Die Analysten von Gartner untermauern den Hype

Ohne Web 2.0 geht gar nichts mehr

04.09.2007 von Christiane Pütter
Alles, was mobil ist, muss ein Unternehmen haben. Web 2.0 und interaktive Benutzeroberflächen auch. So lautet das Credo der Analysten von Gartner, die in ihrem alljährlichen "Hype Cycle for emerging technologies" 36 Technologien auf ihre Marktreife hin untersuchen. Da darf auch SOA nicht fehlen. Die service-orientierten Architekturen lassen die Phase der Ernüchterung hinter sich und werden langsam, aber sicher produktiv.
Gartner Hype Cycle for emerging technologies 2007: Die einzelnen Technologien und ihre Positionierung
Foto: Gartner

"Unternehmen gewinnen immer mehr Erfahrung mit Web 2.0 und werden die Anwendungen zunehmend erfolgreich nutzen", sagt Jackie Fenn, Gartner Research Fellow. Und die nächste Revolution steht schon in den Startlöchern: Innovative User Interfaces wie zum Beispiel das Erkennen von Gesten, angeboten von Vorreitern wie Nintendo oder Microsoft, werden die Arbeitswelt verändern.

Aus den 36 Technologien hebt Gartner drei Schlüssel-Bereiche hervor:

Web 2.0: Dass in den vergangenen zwölf Monaten Wikis und Mashup, Enterprise-RSS, Social Network Analysis und Collective Intelligence dazugekommen sind, weist auf die Reife von Web 2.0 hin. Gartner hatte die Anwendungen bereits im Hype Cycle 2006 in den Mittelpunkt gestellt.

Allerdings versprechen sich viele Entscheider derzeit noch zuviel von Collective Intelligence. Damit ist der Ansatz gemeint, geistige Inhalte wie Codes oder Dokumente aus der Zusammenarbeit mehrerer Mitarbeiter ohne zentrale Autorität zu erstellen. Dieser Ansatz befindet sich, ebenso wie Mashup (die Integration von Anwendungen aus verschiedenen Quellen in ein einziges Angebot) derzeit auf dem Höhepunkt überzogener Erwartungen.

Dagegen haben Social Network Analysis, Wikis und RSS-Enterprise (Datenformate, die ein Weiterleiten des Contents von Websites und Anwendungen an andere User oder Systeme ermöglichen) diese Phase bereits durchlaufen und dürften eher für Ernüchterung sorgen. Kein Problem, tröstet Gartner: Auf die Desillusionierung folgt die Phase echter Produktivität.

User Interfaces: Nach Jahren der Stagnation stehen einige Technologien wie etwa Electronic Paper, Gesten-Erkennung oder virtuelle Welten wie Second Life vor dem Durchbruch auf den Massenmarkt.

Dabei warnen die Analysten davor, zu große Hoffnungen in Gesten-Erkennung und virtuelle Welten zu setzen. Auch Electronic Papers befinden sich noch im Abschwung nach zu hohen Erwartungen. Das haben Ambient Displays noch vor sich: Bisher sieht Gartner die schmucken Geräte, die den User vor Reizüberflutung bewahren und deshalb nur wenige, ausgewählte Informationen vermitteln sollen, im experimentellen Stadium. Ihre Rolle und ihr Nutzwert müsse sich noch etablieren.

Mobile IT: Kabellos läuft es wie am Schnürchen, jedenfalls, was die üblichen Geräte und Services betrifft. Werden allerdings Bereiche wie RFID, Mesh-Sensor-Netzwerke oder mobile Roboter hinzugerechnet, zeigt sich ein differenzierteres Bild. Während die Funk-Chips ihre Reise durch den Peak überhöhter Erwartungen und das darauffolgende Tal der Tränen bald durchschritten haben dürften, werden mobile Roboter und Mesh-Sensor-Netzwerke (ad hoc geknüpfte Peer-to-Peer-Netze mit Netzwerk-, Computing- und Sensing-Fähigkeiten) noch mehr als zehn Jahre brauchen bis der Durchbruch kommt.

Gartner Research Fellow Jackie Fenn erklärt, dass nicht alle Technologien im diesjährigen Hype Cycle neu sind. Sie werden künftig aber anders eingesetzt. Beispiel 3-D Printing: Rund zwanzig Jahre lang war das dem Prototyping für industrielles Design vorbehalten. Sinkende Preise öffnen neue Möglichkeiten, so dass 3-D Printing in fünf bis zehn Jahren einen Massenmarkt erobert haben dürfte.

Neu ist dagegen der Punkt "Behavioural Economics". Dahinter steckt eine junge akademische Disziplin zur Erforschung menschlicher Entscheidungsfindung. Konkret: Der Homo Oeconimicus kann endgültig den Hut nehmen. Nach all den Seminaren über Emotionale Intelligenz oder die Psychologie des Konsumenten begreifen immer mehr Entscheider, wie wenig sie über ihre Adressaten wissen und wie dringend sie das ändern müssen. Gartner Research Fellow Jackie Fenn: "Das Verständnis von Behavioural Economics hat das Potenzial, Produkt- und Service-Design, E-Commerce-Geschäftsmodelle, Sales und Marketing sowie das Gestalten von Websites und ganz generell die Qualität von Management-Entscheidungen deutlich zu verbessern."

An SOA scheiden sich die Analysten-Geister

In den kommenden fünf bis zehn Jahren, so die Analystin, dürfte der Einfluss von Behavioural Economics sichtbar werden.

In Sachen SOA glaubt Gartner, dass sich der Goldstaub zu hoher Erwartungen und der darauffolgende Frust gelegt haben. Das heißt: Jetzt ist der Weg frei, damit Service-orientierte Architekturen ihre faktische produktive Kraft entfalten können. Binnen zwei bis fünf Jahren sollte der Sprung zur Massen-Technologie gelungen sein.

Eine Einschätzung, die Gartner übrigens nicht mit allen Kollegen teilt. Beispiel Aberdeen: Die US-Amerikaner haben in ihrem groß angelegten "State of the market"-Report für 2007 erhoben, dass nur 13 Prozent der Befragten SOA implementiert haben. 30 Prozent geben an, den Einsatz zu planen. Aberdeen bezeichnet diese Zahlen als enttäuschend. Dabei hatte sich das Analystenhaus stets als Fan service-orientierter Architekturen geoutet.

Gartner wiederum begründet die positive Prognose für SOA mit dem wachsenden Einfluss von Business Process Management (BPM) und Business Activity Monitoring (BAM). Die Briten geben aber zu, dass technische Schwierigkeiten das Vorankommen von SOA bremsen.

Der Gartner 2007 Hype Cycle for Emerging Technologies wird jedes Jahr neu aufgelegt. Darin finden sich Analysen zu 36 Technologien.