesamten deutschen Lebensmittelmarktes anzuwachsen."

Die ernüchternden Zahlen gehen aus einer Studie hervor, die A.T. Kearney zusammen mit der Universität Köln durchführte. Dafür wurden rund 700 Verbraucher sowie Führungskräfte aus dem Einzelhandel befragt. Laut Studie verfügen 82 Prozent der befragten deutschen Verbraucher über keinerlei Erfahrung mit dem Online-Lebensmittelhandel. Lediglich weniger als ein (1) Prozent kauft monatlich Lebensmittel über das Internet ein. Wie die Marktforscher ermittelten, haben die Konsumenten hauptsächlich Bedenken bei der Qualität frischer Lebensmittel.

A.T. Kearney rät klassischen und Online-Retailern, zunächst das Vertrauen der Kunden zu gewinnen, wenn sie in diesen Markt mit Potenzial einsteigen wollen. Außerdem sollten sie ihre eigene Wertschöpfungskette zum Beispiel bei Lagerhaltung und Auslieferung effizient ausgestalten.

Chance für Nischenanbieter

Den traditionellen Händlern legen die Unternehmensberater nahe, dass sie ein Online-Lebensmittelangebot als ein wesentliches Differenzierungsmerkmal im ohnehin hartumkämpften Wettbewerb nutzen sollten. Reine Online-Händler sollten dagegen "ihre Anstrengungen auf größere Städte und Ballungszentren fokussieren".

Der deutsche Lebensmittelhandel ist schon seit Jahren geprägt von einem starken Konkurrenzkampf und einem vor allem an niedrigen Preisen interessierten Publikum. Qualität ist in diesem Markt nicht so sehr gefragt – Hauptsache billig. Aldi, Lidl und weitere Anbieter haben eine marktbeherschende Stellung gewonnen – die große Mehrheit der deutschen Konsumenten kauft hier ein. Dies hat im Unterschied zu anderen Ländern Folgen für die Chancen von Online-Händlern, ebenfalls in den Lebensmittelhandel einzusteigen.

Lieferung nach Hause und Einzigartigkeit der Produkte sind die wichtigsten Kriterien für den Einkauf von Lebensmitteln im Internet.
Foto: A.T. Kearney

Nur allmählich trauen sich einige Händler in ausgewählten Regionen aus der Deckung, darunter Rewe, Real oder Globus. Zu den reinen Online-Händlern für Lebensmittel gehören in Deutschland Gourmondo oder lebensmittel.de. Auch Amazon versucht sich seit einiger Zeit auf diesem Gebiet.

Nischenanbieter, so A.T. Kearney, könnten sich bei einem Minderheitenpublikum selbst bei höheren Preisen etablieren. Allerdings sei genaue Planung bei Sortiment und Geschäftsabwicklung erforderlich.

Chance zur Differenzierung

Neue Web-Shops haben gute Chancen, beim Online-Handel mit Lebensmitteln akzeptiert zu werden.
Foto: A.T. Kearney

Mirko Warschun, Partner bei A.T. Kearney und Leiter des Beratungsbereiches Konsumgüterindustrie und Handel in Deutschland, Österreich und der Schweiz, resümiert: "Aufgrund des hohen Preisdrucks im deutschen Einzelhandel haben Händler in den vergangenen Jahren ihre Preise häufig eher gesenkt, anstatt Differenzierungsmerkmale und Services weiterzuentwickeln. In Großbritannien oder auch der Schweiz wurde beispielsweise die Service-Orientierung relativ früh als Chance zur Differenzierung gesehen."

Und er fügt hinzu: "In Deutschland ist der Online-Lebensmittelhandel noch ein Nischenmarkt, hat aber dennoch Potenzial."