Voice over IP im Unternehmen

Rückkehr der IP-Telefonie

06.09.2004 von Klaus Manhart
Sprachverkehr über Datennetze löst zunehmend die teure Standard-Telefonie ab. Einfach handhabbare Plug-and-Play-Telefone, günstige VoIP-Dienstleister und die Einsparung eines firmeneigenen Telefonnetzes senken die Kosten und erhöhen Flexibilität sowie Komfort.

Die Übertragung von Sprache über Datennetze boomt. Der Luftfahrtkonzern Boeing will sein klassisches Telefonnetz ablösen und seine weltweit 160 000 Beschäftigten via Voice over IP telefonieren lassen. Das Beratungsunternehmen Merryll Lynch hat gerade eine Ausschreibung für IP-Telefonie gestartet.

Mit der Internet-Telefonie, wie sie vor Jahren bereits einmal aufkam, hat die moderne IP-Telefonie nur mehr wenig gemein. Die zunehmende Verbreitung von Breitbandanschlüssen wie DSL hat die Sprachqualität extrem verbessert. Unter guten Voraussetzungen ist kein Unterschied mehr zwischen IP- und StandardTelefonie bemerkbar. IP-Telefonie ist auch nicht mehr wie früher an Computer oder Headphones gebunden. Telefoniert werden kann PC-unabhängig und mit einem ganz normalen Telefon. Hinzu kommt, dass mittlerweile auch einheitliche Standards in der IP-Telefonie Verwendung finden, wobei sich vor allem die SIP-Technik (Session Initiation Protocol) weitgehend durchgesetzt hat. Sie ermöglicht problemlose Telefonate über Betreibergrenzen hinweg.

Geringe Kosten, hohe Flexibilität

Vor allem der Kostendruck und die mit IP-Telefonie verbundene höhere Flexibilität lassen immer mehr Unternehmen ihre althergebrachten Telefonsysteme aufgeben und auf die Sprachkommunikation via IP-Protokoll umsteigen. Telefongebühren entfallen beim IP-Sprachverkehr innerhalb des Corporate Networks ganz, bei Telefonaten außerhalb des Firmennetzes sind die Gebühren extrem reduziert. VoiP-Dienstleister verlangen für Gespräche ins deutsche Festnetz zum Teil nur einen Cent pro Minute. An der Sprachqualität merken die Teilnehmer normalerweise nichts; viele wissen gar nicht, dass sie über VoIP telefonieren.

Wesentlich wichtiger für größere Unternehmen: Bei vollständiger Umstellung auf VoIP entfallen die Management- und Wartungskosten für ein separates Telefonnetz. Da das herkömmliche Telefonnetz bei Voice over IP durch das Ethernet-LAN ersetzt wird, wird für die Übertragung von Sprache und Daten mit IP nur noch ein Netz benötigt. Dies ist viel leichter, schneller und kostengünstiger zu managen und zu pflegen als zwei getrennte Netze für Telekommunikation und Informationstechnologie.

Beispiel Umzug: "Wenn Sie eine normale TK-Anlage haben und die Mitarbeiter umziehen, müssen Sie immer einen Techniker kommen lassen, der die TK-Anlage entsprechend umkonfiguriert", sagt Holger Blank, CIO beim Paderborner IT-Unternehmen Wincor Nixdorf. "Bei einer VoIP-Anlage geht das ganz simpel per Plug and Play: Man zieht einfach das Telefon am alten Arbeitsplatz aus der LAN-Dose raus, steckt es in einen LAN-Port des neuen Büros - und das VoIP-Telefon ist sofort wieder einsatzbereit. Wenn man von der Faustregel ausgeht, dass jeder Mitarbeiter alle drei Jahre einmal umzieht, macht sich das finanziell massiv bemerkbar. So haben wir bei Umzügen 50 bis 60 Prozent gespart." Die Gesamt-Kostenersparnis durch IP-Telefonie schätzt Blank auf 15 Prozent.

Neuanschlüsse lassen sich selbst einstöpseln

Auch Jörn Wöbke von der Hamburger Anwaltskanzlei Rittstieg sieht in der hohen Flexibilität ein Hauptargument für VoIP: "Wir sind in den letzten zwei Jahren relativ schnell gewachsen. Bekommen wir neue Kollegen, so ist es für uns sehr wertvoll, dass wir einfach die Telefone ins Netz einstöpseln können und uns nicht um die Kabelverlegung kümmern müssen oder um die Frage, ob man weitere ISDN-Leitungen braucht."

Das einfache Handling wird vor allem auch durch spezielle IP-Telefone unterstützt, die meist auf dem SIP-Protokoll basieren. Äußerlich sehen SIP-Geräte wie handelsübliche Telefone aus mit den grundlegenden Funktionen wie Wahl-Display, Freisprechen oder Rufnummernanzeige. Der einzige sichtbare Unterschied zu einem gewöhnlichen Telefon sind die Anschlüsse: Statt des üblichen Telefonanschlusses verfügen IP-Geräte über eine Ethernet-Schnittstelle, die per Netzwerkkabel mit dem Firmennetz verbunden wird. Unter der Haube enthalten IP-Telefone das SIP-Protokoll, das die Sprachdaten in IP-Pakete umwandelt.

Im "Small-and-Home-Office (SoHo)-Bereich sind Einsteigertelefone wie das "BT 101 des US-amerikanischen IP-Telefonproduzenten Grandstream verbreitet. Das Gerät besitzt jedoch außer Rufnummernanzeige, Wahlwiederholung, Stummschaltung und einer Freisprecheinrichtung keine Komfortfunktionen. Größere Firmen setzen meist auf professionelle IP-Telefone von den TK-Konzernen Cisco oder Tenovis. Beide Hersteller bieten Telefone mit Funktionen wie beispielsweise Telefonkonferenz, Rückfrage oder einer Rufumleitung bei besetzter Leitung.

VoIP-Pakete lassen sich auch drahtlos via WLAN übertragen. Solche Drahtlos-SIP-Telefone gibt es ebenfalls von Cisco oder vom Würselener Spezialisten für Internetlösungen Zyxel. Damit lässt sich im Empfangsbereich von Wireless Access Points telefonieren.

Trotz des noch jungen Marktes deckt das aktuelle Angebot an IP-Telefonen normale Unternehmensbedürfnisse gut ab. "Wir haben drei IP-Telefonmodelle im Einsatz", sagt Wincor-Nixdorf-CIO Blank, "IP-Komforttelefone für Vorgesetzte und Chefsekretärinnen, Standardgeräte für normale Mitarbeiter und Schnurlos-Telefone für Labormitarbeiter, die abwechselnd im Büro und Labor arbeiten." Wer partout sein gewohntes Analogtelefon nicht aufgeben will, kann dieses auch über spezielle VoIP-Adapter an das IP-Netz anschließen.

Die für VoIP notwendigen IP-Telefone und VoIP-basierten TK-Anlagen werden von VoIP-Dienstleistern zur Verfügung gestellt. Mehrere Firmen bieten VoIP-Dienste und -Hardware als vollen Ersatz für herkömmliche Telefonie an. Während sich IP-Spezialisten wie Sipgate, Nikotel oder Freenet vor allem an Privatkunden wenden, haben der Breitband-Internet-Carrier Broadnet Mediascape, Tenovis oder der VoIP-Hardwarelieferant Innovaphone vor allem Geschäftskunden im Visier.

Wincor Nixdorf setzt beispielsweise auf die Dienste des Branchenriesen Tenovis, der seine VoIP-Techologie in komfortable Telefonanlagen integriert hat. "Die Tenovis-Server hängen bei uns am Hauptsitz Paderborn im Netz, in den 24 Niederlassungen sind 2500 Tenovis-IP-Telefone installiert", sagt Nixdorf-Mann Blank. "98 Prozent der Gespräche laufen bei uns über VoIP, normale Telefonie wird nur noch in Nischenbereichen betrieben, etwa in Aufzügen. Der Vorteil von Tenovis ist, dass auch ein Mischbetrieb möglich ist. So haben wir in Paderborn noch 600 analoge Endgeräte wie Faxe oder Türöffner am IP-Netz hängen."

IP-Telefonie ohne TK-Anlage

Bei Broadnet Mediascape braucht der Kunde überhaupt keine TK-Anlage mehr, wodurch Investitionen und lokale Wartung entfallen. Die Server, die die Funktionen der TK-Anlage nachbilden, stehen "gehostet" bei Broadnet als Carrier. "Das ist kostengünstiger als herkömmliche TK-Anlagen und bietet zusätzliche Features wie Unified Messaging oder Callcenter-Funktionen, die bei traditionellen Anlagen sehr teuer sind", sagt Broadnet-Mediascape-Chef Frank Brügmann.

Der Geschäftskunde bekommt nur noch eine Webpage, über die er die Anlage warten kann. Damit lassen sich neue Teilnehmer, Weiterleitungen oder Konferenzen einstellen. Jurist Wöbke von der Hamburger Anwaltskanzlei Rittstieg schätzt den Mehrwert gegenüber der herkömmlichen Telefonie, die ihm die Broadnet-VoIP-Technologie bietet: "Ich nutze sehr häufig Konferenzschaltungen. Während ich früher mit der traditionellen ISDN-Anlage nur zwei Teilnehmer einladen konnte, spreche ich jetzt mit fünf oder sechs Teilnehmern zeitgleich. Das ist für mich sehr wertvoll." Hinzu kommt: Da man schon auf IP-Ebene ist, lassen sich gleichzeitig auch noch Powerpoint-Folien via Internet präsentieren.