Strategie von Motorola Solutions

Motorola nach dem Handy-Desaster

11.07.2012 von Hartmut Wiehr
Nach dem Handy-Desaster hat das Image von Motorola gelitten. Mit dem Kauf von Psion und neuen Produkten startet der Motorola Solutions nun im Handel.
Motorola-Manager Eduardo Conrado glaubt, dass sein Unternehmen im Retail-Markt weiter expandieren kann. Auch deshalb hat man nach Symbol nun Psion gekauft.
Foto: Motorola

Nach dem Verkauf der Consumer-Sparte an Google will sich die verbliebene Motorola Solutions ganz auf die Business-Welt konzentrieren. Geräte und Software für Retail, Healthcare oder öffentlichen Dienst stehen im Vordergrund, wobei man sich auf der Applikationsseite weitgehend auf Partner verlässt. Die Ernsthaftigkeit der neuen Strategie unterstrich das Unternehmen jüngst durch die Übernahme des britischen Konkurrenten Psion, der sich seinerseits schon seit Jahren von Consumer-Geräten abgewandt hatte.

Zu Motorola gehört schon seit einiger Zeit auch Symbol, dessen Barcode-Scanner noch immer millionenfach die Kassen von klassischen Vor-Ort-Läden, sogenannten Brick-and-Mortar-Geschäften zieren. Wie der Hersteller Ende Juni auf einer Veranstaltung in New York ausführte, will man die Marktposition durch eine neue Phalanx von Geräten für den Handel weiter stärken.

IT soll helfen, Kunden effektiver zu beraten

Die Klammer, die die neuen Geräte miteinander verbindet, ist das Bemühen, die Mitarbeiter in den Retail-Geschäften so auszustatten, dass sie effektiver – und offensiver – die Kunden beraten und zu einem Kaufabschluss führen können. In New York wurde erstmalig das sogenannte Smart Badge SB1 vorgestellt, das man sich wie ein "echtes" Badge um den Hals hängen kann. Neben der Identifizierung des Personals dient es aber noch für viele andere Aufgaben: Mitarbeiter können zum Beispiel auf Kundenanfrage Produkt-Codes scannen, um weitere Informationen über Rabatte oder Verfügbarkeit im Rechenzentrum anzufragen.

Sie können außerdem andere Mitarbeiter über deren mobile Geräte kontaktieren und zu einem Kundengespräch hinzurufen oder einen speziellen Input anfordern. Ist ein Regalplatz leer, ist es möglich, im Lager Bescheid zu geben, damit aufgefüllt werden kann. Stellen Verkäufer fest, dass irgendwo aufgeräumt oder Schmutz beseitigt werden muss, können sie einen Eintrag in einer Task-Liste vornehmen, ohne versuchen zu müssen, jemanden telefonisch zu erreichen.

Ebenso wie das SB1 unterstützt auch das neue MC40 die Einbindung in ein Thin-Client-Netz, bei dem alle Daten nicht auf den diversen Endgeräten, sondern auf zentral abgelegten Applikationen abgespeichert werden. Das MC40 gehört in eine Produktfamilie von "Mobilen Computern", die schon länger am Markt sind. Das neue Modell ist vom Design her allerdings den gängigen Smartphones angenähert und soll mit seinem Formfaktor, dem großen Touch-Bildschirm (11-cm-Diagonale) und austauschbaren Farben und individuellem Branding den Benützern die Arbeit ohne großes Training ermöglichen. Bei den Kunden und Ladenbesuchern soll zudem der Eindruck von Modernität erzeugt werden, wie Motorola-Entwickler mehrfach in New York betonten.

Mobiles Kommunikationszentrum

Mit dem MC40 lassen sich ebenfalls Barcodes einscannen, um dem Kunden zusätzliche Produktinformationen zu geben. Letztlich ist es aber mehr ein Kommunikationszentrum für Daten und Sprache innerhalb des drahtlosen Netzwerkes eines Ladens plus angeschlossenem Lager. Ähnlich wie bei einem Smartphone sollen über Partnerkooperationen mehr Applikationen zum Einsatz kommen, um die Bandbreite von abrufbaren Informationen bis hin zu Produkt- und Preisvergleichen mit anderen Läden und Online-Shops kontinuierlich auszubauen.

Damit will man wohl das von Retailer-Seite aus möglich machen, was viele Kunden schon jetzt mit ihren eigenen mobilen Geräten vorexerzieren, und das gleichzeitig produktiv für den eigenen Laden und einen schnellen Kaufabschluss einsetzen: Bei Showrooming kommen potenzielle Kunden nur noch vorbei, um Produkte mal anzufassen und Preise zu checken – gekauft wird dann irgendwo anders, meistens bei einem billigeren Online-Shop. Das ist natürlich nicht zum Vorteil der besuchten Läden.

Schon Ende letzten Jahres hatte Motorola das "Enterprise Tablet" ET1 herausgebracht, das inzwischen zum Beispiel bei der amerikanischen Warenhaus-Kette Macy’s eingesetzt wird: Es handelt sich um einen Tablet-PC, den Retail-Mitarbeiter immer bei sich haben können (zum Beispiel ständig griffbereit in einer Art Pistolen-Halfter), um permanenten Zugriff auf Firmendaten, das Internet und weitere Funktionen zu haben – so können Kunden mit ihrer Kreditkarte direkt an diesem mobilen Terminal bezahlen.

Wie Motorola Vice President Eduardo Conrado in New York betonte, will sich sein Unternehmen in Zukunft auch beim Mobile Workforce Management engagieren. Schon jetzt können ja über die an die Mitarbeiter ausgegebenen mobilen Geräte Tasklists und Arbeitseinsätze zentral erfasst und kontrolliert werden.

In Zukunft will man sich ferner besonders um die Bezahlprozesse in den Läden kümmern, betonte Conrado. Die üblichen Schlangen vor den Kassen sollten schon bald obsolet sein.

Analystin: Kunden bevorzugen Einkauf vor Ort

Digitale Geräte überall im Laden: Das bedeutet, Informationen sind ständig abrufbereit.
Foto: Motorola

Und das Ladengeschäft in der Retail-Branche ist noch lange nicht tot. Im Gegenteil, wie die US-Analystin Alison Kenney Paul von Deloitte LLP im Gespräch mit CIO.de hervorhob. Schwache Punkte seien vor allem die hohen Ausgaben für Ladenpersonal und für Lagerhaltung. Doch die Branche insgesamt sei lebendig, weil die meisten Menschen es nach wie vor bevorzugen, irgendwo vor Ort einzukaufen, auch wenn die persönlichen Kontakte inzwischen nahe bei null eingefroren seien. Insofern stehe Motorola mit seiner Geräte-Initiative gar nicht so schlecht da, meint Paul.