Analysten-Kolumne

SOA - Ohne den Fachbereich geht`s nicht

15.03.2006 von Oliver Lehmeyer
Für Unternehmen können serviceorientierte Architekturen (SOA) zu einer der vielleicht wichtigsten Innovationen in den nächsten Jahren werden. Doch momentan hat SOA ein Wahrnehmungsproblem: Es wird häufig, zu häufig als reines IT-Thema dargestellt. Die Zuständigen in den Fachbereichen haben sich aus diesem technischen Dialog vielfach bereits verabschiedet. Für sie stellt SOA meist noch ein Mysterium dar.

Diese Diskrepanz in der Wahrnehmung zeigt sich auch in der IT-Trends Studie 2006 von Capgemini. Von den Befragten, die sich bereits intensiv mit dem Thema SOA beschäftigt haben, halten es 38 Prozent für ein Management-Konzept, für 27 Prozent steht der technische Aspekt im Vordergrund. Von denjenigen, die keine SOA-Erfahrungen haben, versteht es niemand als Management-Konzept.

Diskussion aus Techniksicht schadet dem Thema

Wie bereits geschildert, tragen nicht zuletzt die wenig Wert stiftenden Diskussionen und Beiträge zum Thema aus IT-Sicht hierzu bei. Die einen diskutieren darüber, ob es sich nicht eventuell nur um einen weiteren "Hype" bzw. um "Alten Wein in neuen Schläuchen“ handeln könnte. Andere diskutieren hitzig, wer es nun erfunden habe und ob es nun um Web-Services gehe oder nicht.

Wenig erhellend auch sind rein technisch geprägten Beiträge, die in SOA nichts anderes als eine konsequente Evolution des Software-Engineering nach der Objekt- und Komponentenorientierung sehen. Auch die marktschreierischen Versuche einiger EAI-Plattformanbieter, die die Diskussion zum Anlass nehmen, eine Verkaufsoffensive ihrer Enterprise-Application-Integration-Produkte zu starten, helfen dem Thema nicht.

Serviceorientierung ist ein übergreifendes Strukturprinzip

Wer sich näher mit dem Thema befasst, erkennt, dass Serviceorientierung ein übergreifendes Strukturprinzip ist. Der Begriff macht es deutlich - es geht um eine Form der "Orientierung“, die, wenn das Thema in irgendeiner Form von Belang sein soll, bisher irgendwie gefehlt haben muss. Gefehlt zum einen zwischen den Fachbereichen im Hinblick auf die mangelnde Bereitschaft zur übergreifenden Harmonisierung der Fachprozesse. Gefehlt zum anderen an der Schnittstelle zur IT basierend auf einem verkrusteten Rollenmodell starrer Auftraggeber-/Auftragnehmerstrukturen.

Fachliche Anforderungen liefern die Steuerungsimpulse

Erfolg und Wachstum im globalen Wettbewerb hängen von der Anpassungsfähigkeit einer Organisation und ihres Geschäftsmodells ab. Im Vordergrund steht die nach Darwin als überlebenswichtig definierte Anpassungsfähigkeit, die noch vor Stärke und Intelligenz höchste Priorität hat. Dabei ist Flexibilität kein Selbstzweck. Nicht das "Big Bang“-Prinzip ist gefragt, sondern eine pragmatische Entwicklung nach wirtschaftlichen Gesichtpunkten.

Mit der Maßgabe "Business drives IT – IT drives Business“ müssen die Strukturierungsimpulse der Serviceorientierung konsequent Top-Down aus Businesssicht erfolgen. Nur so lassen sich Prozesse und zugehörige Anwendungen identifizieren, die künftig auch hohe Anforderungen an Agilität und Flexibilität erfüllen müssen.

Schulterschluss von Fachbereich und IT

Erfolgskritisch ist also der richtige fachbereichs- und produktübergreifende Zuschnitt fachlicher Services = "Service Oriented Enterprise“ - SOE. Die IT realisiert bzw. komponiert aus diesen fachlichen Anforderungen dann mit heute weitgehend etablierten Standards die flexiblen technischen Dienste und verwaltet diese = "Service Oriented Architecture“ - SOA. Sie stellt auch die notwendigen, anpassungsfähigen Infrastrukturkapazitäten = "Service Oriented Infrastructure“ - SOI für die laufende Produktion bereit. Die "Governance“ regelt die jeweiligen Verantwortlichkeiten und Mitwirkungspflichten.

Neuer gemeinsamer Verantwortungsbereich

Serviceorientierung gibt also einen neuen Weg vor, wie Business und IT auf Basis einer gemeinsamen Gesamtarchitektur den Herausforderungen erhöhter Anpassungsfähigkeit begegnen können. Die entscheidende Neuerung liegt dabei in der neu einzuführenden Schicht der sogenannten "Servicearchitektur“, die Business und IT vereint. Sie stellt den inhaltlichen Kern dar, der künftig den Dialog zwischen Fachseiten und IT über spezifische Anforderungen bestimmen muss.

Die Ausgestaltung der Zusammenarbeit für diesen neuen, gemeinsamen Verantwortungsbereich bedarf klarer Zuständigkeiten entlang des gesamten Service-Lifecycles vom Zuschnitt der Services, seiner technischen Realisierung, seiner Einführung, seiner laufenden Maintenance, seinem Re-Use, bis hin zur verursachungsgerechten Leistungsverrechnung.

Klare Governance verhindert politisches Kompetenzgerangel

Das eigentliche Potenzial von SOA liegt nicht in einer technischen Innovation, sondern in den Chancen eines fachlichen Strukturprinzips, das Anforderungen an die Informationstechnologie mit der Sprache des Business definiert.

"Business drives IT – IT drives Business“ bedeutet nicht zuletzt, dass nur dort, wo Bereitschaft zur fachbereichs- und produktüberbergreifende Zusammenarbeit vorhanden ist und Wiederverwendung und Komplexitätsreduktion durch Kapselung auf der Bestellliste des Auftraggebers steht, der Auftragnehmer das auch liefern wird.

Fehlt ein solches Rollenverständnis, so wird die Servicearchitektur weder den Anforderungen des Business noch denen der Informationstechnologie gerecht werden. Es ist viel mehr zu befürchten, dass der bedeutende Mehrwert der Serviceorientierung auf Grund mangelnder Governance im politischen Kompetenzgerangel und im rein technischen Dialog versandet.

Think big – start small

Aus unserer Projekterfahrung heraus empfiehlt es sich, den Weg zur Serviceorientierung pragmatisch zu beschreiten. Man muss die Ist-Situation transparent machen ("SO-Readyness“), alle notwendigen Schritte langfristig planen ("SO-Roadmap“) und mit einem fachlich priorisierten Piloten erste Erfahrungen sammeln. Erfolgskritisch ist die enge Zusammenarbeit der Prozess-, Fachbereichs- und IT-Experten.

Gelingt dieser Schritt, so führen die Potenziale, die vor allem in Time-to-Market-Effekten sowie harmonisierten Fachprozessen und höherer Effizienz durch Wiederverwendung liegen, zu einer belegbaren Amortisation der Investitionen innerhalb von ca. drei bis vier Jahren.

Oliver Lehmeyer ist Berater bei Capgemini Zentraleuropa, Financial Services.