CIOs für die Pharmaforschung

Promovierte Exoten gefragt

11.07.2008 von Andreas Schmitz
HINTERGRUND Research-CIOs in Pharmakonzernen sind Exoten - und doch sind sie bei Roche Pharma, Astra Zeneca, Johnson & Johnson und Nycomed gesetzte Größen. Commodity, Corporate Standards und User Support sind nicht deren Welt. Viel mehr händeln sie hunderte unterschiedliche Systeme, bieten Datenbanken für Screening-Ergebnisse und entwickeln Algorithmen, um virtuell neue Angriffspunkte für Wirkstoffe zu finden.
Der "Global Head of Group Research Information" bei Roche Pharma in Basel, Bryn Roberts, bringt selbst einige Jahre als Forscher mit. Eine gute Voraussetzung für den Job.

Standardisieren, konsolidieren, harmonisieren: Diese drei magischen Worte bestimmen den Alltag vieler CIOs. Anders sieht es aus bei IT-Managern aus der Pharmabranche, die sich auf den Bereich Research-IT beschränken. Dort sind vor allem Forscher unterwegs, die sich nur ungern vorschreiben lassen wollen, welche Systeme sie einzusetzen haben. Ein CIO muss vom gleichen Schlag sein, sonst klappt die Zusammenarbeit nicht. Und das I ¬- das steht selbstverständlich für Innovation.

Bryn Roberts beispielsweise ist seit etwas über einem Jahr "Global Head of Group Research Information" bei Roche Pharma in Basel. Selbst mit Doktor in Pharmokologie ausgestattet fällt es ihm leicht, sich als CIO in der Forscherwelt zu etablieren und dort ernst genommen zu werden: "Es ist ungewöhnlich, einen CIO für den Forschungsbereich zu haben, der keinen wissenschaftlichen Hintergrund mitbringt", so Roberts, der selbst einige Jahre als Wissenschaftler beim britischen Pharmakonzern Astra Zeneca gearbeitet hat.

Sie haben alle einen IT-Manager für die Forschung: Von Nycomed, Johnson&Johnson, Astra Zeneca bis hin zu Roche Pharma

Rüdiger Buchkremer, Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Chur: "Man muss auch mal Dinge gemacht haben, die auf den ersten Blick 'sinnlos' erscheinen"

Oder wie Rüdiger Buchkremer sich ausdrückt, ehemaliger Forschungs-CIO beim Pharmazweig von Altana, der jetzt zu Nycomed gehört: "Der CIO muss auch mal geforscht haben, auch mal Dinge gemacht haben, die auf den ersten Blick "sinnlos" erscheinen". Wobei der heutige Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Chur darauf anspielt, dass der entsprechende CIO akzeptieren können muss, wenn viele der Ideen etwa für neue Wirkstoffe schon im frühen Stadium der Analyse wieder begraben werden. Unternehmen von Roche Pharma über Astra Zeneca und Johnson & Johnson bis zu Nycomed haben entsprechende Positionen geschaffen, die weitgehend unabhängig von der Corporate IT agieren können. Und meistens auch - wie Roberts - in die Research-Organisation berichten. Denn der Global CIO, bei Roche Pharma Jenniffer Allerton, betreut etwa die globale IT-Infrastruktur, das Netzwerk, die Email-Systeme, den User-Support und die Supply-Chain des Konzerns.

Roche-Mann Roberts sieht seine Aufgabe darin, "die agile, sich schnell wandelnde und hoch innovative Forschungs-Community zu unterstützen". Dabei nutzt er Datenbank- und Netzwerk-Standards der Roche-IT. In Datenbanken sind weltweit sämtliche Screening-Daten aller Roche-Forschergruppen einsehbar. Mit Hilfe der so genannten virtuellen Forschung lässt sich die Wirkung einer Substanz bereits im Vorfeld per Computer simulieren, ehe sie später dann im tierischen und zuletzt im menschlichen Organismus zum Einsatz kommt. In einem späteren Stadium sollen dann die Genomanalyse und Substanzdatenbanken miteinander verknüpft werden. Doch so weit ist es noch nicht.

Roche Pharma: Mehrmalnutzung von Komponenten

Anders als in denjenigen Bereichen, in denen es um langfristige Infrastrukturentscheidungen oder Enterprise Resource Planning Applikationen geht, muss Roberts kurzfristig Systeme und Anwendungen umbauen können. Entwickelt die Research-Informatics etwa neue Algorithmen für die Analyse von Datensätzen, kann es sein, dass dazu neue Systeme nötig sind. Roberts: "Die Lebenszyklen für die Systeme, die wir unterstützen, wechseln manchmal sehr plötzlich". Deshalb setzt der Roche-Manager auf die Mehrmalnutzung von einzelnen Komponenten.

Das technische Design muss also derartige "service-orientierte" Ansprüche in der Architektur mit berücksichtigen. Nur so lässt sich auch die Vielfalt der Anwendungen angemessen nutzen, die in der Roche-Forscherwelt im Einsatz ist. Von vielen hundert Anwendungen geht Roberts aus: "Wir nutzen viele kleine und sehr spezifische Applikationen", so der Basler Manager.

Etwa ein Zehntel des Roche Pharma-Forschungstetats von etwa einer Milliarde Schweizer Franken (618 Millionen Euro) kann Roberts den Forschern jährlich für IT-Projekte spendieren. Allerdings sind viele Investitionen schon allein aus gesetzlichen Gründen nötig. Zwischen der Idee und dem fertigen getesteten Wirkstoff, der schließlich als Medikament auf den Markt kommt, vergehen zwischen sieben und 15 Jahre.

In dieser Zeit ist der Pharmahersteller gegenüber Behörden wie etwa der amerikanischen Gesundheitsbehörde Food and Drug Administration (FDA) dazu verpflichtet, Sicherheitsansprüchen gerecht zu werden und zu gewährleisten, dass klinische Tests erfolgreich gemacht wurden und der Wirkstoff keine unerwünschten Nebenwirkungen im Organismus verursacht. Und vor allem, den Nachweis darüber zu erbringen. Dokumentenmanagement ist also ein weiteres A und O im Forschungs-IT-Job. Roberts spricht von einer schlicht nötigen "validierten und qualifizierten Infrastruktur", die das möglich macht.

Die Visionen gehen allerdings weit über Dokumentationspflichten hinaus. "Personalisierte Medizin" heißt das Credo, dem sich die Forschergemeinde verschrieben hat. Gelingt es, das genetische Profil des Menschen mit den Substanzdatenbanken abzugleichen, lässt sich die Reaktion der Wirkstoffe besser vorhersagen. Voraussetzung dafür ist ein Zusammenwachsen von Pharma und Diagnostik. Nicht zuletzt deswegen ist Roberts für beide Sektionen zuständig. Gelingt es, einen Wirkstoff zu finden, der etwa bei der Hälfte aller Patienten hilft, ließe sich - so die Hoffnung der Forscher - die "Treffer"-Quote auf 90 Prozent steigern. Jene Patienten, die auf das Medikament gar nicht reagieren, würden es zudem erst gar nicht bekommen. Theoretisch jedenfalls.