Drohung mit Stellenabbau demotiviert Mitarbeiter

Offshoring gefährdet Internationalisierung

30.11.2004 von Michael Kallus
Wenn Unternehmen Offshoring als Drohkulisse nutzen, um niedrigere Löhne durchzusetzen, gefährden sie ihre eigene Internationalisierung. Denn um erfolgreich zu sein, benötigen Internationalisierungsstrategien die aktive Unterstützung der IT-Beschäftigten. Verlagerungsdrohungen sind dafür eine schlechte Basis. Das zeigt eine Studie des Instituts für sozialwissenschaftliche Forschung in München.

Offshoring ist nur die Spitze des Eisbergs. Es ist nicht die treibende Kraft in der IT-Branche. Tatsächlich ist das die Standardisierung, so die Kernthese der Studie. Die Standardisierung prägt seit 20 Jahren den IT-Markt und hat in den letzten Jahren weiter an Wichtigkeit zugenommen.

Wer diese Entwicklung überblickt, kann erkennen, dass Offshoring von der Standardisierung lebt. Denn erst wenn sich Software leicht an andere Lösungen anbinden lässt, weil zum Beispiel Schnittstellen standardisiert sind, lassen sich einzelne Dienste leichter auslagern.

Beschäftigungsentwicklung in der IT-Branche (1998 - 2003)
Foto: Bitkom

Zentraler Erfolgsfaktor in der IT: die Standardisierung

In der Anfangsphase der IT-Branche, so die Studie, dominiert Individual-Software. Zu jedem Großrechner liefern die Hersteller eigene Programme.

Anfang der 70er Jahre, mit dem Aufkommen der PCs, gewinnt herstellerunabhängige Standard-Software zunehmend an Bedeutung. Zum Beispiel von Microsoft.

Der nächste Schritt der Erfolgsstory der IT-Dienstleistungen wird laut Studie von klassischen Industrie- und Dienstleistungsunternehmen vollzogen. Mitte der 80er Jahre gründen sie ihre DV-Abteilungen aus den Konzernen aus, um neben der Betreuung der IT in den Mutterkonzernen zusätzliches Geschäft bei anderen Kunden zu generieren. Zu nennen sind hier EDS, Gedas, debis usw.

Mit diesen Auslagerungen entwickelt sich ein neuer Geschäftsbereich für die IT-Branche, das Outsourcing. Die neuen Dienstleister stellen Rechenzentren bereit und betreuen die IT-Infrastruktur für ihre Kunden.

Die Wende: Der Kunde bestimmt die Dienstleistung, nicht der Computer

Vollends zum Leitsektor der IT-Branche wird der Dienstleistungsbereich durch die strategische Wende, die die Hersteller von Großcomputern Anfang der 90er Jahre vollziehen. Leistungen werden nun nicht mehr vom Computer her gedacht, sondern von der beim Kunden zu erbringenden Lösung.

Dementsprechend werden die Konzerne umgruppiert, die Dienstleistungsbereiche treten in den Vordergrund. Zu nennen sind hier insbesondere IBM und HP.

In dieser Zeit, zu Beginn der 90er Jahre, wurde das Konzept der Individual-Software durch ein neues Leitkonzept abgelöst, das der Standard-Software.

Der neue Herrscher: Standard-Software

Die Dominanz der Standard-Software verändert den Produktionsprozess der Software-Entwicklung grundlegend und bildet zugleich die Grundlage für das Entstehen einer neuartigen Wertschöpfungskette für die IT-Dienstleistungen.

Den Ausgangspunkt dieser Kette bildet eine Standard-Software, so die Studie. Diese wird in mehreren Schritten in eine Lösung für den Kunden überführt. Dafür sind die Systemintegrations- und IT-Beratungsunternehmen zuständig.

In dem Maße, wie die Kundenunternehmen Standard-Software einsetzen, vereinheitlichen sie wiederum ihre eigenen IT-Prozesse und schaffen so die Grundlage, um den laufenden Betrieb ihrer IT-Systeme an IT-Dienstleister outsourcen zu können.

Damit beginnt eine neue Ära der Standardisierung und Industrialisierung von IT-Dienstleistungen.

Offshoring erfordert motivierte Mitarbeiter

Gleichzeitig fordert Offshoring die Entwickler heraus, noch mehr Standards zu schaffen. In der Software und im Produktionsablauf. Der Aufbau einer funktionierenden internationalen Produktion stellt die Unternehmen also ebenso wie die Beschäftigten vor schwierige Aufgaben.

Statt diese gemeinsam anzugehen, wird Offshoring jedoch oft als Drohkulisse nutzt, um Gehälter zu drücken. Die Unternehmen geraten so in einen Zielkonflikt. Es droht ein Akzeptanzverlust gerade bei hoch qualifizierten Beschäftigten, der weit reichende Konsequenzen für den Erfolg der Internationalisierung haben kann.

Das Fazit der Autoren: "Die Orientierung auf Kostensenkung und Verlagerung von Arbeitsplätzen droht den Unternehmen genau die Grundlagen zu entziehen, welche sie eigentlich benötigen, um den erforderlichen Restrukturierungsprozesses zu bewältigen."

Die am Institut für sozialwissenschaftliche Forschung München durchgeführte Studie "Herausforderung Offshoring" stützt sich auf Intensiv-Interviews mit Beschäftigten, Managern, Arbeitnehmer-, Gewerkschafts- und Unternehmensverbandsvertretern.

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