Change Management

Mit ITSM zu neuer Unternehmenskultur

10.10.2016 von Florian Maier
Das Streben nach einer agileren Unternehmenskultur hat die Oshkosh Corporation dazu bewogen, sich von einem Klumpen schwerfälliger IT-Service-Management-Tools zu befreien.

Wer hätte gedacht, dass IT Service Management (ITSM) zur "Lingua franca" für 15 unterschiedliche Bereiche eines Unternehmens werden kann? Im Falle der Oshkosh Corporation - Hersteller von industriellen und militärischen Fahrzeugen - ist das genau so gelaufen. Das im US-Bundesstaat Wisconsin beheimatete Unternehmen hatte durch die Akquisition 15 verschiedener Firmen in den Jahren 1996 bis 2006 diverse technologische Silos aufgebaut. Beim Abbau derselben spielte ITSM eine Schlüsselrolle.

Schlanke Prozesse, gemeinsame Kultur

Für lange Zeit ließ man bei Oshkosh die einzelnen Abteilungen ihr eigenes "IT-Ding" machen. Nachdem im September 2015 Wilson Jones als neuer CEO das Ruder bei Oshkosh übernommen hatte, wurde diese Situation als nicht länger haltbar identifiziert und das Ziel ausgegeben, sämtliche Geschäftsprozesse zu verschlanken und zu vereinfachen. CIO Dave Schecklman zentralisiert deshalb die IT der Unternehmensbereiche und ist darum bemüht, einen zentralen Punkt für das IT-Management und neue Technologien zu etablieren.

Für eine Firma wie Oshkosh - die rund 12.000 Mitarbeiter in den USA, Europa und Asien beschäftigt - ist dieses Unterfangen nicht nur ein großes technologisches Projekt, sondern auch ein politisches, das eine Transformation der Unternehmenskultur mit sich bringt, wie Schecklman verdeutlicht: "Wenn Sie Familienunternehmen kaufen und sie anschließend integrieren wollen, ist es sehr schwierig, Synergien herzustellen, ohne dabei deren Unternehmenskultur komplett zu zerstören. Das war eine Herausforderung für mich."

Hochschule St. Gallen über "Rollen, Prozesse und Führung in der digitalen Transformation"
Digitale Transformation
Wie sieht die digitale Transformation in der Praxis aus und welche Auswirkungen hat sie auf Führungs- und Unternehmenskultur? Um diese Frage kreist der zweite Teil einer groß angelegten Studie der Hochschule St. Gallen (HSG). Deren Institut für Wirtschaftsinformatik hat dabei mit T-Systems Multimedia Solutions und dem Bundesverband Digitale Wirtschaft zusammengearbeitet. Die Ergebnisse sind unter dem Titel „Rollen, Prozesse und Führung in der digitalen Transformation“ dokumentiert.
Vier Wege
Die HSG skizziert vier Möglichkeiten: Entweder benennen Unternehmen einen CDO oder eine Digital Unit. Alternative ist ein Stab, der abseits vom Tagesgeschäft und außerhalb der Linienorganisation arbeitet, oder ein Unternehmen, das digitalisiert genug ist, um die Verantwortung nicht zentral verorten zu müssen. Das ist bisher allerdings ein Ideal.
Neues Job-Profil
Einer der Befragten sagte, die Unternehmen bräuchten einen Manager mit speziellem Job-Profil, der IT- und Strategiekompetenz kombiniere. Oft seien das allerdings "teure Leute, die man sich nicht leistet".
Adidas-Gebäude "Pitch"
Der Sportartikelhersteller Adidas hat ein neues Gebäude namens "Pitch" hochgezogen. 300 Mitarbeiter testen aus, wie Menschen in Zukunft arbeiten wollen.
Arbeiten im "Pitch"
Adidas hat den "Pitch" nach neuen, luftigen Arbeitsplatzkonzepten ausgerichtet, die die Kollaboration erleichtern sollen.
Essen im "Pitch"
Im "Pitch" muss dank großer Küche niemand hungern.

Neue Unternehmenskultur dank ITSM-Software

Der Bereich IT Service Management ist Teil eines breiteren Marktes - des für sogenannte Problem Management Software. Der brachte es laut den Analysten von IDC im Jahr 2015 auf ein Gesamtvolumen von zwei Milliarden Dollar. ITSM selbst ist ein "No-Brainer", wenn es darum geht, Unternehmens-Technologien instand zu halten.

Sobald ein Mitarbeiter Probleme hat - beispielsweise dabei, auf bestimmte Unternehmens-Software zuzugreifen - können sie ganz einfach ein Helpdesk-Ticket erstellen, das anschließend einem IT-Spezialisten zur Lösungsfindung zugeteilt wird. Als Schecklman seine Stelle als CIO im Jahr 2011 angetreten hatte, musste er jedoch relativ schnell herausfinden, dass dieses Modell in einem Unternehmen mit 700 IT-Experten, die unterschiedliche Tools und unterschiedliche Begrifflichkeiten für verschiedene Probleme nutzen, nicht so gut funktioniert.

Zunächst plante der Oshkosh-CIO deshalb, das IT Service Management mit Hilfe von Software aus dem Hause BMC zu vereinheitlichen. Zu deren Kunden gehören unter anderem Monsanto, BMW und Rio Tinto. Das dies im Fall von Oshkosh nicht die richtige Lösung war, wurde relativ schnell klar: Laut Schecklman sei die BMC-Software zu kostspielig und schwierig zu implementieren gewesen. Noch dazu habe sie sich durch ein Übermaß an Einstellungsmöglichkeiten und Features als kontraproduktiv erwiesen, so Schecklman: "Die IT-Spezialisten haben sich mehr mit der Software an sich beschäftigt, als mit ihrer eigentliche Aufgabe: der Betreuung der Mitarbeiter."

Schecklman setzte daraufhin auf ServiceNow - neben BMC der laut Gartner Hype Cycle führende ITSM-Provider. ServiceNow - ursprünglich ein Cloud-Anbieter - zählt unter anderem GE Capital und die renommierte Yale University zu ihren Kunden.

ITSM, ITIL und Co. in Bildern
ITSM
ITSM steht als Kürzel für IT-Service-Management. Wikipedia definiert ITSM als „Gesamtheit von Maßnahmen und Methoden, die nötig sind, um die bestmögliche Unterstützung von Geschäftsprozessen (GP) durch die IT-Organisation zu erreichen“. ITSM beschreibe insofern den Wandel der Informationstechnik zur Kunden- und Serviceorientierung. Das ist soweit eine nachvollziehbare und gängige Definition, aber keineswegs die einzige. Eine andere findet sich im Glossar der aktuellen Version ITIL 2011. Demnach meint ITSM die Implementierung und das Management von qualitativen IT-Services, die den Anforderungen des Business genügen.
ITIL
ITIL – Kürzel für IT Infrastructure Library – wurde ursprünglich seit den 1980er-Jahren von einer britischen Regierungsbehörde entwickelt. Die bis 1998 vorliegenden Dokumente der Sammlung von vordefinierten und standardisierten Prozessen, Funktionen und Rollen wurden nachträglich zur Version 1 erkoren. Bis 2003 lag Version 2 vor. 2007 folgte eine dritte Version, die als ITIL V3 bekannt wurde. Diese wurde bis 2011 aktualisiert und unter dem Namen „ITIL 2011 Edition“ veröffentlicht. Es handelt sich dabei um die bisher aktuellste Version der Best Practice-Sammlung, die jeweils an die individuellen Voraussetzungen des Anwender-Unternehmens angepasst werden muss.
Change Management
Durch eine Reduzierung von Vorfällen und Problemen bei Veränderungen ergeben sich im Ideal direkte positive finanzielle Effekte. Zu den Vorteilen zählen außerdem ein bessere Steuerung von Veränderungen und eine verbesserte Zusammenarbeit über Teamgrenzen hinweg, was mit einer verbesserten Risiko- und Folgenbewertung von Veränderungen einhergeht.
Incident Management
Das Incident Management umfasst Ereignisse, die ein ordentliches Erbringen des Services gefährden, stören oder unmöglich machen. Das Ziel ist es, die gewünschte Servicequalität so schnell wie möglich wiederherzustellen. Die geschäftlichen Auswirkungen von Vorfällen sollen minimiert werden.
Service Desk
"Der einzige Kontaktpunkt zwischen dem Service Provider und den Usern“, definiert ITIL 2011. "Ein typisches Service Desk managt Incidents und Service-Anfragen und übernimmt außerdem die Kommunikation mit den Nutzern." Ein Service Desk soll dabei helfen, immer Sinne einer maximalen Business-Produktivität Probleme schneller zu beheben und die IT-Ressourcen optimal einzusetzen.

Um die Software-Architektur auszurichten und einen Übergangsplan zu schmieden, heuerte Oshkosh zudem Greg Downer an, einen erfahrenen IT-Entscheider, der bereits Erfahrungen mit ServiceNow gesammelt hatte. In der Zwischenzeit kümmerte sich Schecklman in Kooperation mit der Buchhaltung, dem HR-Department und anderen Abteilungen darum, "schlechte" Datensätze zu identifizieren, beziehungsweise zu bereinigen, die den Echtzeit-Prozessen der ServiceNow-Software im Wege gestanden wären.

Bei der Implementierung der ITSM-Software schuf das Team schließlich ein Set von abteilungsübergreifenden Management-Modulen, die auch zur internen Kommunikation verwendet werden können. Der vereinheitlichte Workflow machte in der gesamten Prozesskette von Oshkosh satte 36.000 unnötige Genehmigungsvorgänge überflüssig. Drei Monate nach der Einführung des Programms schaltete Oshkosh auch die Analytics-Funktion zu, die die IT-Abteilung sofort informiert, wenn das ITSM-Aufkommen einen bestimmten Toleranzbereich überschreitet und manuelles Eingreifen nötig wird.

Laut Schecklman sorgt der Einsatz einer Lösung auch für die akkurate Erfüllung von Compliance-Vorgaben beim Help-Desk-Service: "Nachdem diese Hürde beseitigt war, kann ich völlig transparent und länderübergreifend meiner Aufgabe nachgehen."

Die Implementierung war so erfolgreich, dass andere Abteilungen das ITSM-Tool ebenfalls einsetzen wollten.

Probleme in ITSM-Projekten
Der Teufel steckt bekanntermaßen im Detail
Wenn ein IT-Services-Management umgesetzt werden soll, kommt es immer wieder zu denselben Schwierigkeiten. Wie lassen sie sich umgehen oder beseitigen?
1. Aufgelaufene Kosten sind kein Argument
Wenn Entscheidungen zum weiteren Verlauf eines Projekts anstehen, werden die bereits investierten Kosten gern als Argument genannt. Das ist nicht zielführend. Es gilt, an den entscheidenden Stellen des Projekts einen zukunftsbezogenen Business Case zu erstellen.
2. Kein Projekt ohne ausreichende Ressourcen
Nicht nur ITSM-Vorhaben werden häufig ad hoc gestartet. Das heißt: Es sind noch keine ausreichenden Ressourcen verfügbar. Das liegt oft daran, dass die Berechtigungen zur Ausgabe des Projektmandats überhaupt unklar sind. Abhilfe kann die Einführung eines Projekt-Management-Prozesses schaffen. Dabei sollte unbedingt eine Zuständigkeitsmatrix erstellt werden. Sie gibt an, welche "Rollen" einen Projektauftrag erteilen können - und zwar differenziert nach Projektgröße und -typ.
3. Grundverständnis geht vor Lösungsansatz
Bei der Projektplanung wird zu schnell über konkrete Lösungsansätze und dafür erforderliche Aktivitäten gesprochen - ohne dass ein einheitliches Verständnis hinsichtlich der genauen Ziele besteht. Die Projektplanung sollte konsequent auf die zu liefernden Ergebnisse ausgerichtet sein. Dabei sind diese Ergebnisse möglichst exakt und in einer messbaren Kategorie zu beschreiben (Spezifikation des Ergebnisses, Form, Umfang, Qualität etc.).
4. Besser Kanban als Bildschirm oder Beamer
Umfangreiche Projektpläne lassen sich nicht am Bildschirm oder über Beamer visualisieren. Stattdessen ist es sinnvoll, die Kanban-Methode zu nutzen. Das heißt: Visualisierung auf großen Wänden und Verwendung von Karten für die einzelnen Tasks. Das hilft, komplexe Zusammenhänge für alle Beteiligten auf den unterschiedlichen Hierarchiestufen darzustellen.
5. Jeder muss seine Rolle im Projekt kennen
Viele Ansprechpartner sind sich ihrer Rolle in den Projekten nicht bewusst. Sie sollten aktiv in die Vorhaben eingebunden werden - über Use-Case-Definitionen und die gemeinsame Entwicklung eines Kommunikationsplans.
6. Der Informationsfluss darf nicht stocken
Zu Projektbeginn ist das Team meist relativ gut informiert. Aber mit zunehmender Dauer sowie außerhalb des eigentlichen Projekts fehlt es häufig an Informationen. Um dem abzuhelfen, ist es sinnvoll, zu Projektbeginn eine Stakeholder-Analyse zu erstellen, aus der sich Form und Umfang der nötigen Informationen ableiten lassen. Dort kann auch definiert werden, wie die Akteure eingebunden werden sollen. Auf dieser Basis lässt sich ein Stakeholder-spezifisches Kommunikationskonzept aufsetzen.
7. Wenn der Fachbereich keinen Input liefert
Immer wieder krankt ein Projekt auch daran, dass der vereinbarte Input aus den Fachabteilungen ausbleibt. Da helfen zwei Maßnahmen. Zum einen müssen eindeutige Verantwortlichkeiten geschaffen werden. Zum anderen muss den Fachbereichen, auch durch Visualisierung über den Produktstrukturplan, eindrücklich klargemacht werden, wie abhängig das Gesamtprojekt von ihrem Input ist und welche Folgen die ausbleibende Lieferung hat.
8. Es geht einfach nicht ohne formale Anträge
eue Projekte und Serviceänderungen werden "on the fly" und ohne Spezifikationen direkt an einen Mitarbeiter der IT geleitet. Was ist dagegen zu tun? Es muss ein strukturiertes Verfahren zur Projektantragsstellung und -freigabe etabliert werden, verbunden mit der Definition von Verantwortlichkeiten zur Steuerung dieses Prozesses - beispielsweise durch einen IT-Koordinator.
9. Arbeitspakete beugen Verzögerungen vor
Mit den Kunden sind klare Termine vereinbart, die aber werden immerzu verschoben. Das schreit nach einem Workshop zur Definition der Arbeitspakete mit Abschätzung der Dauer durch Experten. Dabei ist eine genaue Priorisierung vorzunehmen, der Abstimmungsprozess zu überdenken und der Dokumentationsbedarf zu klären.
10. Alle müssen den Status des Projekts kennen
Während des Projekts ist häufig unbekannt, wo es eigentlich gerade steht. Damit alle Bescheid wissen, empfehlen sich eine kleine Website sowie ein Newsletter mit Reporting. Auf diese Weise kann jeder Stakeholder die Statusinformationen jederzeit abrufen.

Nach ITSM: Neue Herausforderungen

Nachdem das ITSM-Rätsel gelöst ist, kann Oshkosh sich nun auf dringlichere Angelegenheiten konzentrieren. Schecklman ist zum Beispiel gerade dabei, 15 verschiedene Finanz- und Buchhaltungssysteme zu konsolidieren. Das Ziel: ein gemeinsames Service-Modell.

Auch in Sachen IT-Security will Oshkosh aufrüsten, um das geistige Eigentum des Unternehmens zu schützen. Dazu zählen beispielsweise technische Details über neue Panzerfahrzeuge für den militärischen Einsatz. Laut Schecklman ist eine vielschichtige Sicherheitsstrategie auch unabdingbar, denn das Interesse der Hacker an Oshkosh steige mit jedem internationalen Großauftrag, den das Unternehmen erhalte.

Natürlich stattet auch Oshkosh inzwischen sämtliche Fahrzeuge - ähnlich wie auch Navistar, Caterpillar und andere Hersteller von industriellen Vehikeln - mit internetfähigen Sensoren aus, die im Hinblick auf Predictive Maintenance und die Auswertung von Telemetrie-Daten das "Leben" leichter machen: "Um den Herstellungsprozess weiter zu verfeinern, müssen wir sämtliche Daten, die in den Fahrzeugen gesammelt werden, auswerten", so Schecklman.

Trotz der tiefgreifenden Veränderungen bei Oshkosh ist der CIO überzeugt davon, dass seine IT-Entscheidungen die richtigen waren: "Unsere Kunden und der Markt mögen sich verändern, aber die Dinge, in die wir investiert haben, sind zeitlos."

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag unserer US-Schwesterpublikation CIO.com.

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