IT-Manager wetten

Ohne Asien fehlen uns Fachkräfte

10.12.2013 von Ulrich Bäumer
Ulrich Bäumer, Partner bei Osborne Clarke wettet, dass asiatische Dienstleister in zehn Jahren 15 Prozent der Wertschöpfungskette in deutschen Unternehmen erbringen.
Ulrich Bäumer, Partner bei Osborne Clarke.
Foto: Osborne Clarke

In Deutschland droht ein massives Ressourcenproblem - nicht nur, aber vor allem im IT-Bereich. Wir alle kennen die mahnenden Botschaften und Hilferufe seit Langem. Nun werden die Auswirkungen spürbar: Schlichtweg weil Fachkräfte fehlen, kann mancher Auftrag nicht angenommen oder nur in Teilen erledigt werden. Dieses Problem des gravierenden Ressourcenmangels spitzt sich in den nächsten zehn Jahren dramatisch zu. Obwohl bekannt, sind durchgreifende Lösungen nicht in Sicht. Sowohl die Politik als auch die Unternehmen sind hier gefragt und müssen in den nächsten Jahren Antworten auf die drängenden Fragen finden. Ich wette, dass eine dieser Antworten die noch engere Einbindung asiatischer Dienstleister und der Aufbau eigener F&E-Abteilungen deutscher Unternehmen in Asien sein wird. Diese Einbindung wächst bis 2024 auf einen Anteil, der 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht.

Die Ausgangslage

Im November 2010 gab der IT-Branchenverband Bitkom bekannt, dass aktuell circa 28 000 Arbeitsplätze für IT-Spezialisten unbesetzt sind. Zwei Jahre später lag die Zahl bereits bei rund 43 000. Mit anderen Worten: Binnen zwei Jahren kamen 15 000 offene Stellen hinzu. Rechnet man dies rein linear bis zum Jahr 2024 hoch, so würden nach dieser Berechnung in zehn Jahren bereits 133 000 IT-Stellen in Deutschland offen sein. Wohlgemerkt, dies ist eine rein lineare Hochrechnung der heutigen Zahlen und lässt die demografische Entwicklung, zu der ich später noch weiter ausführen werde, völlig außer Betracht.

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Foto: cio.de

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Verlassen wir für einen Moment den klassischen Bereich der IT und wenden uns dem allgemeinen Ingenieurwesen zu. Im September 2011 veröffentlichte der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) in Kooperation mit dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln den Ingenieurmonitor. Danach hat die Zahl der offenen Ingenieurstellen im September 2011 mit 99 000 einen Höchststand erreicht. Der Geschäftsführer des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, Hans-Peter Klös, kommentierte diese Daten wie folgt: "Auf jeden arbeitslosen Ingenieur kommen mehr als fünf offene Stellen. So eine große Lücke haben wir seit Beginn der Aufzeichnungen im August 2000 noch nie gesehen."

Zahl der Graduierten in IT und Ingenieurwesen in Europa.
Foto: cio.de

Bei diesen Zahlen ist es kein Wunder, dass Bitkom-Präsident Dieter Kempf dieses Problem offen als "demografische Zeitbombe" betitelt. Nach den Berechnungen des Bitkom aus dem Jahr 2012 entgehen den ITK-Unternehmen jährlich rund elf Milliarden Euro an Umsatz durch den Mangel an Fachkräften und den Verlust von Mitarbeitern. Drei Viertel aller Mitarbeiter in den ITK Unternehmen sind zwischen 31 und 40 Jahre alt. Keine andere Branche hat seiner Ansicht nach auch nur entfernt vergleichbare Altersstrukturen. Dieser Bauch in der Alterspyramide wird sich Jahr für Jahr nach oben schieben.

So ist am Ende des Problemaufrisses nüchtern festzustellen, dass schon heute absehbar ist, dass die ITK-Unternehmen innerhalb der nächsten fünf Jahre die Hälfte aller Mitarbeiter ersetzen müssen - ein fast unmögliches Unterfangen. Besser sieht es auch nicht bei den Ingenieurberufen aus. Hier sind bereits heute 100 000 offene Stellen zu vermerken, und der Bedarf wird in der Zukunft um ein Vielfaches steigen.

Mögliche Lösungen

Es ist erstaunlich, dass die möglichen Lösungsansätze allesamt bekannt und diskutiert sind, jedoch in der Praxis wenig politischer oder unternehmerischer Wille zu erkennen ist, diese Lösungen umzusetzen. Trotz der offensichtlichen Dringlichkeit der Situation mahlen die Mühlen hier sehr langsam. Fakt ist, dass deutsche Unternehmen in den nächsten zehn Jahren in ausreichender Anzahl Ressourcen finden müssen, um die akquirierten Aufträge auch abarbeiten zu können.

Bereits heute kann laut einer Studie des Fraunhofer-IAO-Instituts jedes elfte Unternehmen in Deutschland personalbedingt Aufträge nicht zu Ende führen, und jedes zwölfte Unternehmen muss mit ansehen, wie Kunden wegen des Personalengpasses abwandern. In der gleichen Umfrage gaben 45 Prozent aller Unternehmen an, dass ihre Mitarbeiter infolge knapper Personalressourcen überlastet sind.

Ausbildung in Deutschland

Eine mögliche Lösung ist selbstverständlich die Ausbildung eigener IT-Fachkräfte und Ingenieure in Deutschland. Abgesehen davon, dass diesem Ansatz die unten aufgeführten Bedenken gegenüberstehen, wird er auch aller Voraussicht nach zu spät zum Erfolg führen. Die Ausbildung von Ingenieuren dauert Zeit, die die deutsche Wirtschaft angesichts des oben skizzierten Ressourcenmangels einfach nicht mehr hat.

Allerdings sind es neben dem erwähnten Zeitfaktor noch andere Momente, die dem möglichen Lösungsansatz "Finden und Ausbilden eigener Ressourcen in Deutschland" im Weg stehen. Hier ist zum Ersten wieder die Demografie zu nennen. Der "Alte Kontinent" schrumpft: Zählte Europa im Jahr 2007 noch 591 Millionen Einwohner, so werden es nach einer Studie der Vereinten Nationen im Jahr 2050 nur noch 542 Millionen Einwohner sein. Im Vergleich dazu wird die Einwohnerzahl der USA und Kanada von 335 Millionen (2007) auf 438 Millionen (2050) und die Asiens von 4,010 Milliarden (2007) auf 5,217 Milliarden (2050) steigen.

Des Weiteren ist bei diesem Ansatz problematisch, dass es in Deutschland laut einer Studie des Europäischen Statistischen Amtes und des Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln nur 41 960 Ingenieurabsolventen (Zahl aus 2007) gibt. Anders ausgedrückt: Es gibt in Deutschland gar nicht genug Ingenieure und IT-Fachkräfte im Pool der aktuellen Absolventen, die die offenen Stellen besetzen könnten. Zum Vergleich: Den circa 42 000 Absolventen (Jahr 2007) in Deutschland stehen 350 000 Absolventen (jährlich) in Indien und 600 000 Absolventen (jährlich) in China gegenüber.

Verschärft wird das Problem dadurch, dass auch andere westeuropäische Länder und insbesondere Russland vor einem großen Fachkräftemangel stehen. Einer Studie der Boston Consulting Group zufolge herrscht in fast allen westeuropäischen Ländern und in Russland bereits heute ein Fachkräftemangel, der sich zwischen 2020 und 2030 noch einmal dramatisch zuspitzen wird. In Russland zum Beispiel wird die Einwohnerzahl nach einer Erhebung der Vereinten Nationen von 142 Millionen (2007) auf 112 Millionen (2050) zurückgehen.

Ressourcen aus anderen europäischen Ländern zu finden und einzustellen wird aus diesen Gründen scheitern. Zum einen sieht die demografische Kurve in den anderen europäischen Ländern genauso schlecht aus wie in Deutschland. Zum anderen gibt es auch in den anderen europäischen Ländern nicht genug Graduierte in den Bereichen IT und/oder Ingenieurwesen.

Mehr Asiaten in Deutschland

Warum also nicht Ressourcen aus ferner gelegenen Drittländern anwerben, um mit ihnen vor Ort in Deutschland zusammenzuarbeiten? Diesem Weg stehen heute jedoch noch regulatorische Hürden entgegen. Die Gesetze, was die Zuwanderung von IT-Fachkräften nach Deutschland angeht, sind nach wie vor zu restriktiv, um tatsächlich einen Effekt zu bieten. Obwohl der Bereich durch die Einführung der sogenannten "Blue Card" bereits liberalisiert wurde, bestehen hier immer noch hohe regulatorische Hürden. Des Weiteren steht einer solchen Lösung auch entgegen, dass die IT-Experten aus Drittländern einer Immigration nach Deutschland selber kritisch gegenüberstehen.

Einer aktuellen Studie zufolge zieht es nur knapp zehn Prozent aller ausgewanderten indischen IT-Experten überhaupt nach Deutschland. In dieses düstere Zuwanderungsbild passt die Tatsache, dass indische Unternehmen ihren Mitarbeitern für einen Auslandsaufenthalt in Deutschland eine "Buschzulage" zahlen müssen. Asiatische IT-Experten und Ingenieure gehen viel lieber in die USA, nach Kanada oder nach England, als dass sie sich in Deutschland langfristig niederlassen wollen. Grund hierfür sind nicht nur die restriktiven Einreisebestimmungen, sondern auch andere Barrieren wie die Sprache, die Essgewohnheiten und sonstige kulturelle Unterschiede. Insofern verwundert es auch nicht, dass der Zuzug von ausländischen Experten nach Deutschland immer weiter zurückgegangen ist. Da zeitgleich aber auch der Wegzug von Experten aus Deutschland zugenommen hat, muss man letztendlich wohl konstatieren, dass Deutschland ein Auswanderungsland ist.

Mehr Asiaten im Heimatland

Ein anderer Lösungsansatz ist, dass deutsche Unternehmen ihre Kernkompetenzen besser bündeln und bestimmte Bereiche an Partnerunternehmen herausgeben, mit Kooperationspartnern abdecken oder selber vor Ort entwickeln. Hierfür müssen allerdings zuvor einige "Haus-aufgaben" erledigt werden, um derartige Kooperationen und Eigenentwicklungen erfolgreich ausgestalten zu können. Die Kernkompetenz muss genau definiert, die Abwanderung von Know-how muss verhindert und die eigenen Mitarbeiter müssen bereits heute dahingehend ausgesucht und geschult werden, dass sie morgen mit externen Kooperationspartnern oder den eigenen Mitarbeitern in Asien erfolgreich zusammenarbeiten können.

Die eigenen Prozesse und Systeme müssen so aufgestellt werden, dass sie in bestimmten Bereichen "kooperationsfähig" werden und dass man dennoch sicherstellen kann, dass die Kernkompetenz und das betriebliche Know-how weiter im Unternehmen verbleiben können. Die Herausforderung bei diesem Lösungsansatz liegt darin, dass man bereits heute vielfältige Vorkehrungen treffen muss, um zu einem künftigen Zeitpunkt für eine Kooperation oder ein eigenes Entwicklungszentrum in Asien bereit zu sein.

Wenn man sich die oben genannten Lösungsansätze und die dabei jeweils bestehenden Probleme vergegenwärtigt, stellt man schnell fest, dass die Einbindung asiatischer Dienstleister oder Ressourcen die wohl einzige langfristig sinnvolle Lösung darstellt. Dieses Ergebnis wird auch durch den Zuwachs der Einwohnerzahlen in China und Indien bestätigt. Beide Länder werden schon 2025 jeweils über 1,4 Milliarden Einwohner haben. Damit ließe sich der Ressourcenhunger Westeuropas abdecken.

Fazit: Es geht nur mit Asien

Deutschland allein wird nicht genügend IT-Experten und Ingenieure hervorbringen, um den wachsenden Bedarf in einer schrumpfenden Gesellschaft abzudecken. Im europäischen Umfeld bestehen dieselben Probleme, sodass auch von dieser Richtung keine Lösung des Problems zu erwarten ist. Asiatische Ressourcen lokal vor Ort in Deutschland einzusetzen wird zwar punktuell möglich sein, wird aber zur Abdeckung des gravierenden Bedarfes (100 000 Ingenieure, 43 000 IT-Fachkräfte im Jahr 2012) bei Weitem nicht ausreichen. Insofern bleiben nur noch die Kooperation und die Einbindung asiatischer Dienstleister oder Ressourcen.

Dies kann im Ergebnis in verschiedenen Formen passieren: Entweder die Unternehmen kooperieren mit asiatischen Dienstleistern, die über eine ausreichende Anzahl von Fachkräften im eigenen Mitarbeiter-Pool verfügen, oder sie setzen auf eigene Ressourcen in Asien, mit denen sie ihre eigenen IT- und/oder Forschungs- und Entwicklungszentren auf- und ausbauen. Beiden möglichen Modellen ist eines gemein: Sie bedürfen einer langfristigen Planung, des Abarbeitens verschiedener "Hausaufgaben" sowie eines Umdenkens im eigenen Unternehmen. Dieser Veränderungsprozess sollte heute beginnen und alle Unternehmensbereiche umfassen.

Ich freue mich auf Ihre Gegenwette!

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