IT-ler im Zwist mit Marketing-Abteilungen

Social Software zwischen Mythos und Mogelpackung

04.06.2008 von Christiane Pütter
Sie kurbeln den Umsatz an, senken Kosten und bringen es auch noch fertig, aus launischen Konsumenten treue Kunden zu machen. Online-Communities gelten in der Marketing-Branche als neuer Heilsbringer. IT-ler sind dagegen skeptisch. Stress mit Social Software scheint programmiert.
Die Budget-Verteilung bei Social Software laut den Berechnungen von Forrester.
Foto: Forrester

Beim Unternehmensberater McKinsey kann man sich gar nicht fassen vor Begeisterung: Web 2.0-Technologien revolutionierten die Beziehungen zum Kunden, heißt es im Trend-Bericht "Eight business technology trends to watch". Wer Blogs und Wikis in Entwicklung und Tests, Marketing und After-Sales-Produkte einbeziehe, erhalte mehr Informationen über Kundenverhalten und -bedürfnisse.

McKinseys Schlussfolgerung: Web 2.0 steigert die Kundenbindung, macht die Neukundengewinnung schneller und billiger und beschleunigt gar Innovations-Zyklen. Web 2.0, und der Kunde wird zum Innovator.

So eine Botschaft zündet. Schon meldet der Hersteller Epoq, 71 Prozent von 110 deutschen Top-Managern aus der Werbe-Branche schrieben Web 2.0 wachsende Bedeutung zu. Laut einer Analyse des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) setzen Unternehmen dabei vor allem auf Online Communities. Der wesentliche Vorteil liegt in der Erreichbarkeit, der Vernetzung untereinander und dem Kundenkontakt, so Jenny Meyer, wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZEW.

So etwas kostet. Die Analysten von Forrester haben im "Global Enterprise Web 2.0 Market Forecast" ausgerechnet, dass der weltweite Markt für Web 2.0-Technologien im Jahr 2013 auf rund 4,6 Milliarden US-Dollar anschwellen dürfte. Zum Vergleich: Dieses Jahr sind es 764 Millionen Dollar.

Der Einsatz-Zweck von Social Software.

Das Geld ist denn auch einer der Punkte, an denen sich in den Unternehmen Streit entzünden kann. Laut Forrester haben die IT-Entscheider zum Web 2.0-Hype eine ganz andere Einstellung als die Kollegen aus dem Marketing. Konkret: Ihnen ist das nicht nur zu teuer, sie zweifeln außerdem am Nutzen.

Wofür Forrester durchaus Verständnis hat - verschlingt allein der Unterhalt der bestehenden Systeme doch schon 70 Prozent der ohnehin nicht üppigen IT-Budgets. Viele CIOs seien daher nicht bereit, für "unsichere Technologie auf Endverbraucher-Niveau und mit geringem Wert" in die Tasche zu greifen.

Wenn das Marketing auf seinen Wünschen beharrt, ist es aber auf die IT-Abteilung angewiesen - Stoff für Konflikte dürfte gegeben sein.

CIOs im Mittelstand haben es leichter

Wohl dem CIO, der bei einem Mittelständler arbeitet. Unter den Firmen mit weniger als 500 Mitarbeitern setzt nur knapp jede Dritte (32 Prozent) Social-Software-Anwendungen ein. Das heißt umgekehrt: 68 Prozent nutzen solche Technologien überhaupt nicht.

"Von diesen 68 Prozent geben mehr als die Hälfte, etwa 59 Prozent, als Grund dafür an, dass sie keine Notwendigkeit und keinen Sinn im Einsatz von Social Software sehen", erklärt Jenny Meyer.

Vielleicht nicht die schlechteste Haltung. Hans-Joachim Popp, CIO beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, gibt zu Bedenken, dass Blogs zum Beispiel noch nicht industrietauglich sind und dramatische Folgen haben können: "Für ein Unternehmen wird die richtige Information in falschen Händen leicht zur Existenzbedrohung." Popps Fazit: Social Software brauche viel "IT-Sozialarbeit".

Das Märchen von der Kostenfreiheit

Und auf Netzeitung.de hat der Medientheoretiker Geert Lovink schon Anfang vorigen Jahres eine Enttarnung des Kostenfreiheitsmythos gefordert. Lovink sagt: "Es ist erstaunlich, wie verbreitet die Idee ist, im Netz sei alles umsonst. Die Herstellung und Weiterführung der Websites kosten Geld. Es gibt Programmierer, Designer, Hardware, Bürokosten. Irgendwie muss das alles doch bezahlt werden."