Many Users und Multi-Touch - Verzicht auf Maus und Tastatur

Microsoft "Surface" macht Tisch zum Computer

18.03.2009 von Hartmut  Wiehr
Microsoft hat auf der CeBIT einen Computer mit dem Namen "Surface" vorgestellt, der als Alternative zu herkömmlichen Kiosk- und POS-Systemen fungiert. Das Gerät wird als Tisch mit einem Bildschirm aufgestellt, der auf Handbewegungen, Berührung und die Platzierung realer Objekte reagiert. Je nach Applikationen eignet sich Surface für Retail, Healthcare oder Financial Services.
Microsoft Surface löst bisherige Kiosksysteme ab.

Bereits auf der CeBIT 2008 hat Microsoft-CEO Steve Ballmer die "5. Revolution" ausgerufen. Gemeint sind damit neue Formen von Usability, insbesondere die intuitive, einfache Bedienung der Oberflächen von Computern oder mobilen Geräten. Während ein Kiosksystem nur einen Touchscreen für einfache Informations-, Bestell- oder Einkaufvorgänge bereitstellt, erlaubt Surface mehr: Benutzer können gleichzeitig dreidimensionale Bilder ansehen, verschieben, vergrößern und verkleinern.

Damit kann der Microsoft-Tisch als Informationsgerät dienen, das zum Beispiel in einem Laden oder in einer Hotellobby aufgestellt wird. Es kann darüber hinaus Verkaufsgespräche unterstützen oder sogar ersetzen, da sich der Kunde oder Interessent zum Beispiel selbst auf mehr spielerische Art ein Auto nach seinen Farb- oder Ausstattungswünschen zusammenstellen kann.

Das könnte er natürlich auch über das Internet an seinem Computer tun, doch bringt Surface laut Microsoft eine zusätzliche interaktive Dimension hinzu: Wie man sich auf dem riesigen Microsoft-Stand in Hannover überzeugen konnte, ist der Surface-Tisch in der Tat geeignet für kommunikative Prozesse, sei es zwischen Kunde und Verkäufer, Arzt und Patient oder zwischen Familien und Gruppen. Auf der horizontalen, um 360 Grad drehbaren Benutzeroberfläche können so mehrere Anwender zeitgleich mit Informationen, Bildern, Grafiken und sonstigen Inhalten arbeiten. Wird Surface als Info-Terminal benutzt, lassen sich die ausgewählten Informationen auch direkt auf ein Handy übertragen.

Das Gerät ist ein weiteres Beispiel dafür, wie sich Microsoft allmählich von seinem klassischen Geschäftsmodell, Software-Lizenzen zu verkaufen, entfernt. Sogar Software-as-a-Service und Cloud Computing, also Miet- und Abrechnungsmodelle, gehören nun zum Portfolio des Giganten. Wie Deutschland-Geschäftsführer Achim Berg auf der CeBIT betonte, sieht man bei Microsoft keinen Widerspruch darin, auch Hardware wie die Xbox oder jetzt den Surface-Computer zu verkaufen.

Surface ermöglicht neue Kunden- und Patienten-Experience

Um Surface herum hat man eine Entwickler-Community eingerichtet, die sich um neue Applikationen und Anwendungsfelder bemüht. In Deutschland gehören dazu bis jetzt Alksolutions, avanade, Bassier-Bergmann & Kindle, designaffairs, neue digitale/razorfish, sariamo, szsygy, T-Systems und vectorform.

Für Clemens Lutsch, der den schönen Titel "User Experience Evangelist" bei der Developer Platform & Strategy Group von Microsoft trägt, geht es bei Surface um mehr als eine bloße Alternative zu den bekannten Kiosksystemen. Diese repräsentierten nur ein One-user-System mit begrenzter Funktionalität und spärlichen Eingabemöglichkeiten, während es bei Surface um ein gänzlich anderes Konzept gehe: many users, multi-touch, Verzicht auf Eingabegeräte wie Tastatur oder Maus und schließlich eine großflächige Darstellung. Außerdem hänge der Wirkungsgrad und die Attraktivität von den Applikationen ab, die die Partner aus der Community dafür entwickelten.

Surface ermöglicht neue Formen der Usability.

Evangelist Lutsch gerät ins Schwärmen, wenn er die soziale Komponente von Surface ausmalt: Die Anwender reagierten nicht einfach passiv, sondern in der Gruppe würden kooperativ Dinge wahrgenommen und zusammen umgesetzt. Es gehe um neue Möglichkeiten, Informationen aufzunehmen und gemeinsam zu verarbeiten oder miteinander Musik zu erstellen. Um der hinter solchen Ideen steckenden Usability-Theorie mehr Anerkennung und Durchsetzung zu verschaffen, hat sich sogar ein "Berufsverband der deutschen Usability und User Experience Professionals" gebildet (www.germanupa.de).

Anwender können zum Beispiel im Möbelgeschäft oder im Elektrohandel neue Möbel oder Geräte in Skizzen ihrer Wohnung eintragen bzw. herausfinden, wo sie am besten stehen sollten. Die Applikation schlägt ihnen bei einem TV-Gerät automatisch vor, welche Verkabelung oder Zusatzgeräte sie noch brauchen. Auch der Einkaufsprozess kann vereinfacht werden: Der Kunde wählt am Surface-Tisch Garantiezeiten, packt ausgewählte Waren in einen Warenkorb usw. Wo man normalerweise einen Berater bräuchte, kann sich der Kunde so selbst weiterhelfen, weil ihm ständig anschauliche Vorschläge und Alternativen angeboten werden. Damit kann Surface laut Lutsch zu einem neuen Einkaufserlebnis verhelfen.

Im Medizinbereich sieht Microsoft Einsatzgebiete in der Patientenberatung beim Arzt oder im Krankenhaus, da sich durch Grafiken und dreidimensionale Darstellungen nachvollziehbar darstellen läßt, wie zum Beispiel das Herz arbeitet, welche Einschränkungen auftreten und welche Heilmethoden angewendet werden können. Gesprächsergebnisse können direkt in die Patientenakte übernommen werden. Auch in der Ausbildung von Medizinern, in der heute zum Teil noch immer mit jahrzehntealten Holz- oder Plastikmodellen gearbeitet wird, sieht man Einsatzgebiete.