Neue Interoperabilität soll Vista-Verkäufe stützen

Microsoft will seine Software öffnen

22.02.2008 von Alexander Galdy
Nach dem Motto "Angriff ist die beste Verteidigung" wechselt Microsoft seine Strategie und will entgegen seiner jahrzehntelangen Geschäftspraxis wichtige Software-Schnittstellen für Programme wie Vista offenlegen. Das kündigte Microsoft-Chef Steve Ballmer an. Skeptiker zweifeln an der Kehrtwende des US-Konzerns. Also doch nur viel Lärm um nichts?
Wird alles anders oder bleibt doch alles beim Alten bei Microsoft? Konzern-Chef Steve Ballmer (Mitte) kündigte an, sein Unternehmen werde sich mehr für Kunden und Wettbewerber öffnen.

Der Strategiewechsel bei Microsoft kommt insofern überraschend, als dass der Software-Hersteller bisher eher für seine Blockade-Politik bekannt war. Das Feindbild war klar umrissen und richtete sich gegen freie Programmierer. Externe Entwicklungen ließ der Konzern nicht zu. In den Genuss kamen nur Partnerunternehmen, denen Microsoft dies explizit erlaubte.

Jetzt soll alles anders werden. Microsoft will sich für Partner und Wettbewerber öffnen und bislang als Betriebsgeheimnis gehütete Informationen nach außen geben. Ballmer sagte, der Vorstoß umfasse vier Bereiche: Microsoft wird künftig offene Verbindungen gewährleisten, die Übertragbarkeit von Daten vorantreiben, Industrie-Standards umfassend unterstützen und sich offener mit den Anforderungen der Kunden sowie der gesamten Branche auseinandersetzen. Dies soll auch die Open-Source-Gemeinschaft mit einschließen, die Microsoft als Wettbewerber bekämpft hatte.

Im Internet sollen als erster Schritt auf mehr als 30.000 Seiten Application Program Interfaces dokumentiert werden. Mit diesen sollen Programmierer ihre Anwendungen so schreiben können, dass sie sich reibungsloser mit Microsoft-Produkten verzahnen lassen.

Mit der Öffnung seiner Software-Plattform für Kunden und Wettbewerber wird Microsoft seine patentierten Erfindungen aber nicht unkontrolliert und kostenlos für eine kommerzielle Nutzung freigeben. Das machte Manager Horacio Gutierrez klar: "Wir werden zwar niemals gegen einen Entwickler gerichtlich vorgehen, der beim Schreiben seiner Programme unsere Technologie verwendet - egal ob sie patentiert ist oder nicht."

Auch weiter Lizenzen bei kommerzieller Vertreibung nötig

Sollte sich aber der Entwickler für eine kommerzielle Vertreibung der Software entscheiden, müsse er die verwendete Microsoft-Technologie lizenzieren. Dies solle zu industrieüblichen, nicht-diskrimierenden Bedingungen und zu sehr geringen Gebühren erfolgen. Für eine nicht-kommerzielle Verwendung würden dagegen keine Lizenzgebühren anfallen.

Bei der Öffnung der eigenen Plattform konzentriert sich der Konzern zunächst auf seine aktuellen Technologien wie Server-Programme. Spätestens bis zum Sommer sollen dann auch Protokolle veröffentlicht werden, die von der Büro-Software Office 2007 bei der Kommunikation mit anderen Microsoft-Produkten benutzt werden.

Kehrtwende soll Vista pushen

Zum älteren Betriebs-System Windows XP will Microsoft dagegen keine speziellen Informationen aufbereiten. Als Grund nannte das Unternehmen, dass die Dokumentation der wichtigsten Schnittstellen bereits im Rahmen der EU-Verfahren aus dem Jahr 2004 erfolgt sein. Außerdem sei die Bereitstellung extrem aufwendig und teuer.

Kritiker sehen noch einen anderen Grund dafür, dass Microsoft zwar die APIs für Vista, nicht aber von Windows XP herausgibt. Vista konnte sich seit seiner Einführung vor einem guten Jahr bisher noch nicht richtig auf dem Markt durchsetzen. Die meisten Anwender greifen nach wie vor lieber auf das altbewährte Windows XP zurück. Das könnte sich jetzt durch den Strategiewechsel bei Microsoft ändern. Programmierer können nun leichter und billiger an Vista herumschrauben und nach den eigenen Vorstellungen verbessern.

Microsoft war in den vergangenen Jahren von Konkurrenten aber auch verschiedenen Kartellbehörden vorgeworfen worden, Wettbewerber durch geschlossene Datei-Formate und eine abwehrende Technologie-Politik behindert zu haben. Zuletzt hatte der Konzern jedoch bereits Vereinbarungen mit Firmen wie Novell und Turbolinux getroffen, die eine Nutzung der Microsoft-Technologien ermöglichen.

Taktik für Wettbewerbsverfahren

Mit der angekündigten Kehrtwende bei der Unternehmens-Strategie will Microsoft auch einen Schlussstrich unter die noch laufenden Wettbewerbsverfahren der EU ziehen. Die Europäische Kommission hatte erst im Januar mit hohen Bußgeldern in Höhe von einer halben Milliarde Euro gedroht.

Die EU-Kommission ließ mit einer ersten Stellungnahme auch nicht lange auf sich warten. Sie begrüßt jede Verbesserung der Interoperabilität. Die Kommission kündigte aber bereits an, dass sie prüfen werde, ob die angekündigten Schritte tatsächlich umgesetzt werden. Die Ankündigung des Software-Riesen spiele zudem keine Rolle bei der Frage, ob Microsoft in unerlaubter Weise seine Produkte miteinander verknüpfe.

Zweifel an Ankündigung von Microsoft

Ob die Ankündigung tatsächlich eine Kehrtwende der bisherigen Microsoft-Strategie darstellt, ist fraglich, heißt es beim Branchen-Verband ECIS. Noch sei nicht einzuschätzen, ob der Konzern damit in Zukunft die Wettbewerbsregeln der EU einhält.

Dass Microsoft-Chef Ballmer "nur viel Staub aufwirbelt", davon ist die US-Publizistin Mary Jo Foley überzeugt. Der Konzern wäre mit der Veröffentlichung der 30.000 Seiten mit Windows-Programmzeilen nur dem nachgekommen, was von der EU-Kommission sowieso längst gefordert wurde, nur mit mehr Publicity. Auch künftig müssten Entwickler für die Verwendung von Microsoft-Code weiterhin Lizenzgebühren an Microsoft zahlen.

Für IDC-Analyst Rüdiger Spies kommt der Strategiewechsel von Microsoft keiner Kapitulation vor den Behörden gleich. Er sieht ihn eher so an, dass Microsoft dem Vorbild von IBM nachfolgt, das sich vor wenigen Jahren bereits in Teilen der Open-Source-Community öffnete. Der Schritt, den Microsoft jetzt gehe, berge zwar ein hohes Risiko. Eine Alternative dazu gebe es aber nicht.

"Unternehmen, die schnell wachsen, sind die mit offenen Schnittstellen", sagt Spies. Nur durch eine große Anzahl an freien Entwicklern könne eine Plattform publik werden und ihre Stellung im Markt vorantreiben. Microsoft hat scheinbar erkannt, dass mittlerweile Information die einzige Ressource ist, die im Wert steigt, wenn man sie teilt.

Für Anwender wird es kurzfristig keine Auswirkungen durch die Kehrtwende bei Microsoft geben, prognostiziert der Analyst. Sie werden auch weiterhin für Lizenzen zahlen müssen. Durch die Annäherung zwischen Open-Source und Microsoft werde es aber mittel- bis langfristig zu positiven Effekten führen. Die Auswahl an Produkten wird durch die Entwicklungen der freien Programmierer deutlich steigen.