Personalführung

So viel Intuition verträgt ein Unternehmen

28.09.2012 von Andreas Zeuch
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse sind erdrückend: Erfolgreiche Entscheidungen sind, vor allen Dingen wenn sie komplex sind, kollektiv und emotional-intuitiv geprägt.
Andreas Zeuch promovierte in Erwachsenenbildung über das Training professioneller Intuition. Er arbeitet seit 2003 als freiberuflicher Berater, Trainer, Coach und Speaker mit dem Schwerpunkt unternehmerischer Entscheidungen. Im Jahr 2009 gründete er die Beratergruppe sinnvoll wirtschaften.
Foto: Dr. Andreas Zeuch

Am 16. März 2012 veröffentlichte das Handelsblatt einen Artikel mit dem Titel Manager-Kaderschmieden in der Sinnkrise. Im Beitrag wird deutlich, dass mittlerweile auch in der Ausbildung zum Manager die gängigen Grundannahmen erfolgreichen Wirtschaftens nicht mehr überzeugen.

Allerdings fehlt es den verantwortlichen Professoren an Mut und Ideen, wie sie das MBA-Studium neu gestalten können, damit es den Anforderungen einer zunehmend komplexeren und dynamischeren (Wirtschafts-)Welt Genüge leistet. Neben der Kritik an Praxisferne und mangelnder ethischer Reflexion fehlt aus meiner Sicht ein zentraler Aspekt: Die individuelle EntscheidungsKompetenz und unternehmerische EntscheidungsKultur. Schließlich sind es die Entscheidungen von heute, die den Erfolg von morgen bestimmen.

Erfüllungsgehilfen und Befehlsempfänger

Zu welchen Effekten eine traditionelle Top-Down-EntscheidungsKultur führt, konnte man im Spiegel vom 30. April 2012 lesen: Im Titelartikel Ausgepackt. Aldi-Insider über die skrupellosen Praktiken ihres Konzerns fanden sich zahlreiche Beispiele, die als traurige Fallstudie illustrieren, wie die Arbeitsmotivation vor die Hunde geht, wenn Mitarbeiter als Erfüllungsgehilfen und Befehlsempfänger behandelt werden. Wenn bis ins kleinste Detail vorgeschrieben wird, wie der Schreibtisch geordnet zu sein hat, stellt sich nicht nur die Frage, welchem (prä-)pathologischen Zwangscharakter und Misstrauen das Top-Management unterliegt.

Vielmehr wundert es mich, dass selbst nach zahlreichen, immer wiederkehrenden wissenschaftlich fundierten Studien, die den Zusammenhang von Entscheidungsfreiheit, Arbeitszufriedenheit, Krankheitsfehltagen und Fluktuation belegen, immer noch der Glaube besteht, dass es effektiver und effizienter sei, den Mitarbeitern keinen oder nur geringen Raum zur Mitgestaltung zu geben. Wo ist da die Rationalität? Wo das Vertrauen in empirisch wissenschaftliche Forschungsergebnisse? Wo die Konsequenz aus den beinahe erdrückenden Forschungszahlen, -daten und -fakten?

Gute Arbeit, schlechte Arbeit

Kurz zur Erinnerung: Der jährlich erhobene Engagementindex von Gallup, repräsentativ für alle Unternehmensgrößen und -branchen, ergibt für das Jahr 2011 lediglich 14 Prozent hoch motivierte Mitarbeiter. 63 Prozent weisen eine geringe emotionale Bindung an das Unternehmen auf und schieben Dienst nach Vorschrift - damit sind sie wohl kaum Leistungsträger. Die verbleibenden 23 Prozent sind völlig entkoppelt von ihrem Arbeitgeber und befinden sich in der inneren Kündigung. Die Kosten dieser inneren Kündigung beziffert Gallup konservativ gerechnet auf rund 124 Millarden Euro - die tatsächlichen Kosten liegen meines Erachtens wesentlich höher.

Der ebenso repräsentative DGB-Index Gute Arbeit, schlechte Arbeit für das Jahr 2010 kommt unabhängig von der Gallup-Studie zu ähnlichen Ergebnissen: Lediglich 15 Prozent der Mitarbeiter erleben Ihre Arbeit als "gute Arbeit". 52 Prozent verlieren Ihre Motivation bei mittelmäßiger Arbeit und sogar 33 Prozent attestieren ihrem Arbeitgeber schlechte Arbeit und lechzen bereits am Montag dem kommenden Wochenende entgegen.

Damit nicht genug: Der IAQ-Report 2011-03 verweist auf eine seit 1984 bis 2009 stetig sinkende Arbeitszufriedenheit. Im internationalen Vergleich lag Deutschland von 22 untersuchten Ländern auf Platz 18.

Ursache der Misere

Eine Ursache dieser Misere ist den Studien gemein: Menschen werden frustriert, wenn sie nicht mitgestalten dürfen. Damit wird die Selbstorganisation und Selbstbestimmung von Mitarbeitern als eines der fünf Prinzipien einer effektiven EntscheidungsKultur zu einer zentralen Steuergröße unternehmerischen Erfolgs.

Neben dieser kulturellen Variable wird dann natürlich sofort die individuelle EntscheidungsKompetenz der Führungskräfte und Mitarbeiter wichtig. Auch hier ist die Forschungslage ziemlich eindeutig: Entscheidungen werden und können nicht ausschließlich rational getroffen werden, also auf Grundlage von Zahlen, Daten und Fakten.

Das Fünfeck des Nichtwissens.
Foto: Dr. Andreas Zeuch

Dies hat zweierlei Ursachen: Erstens sind alle -und das ist wörtlich gemeint- Entscheidungen rational und emotional-intuitiv geprägt. Das ist allerspätestens seit den Forschungsergebnissen des amerikanischen Neurologen Antonio Damasio klar: Wer seine Fähigkeit verloren hat, Gefühle bewusst wahrzunehmen, kann keine sinnvollen, rationalen Entscheidungen mehr treffen. Ebenso klar ist heute, dass intuitive Entscheidungen in vielen Situationen sogar effektiver und effizienter sind als eher rationale. Das gilt vor allem dann, wenn Entscheidungen unter unvollständiger Information getroffen werden müssen.

Fünfeck des Nichtwissens

Das leitet über zur zweiten Ursache, die ich das "Fünfeck des Nichtwissens" nenne: Es ist die Ausnahme, dass wir unter vollständiger Information entscheiden, vermutlich sogar nur ein unerreichbares Ideal. Häufig fehlen Daten, in anderen Fällen haben wir zuviel davon, um sie in der zur Verfügung stehenden Zeit zu analysieren und interpretieren. Des Weiteren sind Daten häufig widersprüchlich, wie zum Beispiel in der Technikfolgenabschätzung: Energiegewinnung, Genfood, Nanotechnologie und so weiter. Daten können aber auch nicht vertrauenswürdig sein oder, nicht zuletzt, schlicht unverständlich. Schließlich wird nicht immer offen und ehrlich kommuniziert, weder innerhalb eines Unternehmens noch zwischen ihnen.

Zufriedene Leistungsträger

Das Buch "Feel it!: So viel Intuition verträgt Ihr Unternehmen" von Andreas Zeuch, ist im Wiley-VCH Verlag erschienen. Preis: 24,90 Euro.
Foto: Wiley-VCH Verlag

Damit stehen Vorstände und Geschäftsführer neben vielen anderen Aufgaben vor einer großen Herausforderung: Wer seine Mitarbeiter nicht zur dumpfen Masse machen will, die Dienst nach Vorschrift schiebt oder gar innerlich gekündigt hat, tut gut daran, sein Management und seine Führung zu innovieren.

Ein Aspekt davon ist die unternehmerische EntscheidungsKultur und die individuelle EntscheidungsKompetenz. Diese Themen gehören auf die Agenda der Personal- und Organisationsentwicklung - wenn man mehr zufriedene Leistungsträger in der Firma will und eine Anpassungsfähigkeit aufbauen möchte, die der steigenden Komplexität, Dynamik und damit dem permanenten Wandel der Zukunft gerecht wird.

Andreas Zeuch promovierte in Erwachsenenbildung über das Training professioneller Intuition. Er arbeitet seit 2003 als freiberuflicher Berater, Trainer, Coach und Speaker mit dem Schwerpunkt unternehmerischer Entscheidungen. Im Jahr 2009 gründete er die Beratergruppe sinnvoll wirtschaften. (CFOworld)