Schwerpunkt Desktop: Desktop-Outsourcing bei Daimler-Chrysler

Riesen-Transfer mit großem Risiko

03.11.2003 von Heinrich Seeger
Der Desktop ist eine Domäne der Outsourcer: Von der Beschaffung bis zum Asset-Management geht es um millionenfach geübte und daher unkritische Dienste - das klassische Massengeschäft, reine Commodity, ganz einfach. Das kann sich indes als Trugschluss erweisen.

Daimler-Chryslers IT-Mannschaft um CIO Sue Unger ist im Begriff, das wohl größte Desktop-Outsourcing-Projekt aller Zeiten anzugehen. 130 000 bis 150 000 PC-Arbeitsplätze in 153 Werken und mehr als 10 000 Niederlassungen des 150-Milliarden-Euro-Konzernssollen standardisiert, die Beschaffung von Hard- und Software sowie Netzinfrastruktur, Asset-Management, Packaging und Softwaredistribution an HP übertragen werden. Nome de guerre des Projekts: PC Global.

Einzige Ausnahme vom Auftrag: Lediglich der Benutzerservice soll wahlfrei angeboten werden. Wenn also ein regionaler Dienstleister nach Ansicht der dortigen Niederlassung besser oder kostengünstiger arbeitet als HP, bleibt er im Geschäft. Der Handlungsbedarf, sowohl bei den Hard- und Softwareressourcen als auch bei den Prozessen, ist angesichts der Schilderung eines Beteiligten an dem Projekt auf Daimler-Chrysler-Seite in Deutschland, der nicht genannt werden möchte, offenkundig: Hard- und Softwarestandards sind nicht etabliert, eine Bestandsübersicht auf Unternehmensebene existiert nicht, weshalb auch die Schätzung der PC-Anzahl im Konzern eher grob ausfällt; die Differenz zwischen konservativen und offensiven Schätzungen beträgt immerhin 20 000. Und der Zustand verschlimmert sich mit jeder der immer schneller aufeinander folgenden Produktgenerationen. Das führt wiederum zu uneinheitlichen Service-Levels - sofern überhaupt welche existieren - für Fehlerbehebungen und Geräteaufrüstungen. Die Bedarfsplanung ist ebenfalls intransparent, ein konzernweites Desktop-Qualitätsmanagement findet nicht statt. So alarmierend wie die Situationsbeschreibung des Daimler-Chrysler-Mitarbeiters, so ernüchternd fällt seine Analyse der Folgen aus: Hohe Komplexität und hohe Kosten führen danach zu niedriger Qualität und reduzierter Flexibilität.

Auslöser für das Projekt war jedoch die Finanzierungslücke, die bisher turnusmäßig jedes Mal dann entstand, wenn ein neues Betriebssystem eingeführt wurde. 2001 war das letztmals der Fall, und für 2005 steht die nächste Migration auf dem Plan. Daimler-Chrysler verfolgt aber gleich einen ganzen Katalog von Zielen mit dem Outsourcing-Projekt, das die Vielzahl von PC-relevanten Dienstleistern in eine verantwortliche Generalunternehmerschaft von HP kanalisieren soll: Applikationen sollen einfacher und schneller ausgerollt sowie einheitliche Prozesse und Standards für Hardware und Service geschaffen werden. Eine monatliche Pauschale für die Berechnung der Desktop-Kosten seitens HP soll Transparenz schaffen und - durch verringerte Stückkosten - die Ausgaben für Hardware und Service senken. Die Einsparungen, darauf ist die Hoffnung der Verantwortlichen gerichtet, sollen sowohl der Konzern-IT als auch den Geschäftsbereichen zugute kommen und in Infrastrukturmaßnahmen investiert werden.

Stau im Distributionskanal

Seine ungewöhnliche Dimension, für die es keine Erfahrungswerte gibt, macht das Projekt offenbar zur echten Herausforderung, selbst für den nicht gerade kleinen Dienstleister. Aus Daimler-Kreisen in Sindelfingen verlautet, der Roll-out eines Pilotprojekts in Deutschland habe wochenlang gehakt, weil HP die automatische Softwaredistribution nicht auf die Reihe bekam. Das ist besonders kritisch, weil in dem Riesenkonzern neben den Standardanwendungen für fast jeden Arbeitsplatz - Office, E-Mail - mehr als 3000 Spezialapplikationen, darunter viele sehr komplexe Produkte für diverse Ingenieurstätigkeiten, benötigt werden. Und die sollen künftig allesamt von HP verwaltet, paketiert und auf die PCs der Daimler-Chrysler-Mitarbeiter gespielt werden. Dieser Punkt ist aus offenkundigen Gründen besonders kritisch: Damit die IT wie geplant zur "Commodity" für die Kunden im Konzern werden kann - hoch standardisiert, kostengünstig, sofort verfügbar und zuverlässig -, kann man sich im Distributionskanal keinen Stau leisten.

Dass es zumindest im deutschen Pilotprojekt erst einmal wieder vorwärts geht, dürfte nicht zuletzt einem Projektmitarbeiter auf Daimler-Chrysler-Seite zuzuschreiben sein. Er hatte eine HP-Veranstaltung für ein faszinierendes Lehrstück an Vendor-Diplomatie genutzt und klargemacht, wie groß der Druck ist. "Sue Unger fragt jede Woche, wie es steht", warnte er von der Bühne herab, wohl wissend, dass kurz darauf eine Präsentation des Projekts im Headquarter von Daimler-Chrysler in Auburn Hills, Michigan, anstand. Die Gardinenpredigt scheint ihre Wirkung nicht verfehlt zu haben: HP hat den Auftrag weiterhin in der Tasche.

Die bangen Wochen vor diesem Durchbruch dürften allerdings nun dazu führen, dass die Vertragspartner den Vertrag noch einmal besonders akribisch prüfen. Für Mitte Dezember steht nämlich die endgültige Entscheidung an, ob "PC Global" in vollem Umfang ausgerollt wird. Danach erst, darauf besteht CIO Unger, soll publik gemacht werden, bis wann und mit welchen Zwischenschritten alle PCs bei Daimler-Chrysler in die Betriebsverantwortung von HP übergegangen sein sollen.

Image der Daimler-IT steht auf dem Spiel

Dass das Projekt nicht bereits vor der endgültigen Verabschiedung gekippt ist, dürfte nicht nur für HP eine gute Nachricht sein; für das Unternehmen hängt an dem Auftrag das noch unfertige Image eines Global Players im Servicegeschäft. Auch für Daimler-Chrysler geht es um Image und Glaubwürdigkeit, und zwar von Seiten der IT gegenüber den Mitarbeitern. Für Sue Unger persönlich steht schließlich ihre Entscheidung für eine globale Standardisierung auf dem Prüfstand. Die populärste IT-Managerin auf dem Planeten hatte sich damit gegen starke Bedenken europäischer IT-Kollegen im Konzern durchgesetzt. Deren Befürchtung: Es gebe keinen Dienstleister, der einen so großen Brocken allein stemmen könne.
Der endgültige Beweis des Gegenteils steht noch aus.

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