Automobilbranche

Maschine spricht mit Maschine

27.09.2006
Autozulieferer und Lieferanten kommunizieren künftig über Web-Services. Eingriffe durch den Menschen sind immer seltener nötig.

Eigentlich sollten die Ingenieure von Autozulieferern ihre Zeit damit verbringen, die eigenen Produkte besser zu machen oder gar ganz neue Lösungen zu ersinnen. In der Praxis allerdings beschäftigen sich viele dieser hoch qualifizierten Mitarbeiter damit, die Lieferantenportale der großen Hersteller nach für sie relevanten Informationen zu durchsuchen, Datensätze mit den eigenen Beständen abzugleichen oder neue Produktspezifika einzupflegen. „Der Aufwand ist enorm“, so Reiner Schaaf, Leiter Information und Anwendungsintegration beim Automobilzulieferer ZF Friedrichshafen AG. „Jeder Zulieferer muss sich um bis zu 35 verschiedene Portale kümmern. Die Idee von B2B ist ja eigentlich, dass Prozesse miteinander kommunizieren, und das ist auch der Gedanke hinter dem Datenstandard EDI. Nur fehlen in vielen Bereichen etwa beim Reklamations- und Änderungs-Management noch die Standards“, erläutert Schaaf. „Außerdem sind EDI-Prozesse nicht für alle Arten von Geschäftsabläufen geeignet.“ Das verhindert eine nahtlose Mensch-Maschine-Kommunikation.

Datentransfer ohne Menschenhand

Die bisherigen Ansätze für überbetrieblichen Datenaustausch verlangen meist aufwändige bilaterale Abstimmungen oder nutzen proprietäre Technologien. Und die eignen sich keinesfalls für die so genannte „m:n“- Kommunikation. Das bedeutet, dass beliebige (m) Lieferanten mit (n) Kunden die gleiche „Sprache“ an den Prozess- und Systemschnittstellen sprechen. Dieser Austausch muss automatisiert, das heißt ohne ständige Eingriffe von Menschen vonstatten gehen, und er muss auch dann noch funktionieren, wenn sich das „m“ verändert, also etwa ein neuer Partner angebunden wird. Anders ausgedrückt: Das System soll einen Autozulieferer in die Lage versetzen, Daten friktionsfrei mit vielen verschiedenen Herstellerplattformen auszutauschen.

Um diese gigantische Aufgabe anzugehen, entstand Mitte vergangenen Jahres das Projekt SOA For Automotive; beteiligt daran sind neben ZF Friedrichshafen AG Autobauer BMW, die Zulieferer Hella, Magna Steyr und Siemens VDO sowie die Brancheneinkaufsplattform SupplyOn. Ziel dieser Partnerschaft ist es – wie der Name schon sagt –, eine Service-orientierte Architektur (SOA) zu schaffen. Dabei werden Prozesse durch eine Kette von Serviceaufrufen beziehungsweise Diensten durchgeführt. Ein solcher Aufbau sieht keine integrierte, einheitliche Applikation vor; vielmehr sind verschiedene Programmelemente auf mehrere Dienste – oder Services – verteilt. Grundlagen bilden offene Web-Service-Standards.

Info-Push statt Portal-Monitoring

Bezogen auf die Automobilbranche soll das in der Praxis dazu führen, dass eine Schnittstelle im IT-System des Zulieferers eine Anfrage an die Lieferantenplattform eines Herstellers schickt und damit einen automatisch ablaufenden Service auslöst. Das Ergebnis kann etwa sein, dass der Hersteller automatisch über geplante technische Änderungen informiert wird und die Spezifikationen bestimmter Teile aktualisiert werden.

Dass die Teilnehmer sich von den unzähligen Prozessen, die Zulieferer und Hersteller miteinander verbindet, für den Start des Projekts ausgerechnet das „Engineering Change“, also das Änderungs-Management, aussuchten, hatte einen einfachen Grund: „In diesem Bereich hatten alle in etwa denselben technischen Reifegrad“, erläutert ZF-Mann Schaaf, „oder man könnte auch sagen: ungefähr dieselben Herausforderungen.“ Dazu kam, dass mit der VDA-Empfehlung 4965 ein als reif angesehener Fachstandard vorlag.

Die praktische Arbeit begann Ende 2005. Von da an brauchte man in etwa ein halbes Jahr für die Konzeption und die Festlegung des Servicedesigns. Aktuell läuft die Arbeit an einer Pilotapplikation.

SOA für B-to-B: Kosten sinken enorm

„Abgesehen von der praktischen Anwendung im Änderungs- Management wollen wir evaluieren, inwieweit Service-orientierte Architekturen die B2B-Integration verbessern können“, so Projektleiterin Christine Legner vom Institut für Wirtschaftsinformatik der Uni St. Gallen. Die mit dem Projekt verbundenen Hoffnungen sind enorm. Das gilt natürlich für die Kosten. Hier sieht der Verband der deutschen Autoindustrie VDA ein Sparpotential von über 40 Prozent. Aber die Kommunikation könnte nicht nur günstiger werden, sondern die Abläufe auch erheblich schneller. Eine Pilotstudie für das Änderungs- Management zwischen einem Autohersteller und einem großen Zulieferer ergab eine mögliche Zeitersparnis von 50 Prozent.

Und auch bei der Qualität sind im Vergleich zum Ist-Zustand deutliche Fortschritte denkbar. Das gilt vor allem für die Fehlerhäufigkeit beim Datenabgleich, die bisher nach Ansicht aller Akteure zu hoch ist. Was übrigens nicht nur am notwendigen Eingriff der Menschen liegt: Um die Arbeit wenigstens ein bisschen zu erleichtern, setzen viele Unternehmen für die Kommunikation Agenten ein, die den Zulieferern Informationen aus Lieferantenportalen automatisiert auslesen. „Diese Agenten sind hilfreich, aber sie machen eben auch Fehler, sobald sich das Layout oder der Aufbau des Lieferantenportals ändert“, so Wissenschaftlerin Legner. Und Reiner Schaaf von ZF Friedrichshafen sieht diese kleinen Helfer noch aus einem anderen Grund nur als Übergangslösung: „Wir bleiben dabei gegenüber dem Hersteller immer in der Holschuld. Das heißt: Wir bekommen nur Informationen, wenn wir den Agenten auch losschicken.“