Forschung zu Sozialverhalten

Stress muss nicht aggressiv machen

26.06.2012 von Andrea König
Eine Studie der Uni Zürich zeigt, dass Stress bei Männern nicht zwangsläufig zu Aggressionen führt. Im Gegenteil. Er kann positives soziales Verhalten verstärken.

Ein Forschungsteam unter Leitung der Universität Freiburg hat in einer Studie untersucht, wie Männer in Stresssituationen reagieren und mit den Ergebnissen eine gängige Lehrmeinung widerlegt. Nach dieser fast 100 Jahre alten Lehrmeinung sollen Menschen und die meisten Tierarten unter Stress die sogenannte "Kampf-oder-Flucht-Reaktion" zeigen. In den späten Neunzigerjahren wurde diese Annahme für Frauen in Frage gestellt. Seitdem vertreten einige Wissenschaftler die These, dass Frauen unter Stress alternativ nach dem "Tend-and-befriend-Konzept" handeln, also mit einem beschützenden und Freundschaft anbietenden Verhalten reagieren.

Männer reagieren auf akuten Stress nicht - wie lange angenommen - zwangsläufig mit aggressivem Verhalten.
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Bei Männern ging die Wissenschaft jedoch nach wie vor davon aus, dass sie bei Stress aggressiv werden. Die Studienergebnisse der Freiburger Wissenschaftler widerlegen diese Annahme. "Offenbar zeigen auch Männer soziales Annäherungsverhalten als unmittelbare Konsequenz von Stress", sagt die Studienkoautorin Bernadette von Dawans.

Das Experiment

Das Studienteam hat für seine Untersuchungen das Sozialverhalten von Männern unter Stress in Experimenten untersucht. Studienteilnehmer waren männliche Studenten der Universität Zürich - 34 von ihnen wurden in Stresssituationen beobachtet, 33 zählten zur Kontrollgruppe. Das Stressniveau ermittelten die Forscher über die Herzfrequenz, das Stresshormon Cortisol und die persönlichen Angaben der Studienteilnehmer.

Die Folgen für das Sozialverhalten untersuchten die Forscher in ihrer Studie mit speziell konzipierten sozialen Interaktionsspielen. So maßen die Wissenschaftler positives Sozialverhalten, zum Beispiel Vertrauen oder Teilen, und sozial negatives Verhalten, etwa Bestrafen. Bei der Auswertung zeigten diejenigen Probanden die unter Stress standen deutlich mehr positives Sozialverhalten als Probanden der Kontrollgruppe, die sich während der Interaktionsspiele nicht in einer Stresssituation befanden. Insbesondere Vertrauen, Zuverlässigkeit und die Bereitschaft zu teilen verstärkten sich bei den Studienteilnehmern unter Stress. Negatives Sozialverhalten wurde durch Stress nicht beeinflusst.

"Aus vorherigen Studien unseres Labors wussten wir bereits, dass positiver sozialer Kontakt mit einem vertrauten Menschen vor einer Stresssituation die Stressreaktion reduziert", kommentiert Studienkoautor Professor Markus Heinrichs die Ergebnisse. Offenbar sei diese Bewältigungsstrategie so stabil verankert, dass Menschen auch unmittelbar im oder nach dem Stress durch positives soziales Verhalten Stressreaktionen verändern können.

Stress verursacht nicht zwangsläufig Konflikte

Was die Forscher mit ihrer Studie nicht anstreben, ist ein Vergleich zwischen dem Stressverhalten von Männern und Frauen. Der wäre nicht möglich, da in ihrer Studie nur männliche Probanden mitgewirkt haben. Doch die Studien zeigen nun auch bei Männern, dass Stress nicht zwangsläufig negative Gefühle, soziale Konflikte und aggressives Verhalten verursacht. Im Gegenteil - Stress kann auch bei Männern positives soziales Verhalten verstärken.

Ein Forschungsteam unter der Leitung der Freiburger Psychologen und Neurowissenschaftler Professor Markus Heinrichs und Bernadette von Dawans hat in der Studie untersucht, wie Männer in Stresssituationen reagieren. Die Forschungsergebnisse wurden unter dem Titel "The Social Dimension of Stress Reactivity: Acute Stress Increases Prosocial Behavior in Humans" in der Zeitschrift Psychological Science veröffentlicht. Autoren des Artikels sind Bernadette von Dawans, Urs Fischbacher, Clemens Kirschbaum, Ernst Fehr, und Markus Heinrichs.