Kommentar: Von der Gesundheitskarte zur Fallakte

Quasi-Standard bootet Gesundheitskarte aus

11.09.2007 von Andreas Schmitz
Wenn der Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) Carl-Heinz Müller es in einem Gespräch mit CIO als Erfolg verbucht, den Versicherten demnächst eine Krankenversichertenkarte mit Bild anbieten zu können, ist das ein Armutszeugnis für die Arbeit des Ärzteverbandes. Längst verlegen sich private Ketten darauf, das Heft selbst in die Hand zu nehmen. Zum Beispiel bei der elektronischen Fallakte.
Andreas Schmitz, Redaktion CIO: "CIOs haben es satt, dass sich Verbände, Politiker und Lobbyisten gegenseitig in Entscheidungen hemmen."

Da holen die Rhön-Kliniken, Asklepios und Sana zusammen mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft Ende 2005 die elektronische Fallakte aus der Taufe. Den Bedarf erkannte glücklicherweise ein Medizinmann von höchster Stelle eines Krankenhauses, ein Chefarzt der Rhön-Kliniken. Er wollte Einblick in Daten eines Patienten bekommen, der zuvor in einer der Asklepios-Kliniken behandelt worden war. Das war im Herbst 2005, es stellte sich als schwierig heraus. Und es durfte nicht so bleiben.

Also schuf man zunächst im Viererverband eine Vision, die einen einfacheren Austausch von Daten möglich machen könnte und suchte sich einen Partner (Fraunhofer). Inzwischen - nur knapp zwei Jahre später - sind einige Pilotprojekte im Gange. Nicht nur bei den Rhön-Kliniken, Asklepios und den Sana-Kliniken, auch bei einigen der nach und nach hinzugekommen Partner, darunter auch die Aachener Universitätsklinik.

Akte geht durch Krankenhausmauern durch

Allein die Spezifikationen zu Beginn des Vorhabens hat die vier Ideengeber eine halbe Million Euro gekostet. Dafür sei man mit der elektronischen Fallakte so etwas wie ein Trendsetter, behauptet Gerald Götz, IT-Chef bei Sana. Tatsächlich haben die Partner darauf geachtet, proprietäre Technologien in dem Projekt für tabu zu erklären. Denn die elektronische Fallakte hat das Ziel, durch Krankenhausmauern hindurch zu dringen.

Das ist die größte Sorge des IT-Branchenverbandes Bitkom, der davor warnt, die elektronische Gesundheitskarte abzuspecken und damit den Nährboden zu legen, dass "zahlreiche Insellösungen entstehen, die nicht kompatibel sind", so Bitkom-Vize Jörg Menno Harms kürzlich.

Ein Drittel des Marktes nutzt die Fallakte

Die Fraunhofer’schen Spezifikationen der elektronischen Fallakte hingegen sind so angelegt, dass die Interoperabilität der Dienstleister gewährleistet sein soll. Und sie ist schon so etwas wie ein Quasi-Standard. Denn zusammen mit Vivantes, der Charité und den Unikliniken in Aachen, Tübingen, München und Dortmund, so rechnet Sana-Mann Götz vor, würde bereits ein Drittel des Marktes auf die Fallakte setzen - ein nicht zu verachtender Anteil, der alle zumeist an feste Partner gebundenen Konkurrenzprodukte in den Schatten stellt.

Investitionen sind das kleinere Übel

Dass das innerhalb von nur zwei Jahren möglich war, zeigt:

- Die CIOs in Krankenhäusern haben es satt, dass sich Verbände, Politiker und Lobbyisten gegenseitig in Entscheidungen hemmen

- Sie nehmen das Heft selbst in die Hand, da ihnen sonst die Kosten aus dem Ruder laufen, die ihnen kein Gesundheitsministerium und Ärzteverband ersetzt. Dafür sind Investitionen immer noch das kleinere Übel.

Der nächste Schritt wird die elektronische Gesundheitsakte sein, die aus der Systematik der Fallakte entwickelt wird und derzeit mit der Hamburger Krankenkasse DAK entwickelt wird. Darauf zu finden sein sollen Entlassungsdokumente, Befunde, Empfehlungen. Bei angemessenem Verhalten des Patienten sollen zudem Boni-Ausschüttungen möglich werden.

Die KBV unterstützt das Fallakten-Projekt übrigens. Vollbringen werden es allerdings andere.