Immer und überall?

Schattenseiten des flexiblen Arbeitens

25.07.2016
Arbeiten im Park, auf dem Sofa oder einfach mal früher nach Hause gehen und sich später wieder einschalten - die dank moderner Kommunikationsmittel mögliche Flexibilität wird in der Arbeitswelt gefeiert. Doch es zeigen sich mehr und mehr Kehrseiten.

Das Handy liegt für den letzten Blick auf die Mails auf dem Nachttisch, am Strand im Urlaub werden noch Fragen des Chefs beantwortet und beim 70. Geburtstag wird noch schnell am aktuellen Projekt gearbeitet. Handy und Tablet machen es möglich, dass Arbeitnehmer immer und überall im Einsatz sein können.

Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur ergab, dass fast jeder zweite Erwerbstätige in Deutschland nach Feierabend seine beruflichen E-Mails checkt. Etwa jeder Dritte hat in seinem letzten Urlaub mindestens einmal in die Dienst-Mails geschaut. Gleichzeitig stört es etwa 40 Prozent aller Deutschen, wenn ihre Begleitung im Urlaub berufliche E-Mails liest. Dabei wird die ständige Erreichbarkeit auch nach Feierabend von etwa jedem Dritten als "eher" oder "sehr belastend" empfunden.

Die ständige Erreichbarkeit hat noch mehr Schattenseiten als genervte Partner. Sie bleibt nicht ohne gesundheitliche Folgen. Einer Untersuchung der Initiative Gesundheit und Arbeit (iga) aus dem Jahr 2013 zufolge sind Beschäftigte im Dienstleistungsbereich stärker betroffen als im Verarbeitendem Gewerbe. Erholzeiten werden verkürzt oder unterbrochen, auch der Abstand zwischen Arbeit und nächtlicher Ruhe falle unter Umständen schmaler aus und könne zu Schlafstörungen führen. Eine ernste Konsequenz könne ein Erschöpfungszustand sein.

Stressbedingte Gesundheitsbeschwerden wie Bluthochdruck und psychische Beschwerden wie Ängstlichkeit, Schlafstörungen, Burnout oder ernsthafte Krankheiten wie Depression seien schlimmstenfalls die Folge. Der zweite Teil der Studie, der sich noch tiefer mit gesundheitlichen Folgen und Auswirkungen auf das Privatleben befasst, wird an diesem Montag veröffentlicht.

Einige Konzerne haben inzwischen Schutzmechanismen für ihre Mitarbeiter eingeführt. Der Vorstand der Deutschen Telekom hat zur Maßgabe gemacht, dass leitende Angestellte ihren Mitarbeitern nach Dienstschluss, am Wochenende und im Urlaub keine Mails schicken. "Jeder kann sich darauf berufen", sagt ein Telekom-Sprecher. Die Vorgabe gilt bei flexiblen Arbeitszeiten auch am Nachmittag. "Diese ständige Erreichbarkeit wird dadurch ausgehebelt", so der Telekom-Sprecher. Das solle die Mitarbeiter in Zeiten von Blackberry und Smartphone auch vor sich selbst schützen. "Erholzeiten sind Erholzeiten."

Bei BMW und Volkswagen räumen spezielle Regelungen den Beschäftigten ein Recht auf Nichterreichbarkeit ein. VW hatte vor einigen Jahren bereits eine E-Mail-Sperre eingerichtet, die Tarifmitarbeiter in den Randzeiten - etwa abends - von E-Mails abkoppelt. Sie können dann weder Mails empfangen noch senden. Daimler stellt seinen Mitarbeitern frei, eingehend E-Mails während ihres Urlaubs einfach löschen zu lassen. Daimler arbeitet nach den Worten von Gesamtbetriebsratschef Michael Brecht gerade an einer Betriebsvereinbarung, die auch das Recht auf Nichterreichbarkeit einschließen soll. Doch andere Konzerne wie beispielsweise Siemens oder Eon überlassen das den Mitarbeitern. "Wir setzen auf Eigenverantwortung", sagt ein Siemens-Sprecher.

In den Gewerkschaften wird inzwischen ein Rechtsanspruch auf Nicht-Erreichbarkeit diskutiert. "Es gibt Regelungsbedarf", sagt Oliver Suchy, Leiter des Projektes "Arbeit der Zukunft" beim Deutschen Gewerkschaftsbund. Das Arbeitsministerium hat Fragen der Erreichbarkeit in seinem "Grünbuch Arbeit 4.0" zur Diskussion gestellt.

"Erreichbarkeit ist ein zweischneidiges Schwert", sagt Suchy. Einerseits werde dadurch flexibles Arbeiten ermöglicht, was im Interesse der Beschäftigten sei. Doch es gebe zu wenige Regelungen, häufig arbeiteten die Beschäftigten unentgeltlich in ihrer Freizeit, Überstunden würden am Ende doch nicht abgegolten.

Einer jüngst veröffentlichten Statistik des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zufolge leisteten die Arbeitnehmer im vergangenen Jahr in Deutschland fast eine Milliarde unbezahlte Überstunden. Diese Belastung sei für die Chefs häufig nicht sichtbar, sagt Suchy. Außerdem sparen die Unternehmen Geld: "Arbeit muss auch bezahlt werden." (dpa/ad)

12 goldene Regeln fürs Home Office

Viele IT-Manager fürchten die Heimarbeit als Produktivitätskiller. Damit Telearbeit nicht ins Desaster führt, müssen klare Regeln gelten – für Homeworker und für ihre Teams.
Regeln für Telearbeiter: 1. Routinen einhalten
Heimarbeit braucht feste Zeiten, um nicht in den Freizeitpark zu führen. Überlegen Sie, zu welchen Zeiten Sie für das Unternehmen erreichbar sein müssen, und legen Sie drum herum Ihre Arbeitszeiten je nach Biorhythmus.
2. Arbeitsplatz einrichten
Heute hier, morgen dort arbeiten? Bloß nicht. Das Gehirn braucht einen festen Anker. Sobald es dann den Schreibtisch sieht, switcht es automatisch in den Arbeitsmodus.
3. IT-Support sichern
Die technische Erreichbarkeit ist Grundvoraussetzung für den Heimarbeitsplatz. Daher unbedingt mit dem Arbeitgeber klären, wer bei auftretenden Problemen hilft.
4. Nanny anstellen
Störende Kinder bei der Arbeit sind ein No-Go – im Büro genau wie im Home Office. Also für Betreuung sorgen, wenn es möglich ist.
5. Grenzen ziehen
Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps. Soll heißen: Im Job arbeitet man diszipliniert und vorbildlich wie in der Firma. Nach Feierabend aber schaltet man genauso vorbildlich ab. Und lässt das Bürotelefon im Arbeitszimmer läuten, bis es schwarz wird.
6. Flurfunk empfangen
Wer zu Hause arbeitet, bekommt weniger von den Schwingungen im Unternehmen mit. Dort stehen Homeworker in der Holschuld. Denkbar sind etwa regelmäßige Update-Telefonate mit einem Kollegen oder das tägliche Einloggen ins firmeneigene soziale Netzwerk.
Regeln fürs Team: 7. Leitplanken setzen
Ohne Vertrauen geht nichts. Der Chef sollte seiner Mannschaft feste Leitplanken setzen, innerhalb derer sie freie Fahrt gestatten. Die neue Denke: Hauptsache, die Arbeit wird erledigt. Egal wo.
8.Transparenz schaffen
Jedes Teammitglied muss wissen, wie und wann die Kollegen erreichbar sind. Ein elektronischer Teamkalender verschafft Durchblick.
9. Medien festlegen
Der digitale Büro-Austausch hat viele Gesichter: Telefon, E-Mail und Chat, WhatsApp Videokonferenz und Firmenwikis. Das Team sollte festlegen, was man wie mitteilt.
10. Technik umarmen
Neue Techniken sind für Telearbeiter-Teams immer Freund und nicht Feind. Also bitte nicht die Kamera beim Videochat zukleben – das Gesicht sagt manchmal mehr als 1.000 Worte!
11. Fair bleiben
Gleiches Recht für alle. Falls durch die veränderten Arbeitsorte Mehrarbeit entsteht, muss diese gleichmäßig auf den Schultern von Präsenz- und Telearbeitern verteilt werden. Chefsache.
12. Jours fixes vereinbaren
Der altmodische Austausch von Angesicht zu Angesicht ist durch keine Webkonferenz der Welt zu ersetzen. Feste Termine für Teamtreffen festlegen, wenn es möglich ist.
zusammengestellt von Judith-Maria Gillies
freie Wirtschaftsjournalistin in Köln.