Rhetorik

Siegen statt stottern

25.06.2008 von Helene Endres
"Wenn Sie das nicht machen, breche ich Ihnen das Kreuz," sagt der Chef. Fast jeder kennt diese Momente, in denen man sich fühlt wie im Bewerbungsgespräch. Im Kopf herrscht Leere. Souveräne Antworten? Fehlanzeige. Wir zeigen Ihnen, wie Sie sich auch unter Stress verbal durchsetzen können.

Es war das montägliche Meeting der Geschäftsführung eines großen Unternehmens im Westen Deutschlands. Elf Uhr, die erste und zweite Führungsebene waren anwesend. Eigentlich ging es um eine Banalität, der Geschäftsführer wollte, dass sein Stellvertreter K. eine Sache durchzieht.

Der war anderer Meinung, sperrte sich, es gab eine kurze Diskussion, dann sagte der Chef: "Wenn Sie das nicht machen, breche ich Ihnen das Kreuz." Schweigen. Der Stellvertreter war wie gelähmt, konnte nicht reagieren - und spürte gleichzeitig, wie er in den Augen der Kollegen sein Image als aufrechter Manager innerhalb von Minuten verlor.

Er war einerseits tief getroffen von dem drastischen Ton und der öffentlichen Demütigung. Andererseits war er schockiert über die eigene Machtlosigkeit, angemessen oder wenigstens irgendwie zu reagieren. Ein schwacher Trost für K.: Er ist nicht allein. Fast jede Führungskraft kennt diese Momente, in denen sie sich fühlt wie damals im Bewerbungsgespräch. Im Kopf herrscht Leere. Souveräne Antworten? Fehlanzeige. Fundierte Argumente? Speicher gelöscht.

Und die Angst vor derartigen Situationen wächst: Dank Telefon- und Videokonferenzen oder Handy-Videomitschnitten werden die Momente des Versagens auch denjenigen bekannt, die es sonst gar nicht mitbekommen hätten. Mit jedem verlorenen Disput wird das eigene Image beschädigt. Denn es ist klar: Wer seine Ideen und sein Wissen nicht verkaufen kann, bleibt karrieretechnisch auf der Strecke.

Dieser Artikel erscheint mit freundlicher Genehmigung von manager-magazin.de.

Dabei ist das Problem, auch unter Stress schlüssig zu argumentieren, weniger groß, als es den meisten subjektiv vorkommt. Denn man kann lernen, mit verbalen Sackgassen umzugehen - oder gar nicht erst hineinzugeraten.

Das Grundproblem ist ein biologisches: Steigt während einer hitzigen Diskussion das Stressniveau leicht an, beflügelt das und gibt Kraft. "Provoziert mich dann jedoch jemand, steigt der Stress über das gesunde Level. Ich lande im psychologischen Nebel und erleide einen Kontrollverlust, mein Hirn gleicht dem eines Reptils", sagt der promovierte Dialektiktrainer und Coach Albert Thiele (54), Autor des Bestsellers "Argumentieren unter Stress".

Nicht auf verbales Abwatschduell einlassen

Besonders bei unfairen Angriffen hilft es also, sich vorzunehmen: Ich bleibe sachlich, lasse mich nicht provozieren und versuche, den anderen wieder in ruhigeres Fahrwasser zu lenken. Wer also in einem Meeting Sätze wie "Dafür sind Sie doch viel zu unerfahren" an den Kopf geknallt bekommt, sollte es sich verwehren, patzig zu antworten. "Ich warne davor, schlagfertig sein zu wollen", sagt Matthias Schranner, Deutschlands wohl gefragtester Verhandlungsprofi. Denn sich auf ein verbales Abwatschduell einzulassen schraubt die Stressspirale nur weiter nach oben und damit das eigene Unvermögen zur Reflexion.

Diese Spirale erlebt Johannes P., Bereichsleiter und Prokurist bei einem Pharmagroßhandel, regelmäßig, wenn er Gespräche mit einem bestimmten Hersteller führt. "Die Kollegen dort treten arrogant und selbstgefällig auf. Sie stellen ständig negative Behauptungen auf und nehmen mir dadurch völlig das Heft aus der Hand. Ich bekomme schon vor dem Termin schlechte Laune."

Es ist schwer vorstellbar, dass ein Profi wie P., Anfang 40, leichte Lachfalten um die Augen, fester Blick, vor Besprechungen Angst haben könnte. Doch erst seit er sich einen Trick antrainiert hat, weiß er mit dieser Situation umzugehen. Wird er wieder durch Killersätze in die Ecke gedrängt, weicht der Manager geschickt aus.

Kommt also der Vorwurf "Ihr Vertriebssystem ist viel zu träge", geht er nicht mehr in die Luft, sondern sagt etwas wie: "Das ist eine sehr pauschale Behauptung. Wir sind einer der Marktführer im Bereich ..." Oder: "Aus Ihrer Perspektive vielleicht. Was Sie aber nicht wissen können ..." Und schließt jedes Mal ein Loblied auf die Alleinstellungsmerkmale seiner Firma an. Das kann er auswendig und bewegt sich damit auf sicherem Terrain. Die Angriffe verpuffen. Und Johannes P. kommt zurück zum Thema und heraus aus der Defensive.

Auch gut in solchen Situationen sind sachliche Rückfragen - das geht immer. Beispielsweise: "Wo genau empfinden Sie uns als träge?", oder: "Wie gut kennen Sie unser Vertriebssystem?" Und während der andere nach einer Antwort sucht, schafft man es selbst wieder in den grünen Bereich und erlangt die Kontrolle zurück.

Ein gutes Mittel gegen den Redestress hat inzwischen auch Sabine Q. gefunden, einziges weibliches Vorstandsmitglied eines mittelgroßen Unternehmens: Jedes Mal, wenn sie die Vorstandssitzung leitete, fühlte sie sich von ihren Kollegen unter Druck gesetzt, bedrängt, sie bekam ihre Agenda nicht durch, wurde nicht ernst genommen.

Heute betritt sie den Raum und setzt klare Spielregeln: Nur sie redet, wer Fragen hat, möge die entweder notieren, oder sie hält sie auf einem Flipchart fest. Egal ob dumme Kommentare oder gerechtfertigte Kritik - alles später. Mit Erfolg: Ihre Meetings sind geordneter, die Herren können Sabine Q. nicht mehr verunsichern. Und die gesammelten Fragen beantwortet sie übrigens in der Reihenfolge ihrer persönlichen Präferenz.

Fünf-Satz-Technik: Kernbotschaften übermitteln

Auf die Inhalte hat sie sich vorbereitet - denn gut argumentieren kann nur, wer schnell auf profundes Sachwissen zurückgreifen kann. "Nur etwa fünf bis sieben Prozent der Führungskräfte können auch schwierige Gesprächspartner aus dem Stand für sich gewinnen", so Gesprächsprofi Thiele, "der Rest muss sich strukturiert vorbereiten, seine Argumente fast auswendig lernen. Mindestens drei Kernargumente sollte man immer verfügbar haben als 'Inseln im Wasser', falls man ins Schwimmen gerät."

Die Kunst dabei ist, seine Kernbotschaften auf den Punkt zu bringen. Zum Beispiel durch die Fünf-Satz-Technik: Erst kommt eine Einleitung ("Ein interessanter Punkt. Erlauben Sie mir drei Anmerkungen"), dann drei Argumente und schließlich eine folgernde Hauptaussage ("Und daher sollten wir unbedingt den Zulieferer wechseln"). Fertig.

Das Gute an dieser Struktur: Sie lässt sich zur Not an den Fingern abzählen. Sie bewahrt vor ermüdenden Endlosschleifen. Und sie ist vom Prinzip her immer gleich, inhaltlich jedoch wandelbar: Bei den Sätzen zwei bis vier können Beispiele statt Argumenten genannt werden oder eine chronologische Kette, ein Kompromiss kann kurz erläutert werden (Pro, Contra, Mittelweg).

An das beste Wissen kommen

Um seinen fünf Sätzen entsprechende Wucht zu verleihen, sollte man vorher die wichtigsten Fakten recherchieren. "Sie müssen an das beste Wissen aus dem eigenen Haus kommen. Dazu gehören aktuelle Zahlen, neue Ergebnisse und Argumentationshilfen zu den Schlüsselfragen der Unternehmenspolitik. Wer das dann noch jederzeit abrufbereit hat und souverän vorträgt, kann nur gewinnen", so Coach Thiele.

Und für diejenigen, die trotz aller Vorbereitung und guten Willens erst mal nichts sagen, gibt es auch noch Hoffnung: Wer hinterher unter vier Augen das Gespräch mit dem Kontrahenten sucht, zeigt Stärke und kommt oft zu einem befriedigenden Ergebnis.

Wie K., der Stellvertreter mit dem fast gebrochenen Kreuz: Weil ihm der Vorfall keine Ruhe ließ, suchte er Ende der Woche seinen Vorgesetzten auf. Sagte ihm, dass er sehr verletzt sei, und präsentierte seine Argumente nochmals schlüssig in fünf Sätzen. Der Geschäftsführer war beeindruckt vom Mut seines Vize - und der konnte anschließend mit geradem Rücken seine eigene Entscheidung treffen.