Medizinischer Fortschritt und wirtschaftlicher Druck führen zu Krankenhaussterben

Studie „Gesundheits-Versorgung 2020“

08.02.2006
Die deutsche Krankenhauslandschaft steht vor schwer wiegenden Einschnitten: Etwa 25% der Krankenhäuser werden bis zum Jahr 2020 verschwinden. Von den etwa 2.000 Krankenhäusern (Zahl für das Jahr 2001 - aktuellere Zahlen liegen noch nicht vor. Quelle: Deutsche Krankenhausgesellschaft: Zahlen, Daten, Fakten 2003) werden nur rund 1.500 Einrichtungen überleben. Die übrigen werden ihr Geschäft entweder aufgeben oder sich zu größeren, konkurrenzfähigen Netzwerken zusammenschließen. Private Gesundheitszentren werden entstehen, deren viel versprechende Renditen Investoren auf den zukünftigen Wachstumsmarkt Gesundheit locken werden.

Das sind wesentliche Ergebnisse der aktuellen Studie „Konzentriert. Marktorientiert. Saniert. Gesundheitsversorgung 2020“, die von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young erstellt wurde. Die Studie will eine Orientierungshilfe in der derzeit verwirrenden Diskussion über die Zukunft des deutschen Gesundheitswesens bieten und wurde von Experten aus Wirtschaft und Gesundheitswesen entwickelt.

Dank des technologischen und medizinischen Fortschritts und aufgrund zunehmender Effizienz wird die durchschnittliche Verweildauer der Patienten im Krankenhaus von 11,9 Tagen (Zahl für das Jahr 2000 – aktuellere Zahlen liegen noch nicht vor. Quelle: World Health Organization (2004): HFA Database) auf 6,2 Tage im Jahr 2020 sinken. Knappe öffentliche Kassen, die eine anhaltende Subventionierung der Krankenhäuser durch die öffentliche Hand unmöglich machen, werden den wirtschaftlichen Druck auf die Krankenhäuser erhöhen.

Besonders hart wird es viele der öffentlich-rechtlichen Einrichtungen treffen: Aufgrund der vielfach mangelnden technologischen Ausstattung, begrenzt vorhandener Innovationsbereitschaft und -fähigkeit sowie der oft weit unterdurchschnittlichen Wirtschaftlichkeit werden zwei von drei Häusern ihre Pforten schließen müssen oder in private Hände übergehen. Ihre Zahl wird von 723 (Zahl für das Jahr 2001 – aktuellere Zahlen liegen noch nicht vor. Quelle: Deutsche Krankenhausgesellschaft: Zahlen, Daten, Fakten 2003 ) auf etwa 225 sinken - ein Rückgang um fast 70%. Hingegen wird die Zahl privater Krankenhäuser von 468 auf 675 steigen - ein Anstieg um 44%.

“Der Zwang zum kostendeckenden Wirtschaften wird bei den Krankenhäusern dramatisch zunehmen. Viele der oft kleinen und wenig effizienten öffentlichen Krankenhäuser werden dem Kostendruck und der wachsenden privaten Konkurrenz nicht standhalten können“, erwartet Stefan Viering, Partner bei Ernst & Young und Leiter des Bereiches HealthCare. Im Zuge dieses Konsolidierungsprozesses wird die Anzahl der Betten je 100.000 Einwohner von derzeit 636 (5Zahl für das Jahr 2000 – aktuellere Zahlen liegen nicht vor. Quelle: World Health Organization (2004): HFA Database – Acute care hospital beds per 100.000) auf 293 schrumpfen – ein Rückgang von knapp 54%.

Weniger Staat – mehr Markt: stärkere finanzielle Beteiligung der Patienten

Der Staat wird sich in den kommenden Jahren weiter aus der Gesundheitsversorgung zurückziehen und langfristig nur noch den Rahmen vorgeben, innerhalb dessen ein weitgehend marktwirtschaftlich organisiertes Gesundheitssystem entsteht. Grundlegende Veränderungen im Rahmen der Krankenversicherung werden zu einem immensen Anstieg der finanziellen Beteiligung des Einzelnen führen. So wird der Anteil der privaten Haushalte an den Gesundheitskosten von aktuell ca. 12% auf rund 30% steigen.

“In Zukunft wird nur noch eine Grundversorgung durch die Krankenversicherung abgedeckt sein“, erwartet Rudolf Böhlke, Senior Manager und Branchenexperte bei Ernst & Young. „Alle darüber hinausgehenden Leistungen werden mit individuellen Policen, die sich an Alter, Geschlecht und Lebensverhältnissen orientieren, abgedeckt werden.“

Krankenhäuser werden zu Gesundheits- und Wellness-Zentren

Die heutigen Krankenhäuser werden in den kommenden Jahren vernetzte Einheiten bilden, die einerseits aus den einzelnen Abteilungen des traditionellen Krankenhauses und andererseits aus ambulanten und weiteren gesundheitlichen Dienstleistungsbereichen entstehen. Diese Unternehmen, die Autoren nennen sie 360°-Anbieter, bieten dem Kunden unter einem Dach beziehungsweise unter einer Marke von der ambulanten über die stationäre bis hin zur präventiven Versorgung ein komplettes Gesundheits- und Wellness-Paket an.

Die größten dieser Unternehmen werden renditestarke und erfolgreiche Aktiengesellschaften sein. „Aus Institutionen und Anstalten werden in den kommenden Jahren Gesundheitszentren, die mehr einem Hotel als den herkömmlichen Krankenhäusern gleichen“, prognostiziert Nils Söhnle, Partner bei Ernst & Young und Leiter des Bereiches Health Care. „Die Grenzen zwischen Medizin und Lifestyle werden verwischen.“

Wachstumsmarkt Gesundheit

Die Ausgaben für die gesundheitliche Versorgung ohne die Berücksichtigung der Ausgaben für Fitness, Wellness und Wohlbehagen werden bis zum Jahr 2020 von heute 234,2 Mrd. Euro auf ca. 500 Milliarden Euro wachsen. „Der Gesundheitsmarkt wird sich zu einem gigantischen Wachstumsmarkt entwickeln. Die Patienten werden zu Kunden, die für ihre erheblichen finanziellen Aufwendungen entsprechend hochqualitative Dienstleistungen erwarten“, so Söhnle.

Die demographische Entwicklung und die steigende Lebenserwartung sorgen für ein kontinuierliches Wachstum des Bedarfs. Technologische Innovationen im Bereich der Diagnostik werden es ermöglichen, Krankheiten früher zu erkennen und therapierbar zu machen. In den kommenden Jahren werden so neue Krankheitsbilder entdeckt und manchmal auch zu einem Markt gemacht werden können. Zudem lässt die fortgesetzte Zersplitterung familiärer Strukturen die Nachfrage nach ambulanten und stationären Pflegedienstleistungen weiter zunehmen.

Angaben zur Studie

Die Studie wurde mittels einer speziellen Szenariotechnik gemeinsam mit Prof. Dr. Horst Geschka, Technische Universität Darmstadt, und weiteren Branchenexperten durchgeführt. Träger und Initiator der Studie ist die Industriegruppe HealthCare, die zum Bereich Public Services der Ernst & Young AG, Stuttgart, gehört.