Klagen über Arbeitwelt

Nur noch Einzelkämpfer ohne Moral

10.12.2012 von Andrea König
Angestellte klagen laut Studie der Körber-Stiftung über überhöhtes Effizienzdenken, mangelnde Solidarität und Hektik - und rechnen noch mit Verschlechterung.
Unter Druck fühlen sich die meisten Angestellten.
Foto: Jan Schuler, Fotolia.com

Leistungsdruck, Stress und ein immer stärkerer Wettbewerb: Die heutige Arbeitswelt liegt weit weg von der Idealvorstellung der Deutschen. 78 Prozent äußerten sich in einer Umfrage der Körber-Stiftung unzufrieden über den Zustand der Berufswelt. Durchgeführt wurde die Befragung vom Bremer Beratungsunternehmen Nextpractice. Ihr Ausgangspunkt war die Frage nach der Wertewelt der Teilnehmer im Kontext von Alter und Arbeit.

Die Studieninitiatoren wählten folgende Methodik: In 205 Interviews mit einer Dauer von mehr als zwei Stunden sollten die Befragten frei zum Thema Alter assoziieren. Die Ergebnisse wurden dann auf Basis eines sogenannten Gut-Schlecht-Rasters in einen Werteraum der Deutschen übertragen. Die Daten zeigen die unbewussten Wertemuster der Teilnehmer.

Extremer Leistungsdruck und fehlende Anerkennung

Die Befragten wurden - unabhängig von ihrem tatsächlichen Alter - vier Alterstypen zugeteilt: dem hedonistischen Alterstyp (30 Prozent), dem wertkonservativen (14 Prozent), dem leistungsorientierten (22 Prozent) sowie dem solidarischen Alterstyp (34 Prozent). Diese vier Gruppen vertreten sehr unterschiedliche Standpunkte und haben klar voneinander abgegrenzte Wertevorstellungen - auch in Bezug auf die Arbeitswelt.

Mit Ausnahme des aktiv-leistungsorientierten Typs äußern drei dieser vier Gruppen ihre Unzufriedenheit gegenüber der heutigen Arbeitswelt. Sie kritisieren das überhöhte Effizienzdenken, extremen Leistungsdruck, mangelnde Solidarität und fehlende Anerkennung. Als negativ bewerten sie auch eine Überbetonung der individuellen Leistungsfähigkeit, Egoismus und Selbstverantwortung. Darüber hinaus beklagen diese drei Alterstypen Burnout, Sinnlosigkeit, Leistungsdruck, Hektik und Stress.

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Ineffektiv verbrachte Arbeitszeit kompensieren Sie mit Mehrarbeit. Das vertreibt auch die Langeweile am Wochenende und im Urlaub. Sind Sie Freiberufler, verzichten Sie ganz auf Urlaub. Sie müssen die Aufträge abarbeiten, oder das Geld reicht nicht. Machen Sie möglichst mehrere Dinge gleichzeitig, um Zeit zu sparen. Sagen Sie "Ja" zu jeder neuen Aufgabe.
Verzweifelt? Sie doch nicht!
Machen Sie sich unentbehrlich. Auch wenn es unmöglich ist und Sie der Verzweiflung nah sind, versuchen Sie, möglichst alle Erwartungen von Teamkollegen, Auftraggebern, internen und externen Projektmitarbeitern, Vorgesetzten und Ihrer Familie und Freunde zu erfüllen. Am besten übertreffen Sie noch deren Erwartungen.
Warnsignale?
Verwerfen Sie sämtliche Warnungen, Vorhaltungen, Vorwürfe, Bitten und Sorgen von Ihrer/m Partner/in, Angehörigen oder Kollegen. Ihre Ausreden sollten wasserdicht sein: "Nach diesem Projekt wird alles besser" oder "nur noch dieser Fall". Oder: "Die Umstände/der Vorgesetzte/der Auftraggeber zwingen mich dazu, ich habe keine Wahl."
Im Hamsterrad
Hämmern Sie sich und anderen ein, es geht nicht anders, in Ihrem Job jedenfalls nicht. Wenden Sie sich dennoch auf Drängen anderer an eine professionelle Beratung, werden Sie es sicher verstehen, die Sinnlosigkeit dieser Maßnahme unter Beweis zu stellen.
Nur nicht drüber reden!
Gehen Sie auf Distanz zu Menschen, zu denen erstaunlicherweise noch Kontakt besteht. Als Eigenbrötler können Sie leichter die Fassade wahren. Sagen Sie niemandem, wie es Ihnen geht. Gemeinsame Mittags- und Kaffeepausen mit Kollegen sind zeitlich unmöglich, die Zeit mit der Familie wird immer knapper.
Jede Minute zählt - zum Arbeiten.
Streichen Sie sämtliche Hobbys einschließlich sportlicher Betätigungen. Falls Sie doch noch ein Privatleben haben, gestalten Sie die Terminplanung zwischen ihm und dem Job noch engmaschiger, nutzen Sie jede freie Minute.
Gesund leben? Maßlos überschätzt!
Gesundes Essen wird als Zeitkiller abgeschafft zugunsten von Fast Food und belegten Semmeln. Damit Sie überhaupt entspannen und von Ängsten und anderen unangenehmen Gefühlen abschalten können, gönnen Sie sich regelmäßig abends etwas Alkoholisches.
Perfektion, Perfektion, Perfektion
Seien Sie nie zufrieden mit Ihren Ergebnissen, auch wenn andere begeistert sind. Sie sind Ihr strengster Kritiker. Weniger als perfekt kommt für Sie nicht in Frage. Stecken Sie sich zusätzliche Ziele. Erlernen Sie eine Fremdsprache, machen Sie eine berufsbegleitende Ausbildung und laufen Sie Marathon.
Probleme? Ach was!
Lösen Sie keine Konflikte und Probleme grundlegend. Schieben Sie alles vor sich her, damit der Berg von Unerledigtem immer höher wird.
Ein Ausstieg ist möglich!
Falls Sie sich in unserem Text zu stark wiedererkennen, steiegen Sie aus! Je früher, desto besser. Gehen Sie zum Arzt, ändern Sie Ihre Lebensweise, solange es noch früh genug ist. Das raten Ihnen Ruth Hellmich, Rechtsanwältin und Geschäftsführerin von CoachingTraining.

"Es geht um Geld, Macht und Ego, die Moral hat sich aufgelöst, alle werden zu Einzelkämpfern", wird ein Studienteilnehmer zitiert. Besonders die Überbetonung von Eigenverantwortung betrachten die Studieninitiatoren kritisch: Denn sie führe im zweiten Schritt dazu, dass Negativerfahrungen auf das persönliche Unvermögen jedes Einzelnen zurückgeführt würden. Doch eine ideale Arbeitswelt könne nicht allein auf Initiative setzen, da dann der Druck auf den Einzelnen zu stark werde, so die Auswertung.

Nur jeden Fünften motiviert Eigeninitiative

Zufrieden mit der Arbeitswelt von heute zeigt sich in den Interviews nur der mit 22 Prozent vertretene "aktiv-leistungsorientierte Typ". Für ihn stehen Freiheit und Selbstbestimmung im Zentrum, deshalb bewertet er die Förderung von Eigeninitiative positiv. Er ist ein Macher und glaubt an seine persönliche Stärke, heißt es in der Auswertung der Studienergebnisse.

Die Autoren beschreiben das Konfliktpotenzial zwischen den verschiedenen Wertehaltungen als "immens". Wenn ältere Arbeitnehmer motiviert werden sollen, würden Appelle an ihre Eigeninitiative oft genau das Gegenteil erreichen - zumindest bei rund drei Viertel der Befragten. Insgesamt, so die Studienergebnisse, würden sich mit dem demografischen Wandel die Präferenzen der Menschen von Wettbewerb und Effizienz zu Solidarität verschieben.

Weiter verschlechtern kann sich die Arbeitswelt aus Sicht der Befragten kaum. Die Erwartungen sind pessimistisch: Die Studienteilnehmer fürchten eine ständig fortschreitende Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen. Als Hoffnungsschimmer bezeichnet die Studie den öffentlichen Dienst, denn eine Einstellung dort kommt nach Einschätzung der Befragten der idealen Arbeitswelt am nächsten. Das liegt unter anderem an der finanziellen Absicherung, der Gesundheitsfürsorge sowie an der Vereinbarkeit von Arbeit und Leben. Doch diejenigen Befragten, die im öffentlichen Dienst tätig sind, bewerten ihre Arbeitssituation weniger idealistisch und rechnen für die Zukunft mit einer Verschlechterung ihrer Situation.

Das Leben abseits vom Büro ist es, was die Befragten deutlich stärker beschäftigt als ihre Arbeit. Denn besonders präsent ist das Thema Arbeitswelt bei den Studienteilnehmern nicht. In den Interviews wurde mit offenen Nennungen gearbeitet. Nur sieben Prozent dieser Nennungen bezogen sich tatsächlich auf das Gebiet "Arbeit und Beruf". Deutlich häufiger sprachen die Probanden zum Beispiel über Themen aus dem Bereich Freizeitaktivitäten und Lebensfreude (20 Prozent).

Dieser Artikel ist bei unserer Schwesterpulikation cio.de erschienen.