5000 IT-Spezialisten im Einsatz

Olympia 2012: Ein Mammutprojekt

24.07.2012 von Werner Kurzlechner
Das Kernteam des CIO Gerry Pennell besteht aus 300 Mitarbeitern. Eine Erkenntnis von ihm: Cloud hat noch keine olympische Reife.

Bald geht es los: Bis 12. August kämpfen mehr als 10.500 Athleten aus über 200 Ländern in London um Gold, Silber und Bronze, milliardenfach werden Zuschauer und Berichterstatter die Wettkämpfe der Olympischen Sommerspiele in den Arenen und vor den Bildschirmen verfolgen. Sportliche Megaveranstaltungen wie Fußballweltmeisterschaften und Olympia gehen mittlerweile auch mit IT-Projekten formidablen Ausmaßes einher. Das ist dieses Mal nicht anders.

Bis zur Schlussfeier müssen CIO Gerry Pennell, seine Mitarbeiter, unzählige Freiwillige und diverse Technologiepartner ebenfalls zur Höchstform auflaufen. Kurz danach wird sich mit dem London Organising Committee of the Olympic and Paralympic Games (LOCOG) auch das technologische Herzstück auflösen, die Mitarbeiter müssen sich um viele Erfahrungen reicher neue Aufgaben suchen.

Mobile Revolution und Social Media

In Zeiten schnellen technologischen Fortschritts ist es wie immer zuletzt: Im Vergleich zu den Spielen in Peking vor vier Jahren ist die Herausforderung noch größer geworden. Cloud Computing kommt laut Pennell für diese Ausgabe noch zu früh, von wenigen ersten Ansätzen abgesehen. Umso mehr muss der mobilen Revolution und der Social Media-Entwicklung Rechnung getragen werden.

Pennell, der als Head of Technology neben der IT für alle technologischen Bereiche wie etwa auch die Fernsehübertragungen verantwortlich ist, beschreibt seine Kernaufgabe so: „Die Geschichte der Spiele erzählen.“

In London ist der IT-Aufwand noch viel größer als vor vier Jahren in Peking.

Das beginnt bei der Messung der Zeiten und Ergebnisse am Wettkampfort; die Resultate müssen dann ohne Verzögerung zum Teil über spezifische Systeme an Medienvertreter und ins Internet wandern. Und – anders als noch 2008 – müssen sie auch die Smartphones und Tablets der professionellen und interessierten Beobachter erreichen.

5000 IT-Spezialisten

Mit der Vergabe der Spiele an die Themse startete auch das Technologieprojekt Olympia 2012. Pennells internes Kernteam besteht aus rund 300 Mitarbeitern. In der Hochphase werden rund 5000 IT-Spezialisten mithelfen, dass technologisch alles klappt – darunter mehr als 2000 Freiwillige und ebenso viele Mitarbeiter der Partnerunternehmen.

Seit vergangenen Oktober ist das Technology Operations Centre (TOC) in Canary Wharf in Betrieb. 450 IT-Experten versuchen dort im Dauerbetrieb – zeitgleich sind bis zu 180 Leute im Einsatz – für einen reibungslosen Ablauf des Geschehen sorgen. Kontrolle ist das Ah und Oh, unvermeidbare kleinere Ausfälle sollen von der Öffentlichkeit möglichst unbemerkt bleiben.

Zu den zentralen Anwendungen zählt beispielsweise ein Internetportal zur Steuerung der insgesamt 70.000 Freiwilligen, die bei der Organisation der Spiele mithelfen. 200.000 akkreditierte Mitarbeiter und Sportler müssen in Echtzeit mit den relevanten Informationen versorgt werden. Medienvertreter, Funktionäre und Sportler werden zudem über die Plattform myInfo+ via Internet mit Resultaten, Wettkampfplänen und Verkehrsnachrichten versorgt.

Sorge vor Cyber-Attacken

Eine zentrale Aufgabe ist es, für ein Maximum auch an IT-Sicherheit zu sorgen. Der im britischen Kabinett zuständige Minister Francis Maude warnte unlängst, dass das Ereignis „nicht immun“ gegen Cyber-Angriffe sei. Vor vier Jahren in Peking hätten Hacker rund 12 Millionen Attacken versucht. „Wir sind entschlossen, sichere Spiele zu haben“, sagte Maude mit Verweis auf eine spezielle Eingreiftruppe zum Schutz vor Cyber-Attacken.

Mit der Zeit- und Weitenmessung im Stadion beginnt die komplexe Aufgabe der olympischen IT.
Foto: Stefan Rajewski - Fotolia.com

Die immens hohen Anforderungen, beginnend eben mit der exakten Messung der sportlichen Leistungen, erlauben es laut Pennell nicht, bei Olympischen Spielen auf komplett neue Technologien zurückzugreifen. Als zentraler und bewährter IT-Partner ist deshalb weiterhin Atos im Boot.

Atos, BT und Acer im Partner-Pool

„In London werden insgesamt 30 Prozent mehr digitale Informationen zu verarbeiten sein, als bei allen bisherigen Spielen“, berichtet der IT-Dienstleister. Während der Spiele seien 3500 IT-Experten im Technologieteam. Atos spiele eine entscheidende Rolle bei der Bereitstellung von 900 Servern, 1000 Netzwerk- und Sicherheitsgeräten sowie über 10.000 Computern.

Anfang Juni stellte Atos seine Marketing-Plattform für die Spiele vor. Gemeinsam mit dem LOCOG habe man die Systeme 200.000 Stunden lang intensiv getestet, um die umfangreichste olympische IT-Infrastruktur aller Zeiten bereitstellen zu können. „Unserem Streben nach Bestleistungen verdanken wir es, dass wir bei allen Olympischen Spielen seit Salt Lake City im Jahr 2002 maßgeblich an der Bereitstellung der IT-Technologie beteiligt sind“, verlautbart stolz Patrick Adiba als für das Event verantwortlicher Manager bei Atos.

Neben Atos gibt es sieben weitere Technologiepartner: Computerausrüster ist Acer, offizieller Zeitnehmer Omega, die Audio- und Videoausrüstung kommt von Panasonic. Samsung ist der offizielle Partner für Mobilfunkkommunikation, BT ist für das Netzwerk zuständig, Airwave für mobile Betriebsfunkdienste. Cisco fungiert als Netzwerkausrüster.

Massiver Einsatz von Open Source

Für unsere amerikanische Schwesterpublikation CIO.com gab Kolumnist Bernard Golden, zugleich CEO des Beratungshauses HyperStratus, kürzlich Eindrücke eines Gesprächs mit Russ Ede wieder, der für die offizielle Website der Olympischen Spiele verantwortlich ist. Überraschend sei, so Golden, dass der Veranstalter hier massiv auf Open Source-Technologie zurückgreife. Als primäre Software-Basis werde LAMP genutzt, also eine Kombination aus Linux, Apache HTTP Server, MySQL und Perl.

Olympia-CIO Gerry Pennell: Auf einem Gartner-Symposium gab er Einblick in seine Arbeit und Tipps für IT-Chefs.
Foto: Gartner

Aufgrund der gegenüber 2008 neuen Einbindung von Facebook und Twitter muss Ede für temporäre Traffic-Spitzen gerüstet sein, wenn sich sportlich bemerkenswertes zuträgt. Die Foto-Sharing-Plattform Instagram wird dieses Mal noch nicht unterstützt, was sich bis zu den Spielen 2016 in Rio de Janeiro aber geändert haben mag.

Cloud: Noch keine Wolkenhochzeit

"Am verblüffendsten ist vielleicht, dass es keine riesige Server-Farm gibt“, schreibt Golden weiter auf CIO.com. Das liege an der massiven Nutzung der cloudbasierten Dienste für Content Delivery Network (CDN) von Akamai.

Der Anbieter bietet eine Plattform an, mit der Unternehmen ihren Online-Nutzern unabhängig von Gerät und Ort Inhalte und Apps schnell und sicher bereitstellen können. Die Website der Spiele nutzte diese Option bisher bereits für die Übertragung des Olympischen Fackellaufs über diverse Kanäle.

Die Zusammenarbeit mit Akamai ist sozusagen das erste Hineinschnuppern der olympischen IT in die Welt des Cloud Computing. Die Ausnahme von der Regel, denn CIO Pennell erteilte Ausflügen in die Wolke von vereinzelten Abstechern abgesehen für diese Ausgabe der Spiele eine Absage. Wegen der punktgenauen und über Jahre gehenden Planungen sei die Cloud dieses Mal noch keine wirkliche Option gewesen.

Cloud wird ein Modell für die Zukunft

Für die Zukunft sind Olympia und die Services aus der Wolke aber quasi schon verlobt. Denn Pennell betont auch, dass beide im Grunde füreinander geschaffen sein: das bedarfsorientierte Service-Bezugsmodell auf der einen Seite, die Spiele mit ihrem temporären Höchstbedarf auf der anderen Seite. Das Übersetzen in die Wolke werde aber nicht als schnelle Revolution, sondern als langsame Evolution ablaufen, vermutet Pennell.

Der studierte Mathematiker mit Abschluss an der University of Manchester besetzt aktuell sicherlich einen der spannendsten Posten, die es in der Welt der IT-Chefs gibt. Er sammelte Berufserfahrung als Entwickler von Echtzeit-Software für Rüstungsfirmen, als Planungs- und Projektmanager bei der Barclays Bank und als Management Consultant bei PricewaterhouseCoopers. Erfahrung in der Betreuung sportlicher Großereignisse verbuchte er als IT-Chef der Commonwealth Games, die 2002 in Manchester stattfanden. Als LOCOG-CIO ist er seit November 2008 tätig. (Eine Analyse der olympischen IT gibt es von Gartner.)

Das Besondere: Die Intensität und zeitliche Zuspitzung

Über den speziellen Reiz dieser Tätigkeit und eventuelle Lehren für andere IT-Chefs dachte Pennell unter anderem vergangenen November auf einem Gartner-Symposium laut nach (hier das Video). Da sich seine Mitarbeiter naturgemäß und von vorne herein einem zeitlich begrenzten Hochleistungsprojekt verschrieben hätten, entfalle für ihn momentan die übliche Motivationsaufgabe weitgehend, berichtete der Olympia-CIO. Jeder im Team fiebere auf Olympia hin.

Extrem und prägend sei die Intensität und zeitliche Zuspitzung. Als vor Jahren alles begann, habe es nur Aufgaben strategischer Natur gegeben. Gegen Ende des Zyklus gebe es hingegen keine Strategie mehr, nur noch Operations – und das in extremster Weise während der Spiele. Zum guten Teil sind es die gleichen Mitarbeiter, die erst das eine, dann das andere Aufgabenfeld beackern mussten. „Meine Mitarbeiter sammeln in einem Jahr so viel Erfahrung wie andere in vier oder fünf Jahren“, so Pennell. Intern laufe ein Projekt, um nach Anschlussjobs für das Team Ausschau zu halten. Denn nach den Spielen sind auch sämtliche Tätigkeiten der IT rasch beendet.

Als Ratschlag für den Karriereweg anderer CIOs, insbesondere im Hinblick auf Transformationsprojekte, empfiehlt Pennell: „Sammeln Sie Erfahrung!“ Am besten mit einer kleinen Aufgabe beginnen und mit Fleiß und harter Arbeit wachsen. „Arbeiten Sie außerhalb der IT“, lautet ein weiterer Tipp des Olympia-CIOs. Ihm habe es jedenfalls sehr geholfen, etwa als Consultant einen distanzierteren Blick auf die Abläufe zu gewinnen.

Manchmal ein Autokrat sein

Darauf gründet auch Pennells Erfolgsgeheimnis bei seinem olympischen Projekt. Als CIO könne man nicht als oberster Programm-Manager fungieren, sondern müsse das große Bild im Blick haben, immer wieder Abstand gewinnen und delegieren können. Wichtig sei es, Planungen bei Bedarf zu ändern und zu intervenieren, auch wenn man sich alles dereinst am Reißbrett ganz anders ausgemalt habe. Oft sei er durchaus ein gleichrangiger Teamplayer, charakterisiert Pennell seinen Führungsstil. „Aber manchmal muss man auch ein Autokrat sein.“