Gartner Hype Cycle

Nach BYOD kommt Bring Your Own Everything

03.09.2012 von Werner Kurzlechner
Die Analysten sehen eine neue Stufe der Vernetzung kommen. BYOD indes wird bis in fünf Jahren Normalität. Für Big Data fehlen noch belastbare Business Cases.
Dicht beschrieben: der aktuelle Technologie-Hype Cycle von Gartner.
Foto: Gartner

Womöglich bricht gerade eine Technologie-Phase an, in der angestaubte Science-Fiction-Mythen irgendwie doch Wirklichkeit werden. HAL zum Beispiel, der durchgeknallte und allzu menschlich tickende Computer aus Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“. Er wurde von Gartner-Analyst Hung LeHong bei der Präsentation des „Emerging Technologies Hype Cycle“ ins Spiel gebracht, um die nicht mehr ferne Vision einer direkten Interaktion mit Technologie zu veranschaulichen. LeHong hätte auch von KIT sprechen können, dem humorigen, intelligenten und verlässlichen Auto aus der vor 20 Jahren populären Vorabendserie „Knight Rider“. Schon vor einem Jahr, bei der Präsentation des letzten Hype Cycles, hatten die US-Marktforscher von Computer-Hirn-Schnittstellen gesprochen, was an „Blade Runner“ erinnerte.

Ziemlich abgefahren also, was sich da anbahnt. Ziemlich abgefahren ist aber alleine schon, was aus dem 1995 erstmals veröffentlichten Hype Cycle in Zeiten ausufernder technologischer Komplexität geworden ist. Man erinnere sich, dass es damals nur den Hype Cycle für neue Technologien gab – eine an sich übersichtliche Fieberkurve, auf der sich die Relevanz junger IT-Felder gut einordnen lässt. Mittlerweile untersucht Gartner rund 1900 Technologien, für die es in diesem Jahr satte 92 Reports gibt – vor einem Jahr kamen die Analysten noch mit 76 aus.

Das Instrument, das Entscheidern Durchblick verschaffen soll, ist mittlerweile selbst so unübersichtlich geworden, dass Gartner für seine Kunden individualisierte Versionen mit den für sie relevanten Themen anbietet. Gut also, dass Big Data laut Hype Cycle in zwei bis fünf Jahren eine ausgereifte Technologie sein sollte. Auf die mittlerweile an die 50 Technologien, die im grundlegenden Emerging Technologies Hype Cycle verzeichnet sind, geht Gartner in seiner Präsentation inzwischen gar nicht mehr im Detail ein. Auch das ist eine symptomatische Neuerung: Die Marktforscher gruppieren erstmals verschiedene Technologien, um Zukunftsvisionen zu entwerfen. Wichtiger als die einzelnen technologischen Bausteine erscheint letztlich ihr Zusammenspiel.

Zum Durchatmen und bevor HAL ins Spiel kommt, sei deshalb kurz ein nüchterner Blick auf den Hype Cycle in seiner schlichten Form geworfen. Die Kurve verfolgt den Weg neuer Technologien, bis sie nach typischen Stadien im Mainstream angekommen sind: vom ersten Auftauchen über einen massenmedialen Hype, dann eine Phase des Abflauens, der enttäuschten Erwartung und der Desillusionierung bis hin zur nächsten Produktgeneration, zur Phase der langsamen Marktdurchdringung und schließlich zum Produktivitäts-Plateau. Erreicht ist dieses laut Analystin Jackie Fenn, der Mutter aller Hype Cycles, wenn 20 bis 30 Prozent der Firmen die Technologie einsetzen.

Die Mutter des Hype Cycles: Gartner-Analystin Jackie Fenn.
Foto: Gartner

Kurz vor diesem Eintritt ins Reifealter steht aktuell Predictive Analytics, nach Lage der Dinge also letztmals im Hype Cycle verzeichnet. Drei weitere Kandidaten werden laut Gartner in weniger als zwei Jahren das Plateau erreichen: Idea Management, Media Tablets und Hosted Virtual Desktops.

BYOD derzeit ein Hype

Für eine Reihe von Technologien prognostiziert Gartner dies für ein Zeitfenster von zwei bis fünf Jahren. Darunter befinden sich bereits ziemlich ausgereifte Technologien wie Spracherkennung oder Methoden zur biometrischen Authentifizierung, aktuell im Sinkflug befindliche Ex-Hype-Themen wie Cloud Computing oder In-Memory-Analytics, der derzeitige Über-Hype Bring Your Own Device (BYOD) und eine Trend-Technologie wie Big Data.

Noch fünf bis zehn Jahre brauchen nach Gartner-Einschätzung beispielsweise Consumer Telematics (obwohl vergleichsweise ausgereift), Machine-to-Machine Communication Services, die beiden aktuellen Hype-Themen 3 D Printing und Complex-Event Processing sowie HTML5 und Crowdsourcing. Mehr als zehn Jahre benötigen laut Prognose junge Technologien wie volumetrische und holographische Displays, das Internet of Things oder mobile Roboter, aber auch mobile Ad-hoc-Netze (Mesh Networks) als Technologie mit bereits längerer Vorgeschichte.

Das ist wohlgemerkt nur eine kleine Auswahl der aufgeführten Technologien. Gartner nennt Big Data, 3 D Printing, Activity Streams, Internet TV, Near Field Communication (NFC), Cloud Computing und Media Tablets als Felder mit besonderer Wachstumsdynamik. Das bedeutet jedoch nicht, dass diese Technologien im Business-Umfeld unproblematisch sein müssen. LeHong weist beispielsweise darauf hin, dass es für Big Data noch kaum belastbare Business Cases gibt. Fenn ergänzt, dass Cloud Computing bisher noch nicht zu der vorausgesagten Transformation ganzer Unternehmen geführt hat. Derlei Missverhältnisse aus hohen Erwartungen und Praxis sind es, die zur immer wiederkehrenden Ermüdung über Hype-Themen führen.

Ansonsten entwickelt Gartner seine Visionen wie angemerkt nicht mehr für alleinstehende Technologien. Ein Trend sei beispielsweise „Bring Your Own Everything“. Damit verbunden sei die Vision, alles immer und überall verfügbar zu haben – und zwar nicht nur via Smartphone oder Tablet. Auch das Auto hat nach Einschätzung der Analysten das Potenzial zum smarten Gerät. Realität wird der Trend aber erst dann, wenn ein Bündel von Technologien genügend ausgereift ist. In diesem Fall: HTML5, Hosted Virtual Desktops und langlebige Batterien mit Silicium-Anoden.

Ein weiteres Beispiel ist der Smarter-Things-Trend, das „Internet of Everything“ als Vision. Die dafür relevanten Technologien sind laut Gartner Machine-to-Machine Communication, Mesh Networks: Sensor, Big Data und Activity Streams. Die Idee sei, dass nahezu alle alltäglichen Dinge mit dem Internet verbunden sind, erläutert LeHong. Sein konkretes Beispiel: In San Francisco sind die Stellplätze der Parkhäuser schon jetzt mit dem World Wide Web verbunden; als Autofahrer kann man sich auf dem Smartphone anzeigen lassen, wo gerade ein Parkplatz frei ist. Soweit ist das Internet of Things also schon Realität.

Big Data muss billig werden

Bring Your Own Everything: Verschiedene Technologien ermöglichen bald die nächste Stufe der ständigen Vernetzung.
Foto: Gartner

Ein nächster Schritt wäre es laut Gartner, sämtliche auf diesem Weg entstehenden Daten zu sammeln und zugänglich für eine historische Datenanalyse zu machen. In der Parkhausplanung ließe sich so auf exakte Analysen zurückgreifen, die Nutzung und Bedarfsveränderungen sichtbar machen. Das Ausmaß an Daten wäre indes gigantisch – ohne Big Data der nächsten Generation funktioniert die Idee nicht.

Für Big Data entwickelt Gartner die Vision „Big Data at Small Prices“ Nützlich werde die Technologie erst, wenn sich aus enormen Datenmengen fulminante Erkenntnisse mit massivem Nutzen gewinnen lassen – und das zu Discount-Preisen. Neben Big Data nennt Gartner hier Cloud Computing und In-Memory-Database-Management-Systeme als Schlüsseltechnologien, die zueinander finden müssten.

HAL aus Kubricks Weltraum-Odysee kommt als Vorbild für die direkte Kommunikation zwischen Menschen und Technologie ins Spiel. Apple hat mit der Spracherkennungssoftware Siri laut Gartner schon einen wichtigen Schritt in diese Richtung unternommen. Als Wendepunkttechnologien nennen die Analysten hier NFC und Natural Language Question Answering.

LeHongs Anwendungsbeispiel dafür fußt auf den so genannten TecTiles von Samsung: NFC-Tags, die automatisch die Einstellungen eines passenden Smartphones verändern. Laut Gartner könnte diese Technologie zum Beispiel Restaurantbesuche verändern. Man deponiert das Smartphone beim Hinsetzen an einem Tag, wodurch sofort Speisekarten und Bestellmodus auf dem Display erscheinen. Im Restaurant wird registriert, an welchem Tisch diese Gäste sitzen und welche Wünsche sie haben. Anders als aktuell entfällt das mühselige Suchen und Aufrufen der gerade benötigten App.

Vergleichsweise unüberfrachtet: der Hype Cycle of Strategic Business Capabilities.
Foto: Gartner

3 D Printing kann sich laut Gartner in den kommenden Jahren weiterentwickeln zu „3 D Printing for the Masses“. Bisher dient 3 D Printing ja lediglich als Technologie, die die Produktion in einigen Fertigungsunternehmen oder Design-Firmen unterstützt. Nach Gartner-Einschätzung könnte es die Technologie in wenigen Jahren schon für den Hausgebrauch geben. Spielzeugfiguren etwa könnten dann direkt vom Bildschirmentwurf zu Hause hergestellt werden; die Händler bräuchten dafür keine Lager mehr.

Sonder-Cycle für Business-Lösungen

In der Tat abgefahrene Technologie-Visionen, mag sich der CIO jetzt denken – für mich nützlicher wäre aber ein übersichtlicher Hype Cycle strategischer Business-Software. Kein Problem, denn Gartner hat neben den Emerging Technologies auch einen aktuellen Hype Cycle of Strategic Business Capabilities parat, der zudem weniger überfrachtet ist.

Allerdings werden ausschließlich Technologien aufgeführt, die in frühestens zwei Jahren das Reifeplateau erreicht haben. In diese fortgeschrittene Phase fallen Location Intelligence, BPO, Product Cost and Lifecycle Management, Supply Chain Management und Business Modell Innovation.

Nahe am Hype befinden sich in dieser Übersicht Business Analytics und Cloud Business. Beide brauchen aber laut Gartner noch mehr als fünf Jahre, bis sie im Mainstream angekommen sind. Das gilt beispielsweise auch für Innovation Management und Risk Management/GRC. Andere strategische Technologien wie Data Science Management, Sustainability Management oder Mass Customization werden nach Einschätzung der Analysten erst in mehr als einem Jahrzehnt nennenswerte Verbreitung gefunden haben.

Die Hype Cycles sind bei Gartner erhältlich.