Risikoprofile

Kfz-Versicherer wollen mit Fahrerdaten verdienen

07.01.2014 von Christiane Pütter
Mit Informationen aus Datenboxen oder Airbag wollen Autoversicherer Risikoprofile der Fahrer erstellen. Das soll Versicherungsprämien einfließen, wie Bain berichtet.
Der moderne Fahrer ist nicht mehr allein. Big Data fährt mit.
Foto: Minerva Studio/Fotolia.com

Hinter Kürzeln wie I2V (Infrastructure to Vehicle) und V2V oder C2C (Vehicle to Vehicle beziehungsweise Car to Car) verbirgt sich der Einsatz von Telematik im Straßenverkehr. Navigationssysteme und Verkehrsleitsysteme sind Beispiele für den Versuch, den Strom der Autos besser zu lenken. Was diese Technologie für Versicherungen heißt, haben die Analysten von Bain & Company untersucht.

Nach den Zahlen von Bain glänzt die Kfz-Versicherungssparte nicht mit guten Umsätzen. Nach sechs defizitären Jahren soll dieser Bereich 2014 endlich aus dem Minus kommen. Ein Aspekt dessen ist die Technologie. Versicherer versuchen, Kosten und Risiken zu verringern, beispielsweise anhand kundenspezifischer Risikoprofile.

Datenbox, Pay as you Drive und Rabatte

Dafür können Kunden freiwillig eine Datenbox installieren lassen, die Informationen über das Fahrverhalten sammelt und der Versicherung weiterleitet. Wer sich an die Straßenverkehrsordnung hält, vorsichtig fährt und keine Unfälle baut, darf mit Rabatten von 20 bis 30 Prozent rechnen. Mittelfristig seien auch Tarife nach dem Motto "Pay as you Drive" denkbar, sagt Klaus Stricker, Partner und Leiter der Praxisgruppe Automobilindustrie in Europa bei Bain & Company. Er erwartet in bestimmten Kundensegmenten "reges Interesse" an solchen Telematikangeboten.

Ladies first
Sie traute sich: Bertha Benz setzte sich als erste ans Steuer, um eine Fernfahrt (damals 106 Kilometer) hinter sich zu bringen. Das Unternehmen Daimler Benz geht heute davon aus, dass sie damit den Grundstein für den kommenden Erfolg des Hauses legte. Von den Männern traute sich nämlich keiner, der Absatz des Automobils stand auf der Bremse. Doch nach Berthas Fahrt kam die Nachfrage in Schwung. (Anmerkung der Redaktion: Der Vorname wird in den meisten Quellen mit "h" geschrieben, obwohl der Fotograf "Berta" angibt.)
Charles Golvin, Forrester
Charles Golvin, Analyst beim US-Marktforscher Forrester, schreibt in seiner Studie "The connected car" über die Auswirkungen von immer mehr IT in den Autos.
IT-Nutzung an unterschiedlichen Orten
Im Büro, zuhause und im Internet-Café oder Hotel - dass an diesen Orten IT genutzt wird, ist bekannt. Forrester-Analyst Golvin fügt einen weiteren Aspekt an: In-vehicle. Denn Autos entwickeln sich zum rollenden Arbeitsplatz oder zum rollenden Wohnzimmer.
Welche Branchen Car-IT betrifft
Nicht nur Autobauer, Zulieferer und Mobilfunk-Anbieter müssen der wachsenden Bedeutung von Car-IT gerecht werden, sondern beispielsweise auch Versicherungen und Behörden. So könnten Autoversicherungen künftig nicht nur nach Faktoren wie Hubraum oder PS berechnet werden, sondern auch nach den vorhandenen IT-Komponenten.
Ansprüche an die IT im Auto
Die Ansprüche an IT im Auto sind längst über Navigationssysteme und Einparkhilfen hinausgewachsen. Wie Forrester-Analyst Golvin beobachtet, treiben insbesondere Kunden aus Südkorea und die junge Großstadtbevölkerung Indiens und Chinas mit ihrer Nachfrage Innovationen voran.
Fahrerloses Auto
Noch muss der Chauffeur selbst ran. Forrester hält es aber für realistisch, dass sich das fahrerlose Auto ab 2023 etabliert. Die technologische Entwicklung mache gute Fortschritte.

2015 startet das automatische Notrufsystem eCall

Für Oktober 2015 plant die Europäische Kommission die flächendeckende Einführung des eCall, das ist ein automatisches Notrufsystem für Autos. Das müssen Versicherer im neuen Jahr in ihre Kfz-Strategie einbauen, so Stricker weiter. Ziel sei, den Kunden am empfindlichen Punkt der schnellen Schadenregulierung besser zu betreuen.

Wie der eCall innerhalb der Bundesrepublik umgesetzt werden kann, dürfte noch Diskussionen auslösen. Erst im September 2013 forderte der deutsche Bundesrat Nachbesserungen an der Initiative aus Brüssel. So sei klarer zu regeln, welche personenbezogenen Informationen beim Auslösen eines Alarms übermittelt werden dürfen. Dabei müssten deutliche Grenzen festgelegt werden, erklärte die Länderkammer in einer Stellungnahme. Außerdem müsse die Verordnung regeln, welche "erweiterten" Informationen an welche privaten Dienstanbieter übersandt werden dürften und welche Stelle für die Datenverarbeitung zuständig ist.

Kritik an Datensammelei

Deutliche Worte findet die Hamburger Verkehrsrechtsanwältin Daniela Mielchen. "Es ist hanebüchen, welche Daten schon jetzt erhoben werden", sagte sie Anfang Dezember gegenüber der Zeit. Laut Mielchen sammelt allein das Steuergerät eines Airbags Werte zur gefahrenen Geschwindigkeit, der Beschleunigung und der Motordrehzahl. Oft sei es auch darüber informiert, wann der Fahrer angeschnallt ist oder ob ein Beifahrer neben ihm sitzt. Das seien alles wichtige Informationen, um eine korrekte Zündung der Airbags zu gewährleisten - aber eben auch Daten, die ein genaues Bild über das individuelle Fahrverhalten ergeben, wenn sie dauerhaft gespeichert werden.

Joint Venture von Volkswagen und Allianz

Zwei Unternehmen, die auf die technologischen Veränderungen bereits reagiert haben, sind die Allianz einerseits und Volkswagen andererseits. Im März 2013 hat die EU-Kommission ein Joint Venture durchgewunken. "Die Verknüpfung von fahrzeug- und fahrprofilbezogenen Daten schafft neue Möglichkeiten für maßgeschneiderte Angebote, die konsequent auf die Bedürfnisse bestimmter Kundensegmente ausgerichtet sind", lobt Stricker.

Versicherungen werden ihre Kfz-Policen künftig nach dem Baukastenprinzip gestalten. Kunden können eine Online-Basisversicherung durch Premiummodule ergänzen. Glaubt man Bain, stärkt das die Marge. Dabei sei es wichtig, dass die Verbraucher über alle Kanäle - Web, E-Mail, Telefon, persönliches Gespräch - Preise vergleichen und Optionen wählen können.

Mit den neuen technologischen Möglichkeiten sind für die Versicherungen Schlagworte wie Big Data und Analytics verbunden. Bain spricht von einer "Ausnutzung der Digitalisierung entlang der gesamten Wertschöpfungskette".

In Deutschland werden pro Jahr etwa drei Millionen Neuwagen verkauft. Der Markt kann als gesättigt gelten. Wer in einem Ballungszentrum lebt, ersetzt das eigene Auto zumindest teilweise durch neue Mobilitätsangebote wie Car-Sharing oder steigt auf Bus und U-Bahn um, weil die öffentlichen Nahverkehrsnetze besser werden, schreibt Bain.