Verkehrszentralen

Übersicht bei der Bahn

07.07.2003 von Johannes Klostermeier
Nach dem Fehlstart des neuen Preissystems will die Deutsche Bahn bis zur Fußball-WM 2006 in Deutschland alle ihre Bahnhöfe an zentrale Leitstellen anbinden. Das ehrgeizige Modellprojekt "Verkehrszentrale" wurde zunächst mit einem Prototypen im Aachener Hauptbahnhof gestartet.

Bahnhofsvorsteher gibt es auf den meisten Bahnhöfen schon lange nicht mehr. Die Folge der Personaleinsparungen: Überall liegen Kippen (trotz Rauchverbots), benutzte Taschentücher und leere Getränkedosen; Rolltreppen, die nicht laufen, Aufzüge, die nicht fahren, Reisende, die sich nicht wohl fühlen. Das soll jetzt durch IT anders werden. "Wir wollen über die Technik in die Bahnhöfe zurückkehren", betont Willi Meurer, Leiter des Kompetenzzentrums Betrieb Verkehrszentrale bei der Bahn.

In Aachen, im Dreiländereck zwischen Deutschland, Belgien und Holland, zeigt die Deutsche Bahn, was sie unter einer modernen Infrastruktur für Reisende und Mitarbeiter versteht. Dort arbeitet die erste von bundesweit 56 geplanten Verkehrszentralen. Das jetzt in Aachen und später in ganz Deutschland eingesetzte System soll in Echtzeit die Informationen aus den Anwendungen für Service, Sicherheit und Sauberkeit, aus dem Reisenden-Informations-System (RIS) und dem technischen Gebäudemanagement der Bahnhöfe koordinieren, um sie dem Team der Verkehrszentrale zur Verfügung zu stellen. Von ihrem Modellprojekt erhofft sich die Bahn kürzere Instandsetzungszeiten, eine erhöhte subjektive Sicherheit, saubere Bahnhöfe und insgesamt geringere Kosten. Der mit modernster IT ausgestattete Leitstand wird im Laufe der nächsten Jahre die seit 1999 bestehenden 3-S-Zentralen ablösen, die bei der Bahn für Service, Sicherheit und Sauberkeit stehen. Damit hätten es die Reisenden dann wieder angenehmer, ist Meurer überzeugt.

Digitale Bahn mit analogen Schnittstellen

"Wir haben die alte analoge Bahnhofswelt komplett ins digitale Zeitalter überführt", schwärmt der Bahn-Mann. "Wir verwenden TCP/IP für die Übermittlung von Sprache, etwa für die neuen Notruf- und Informationssäulen. Die Bilder der Überwachungskameras werden ebenfalls via Internettechnik in die Verkehrszentrale geleitet."

Zugleich habe bei der Bahn ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Meurer: "Früher hatten wir proprietäre Systeme; jetzt setzen wir bei den Schnittstellen und der Anbindung von Endgeräten auf offene Industriestandards." Die Internetprotokolle TCP/IP und HTTP sowie SOAP (Simple Object Access Protocol) als Zugriffsstandard für Web Services stehen jetzt hoch im Kurs bei der Bahn.

In der Vergangenheit mussten wichtige Daten - zum Beispiel über Verspätungen oder das Facility Management - umständlich per Hand aus verschiedenen Systemen entnommen, bewertet und weitergeleitet werden. "Bis eine kaputte Rolltreppe entdeckt wurde, konnte das schon mal einen Tag dauern", sagt Meurer.

Genauso wichtig: Bei unerwarteten Ereignissen wie Notrufen oder Unfällen, aber auch Verspätungen müssen die Angestellten schnell und zuverlässig reagieren können. "Künftig überblicken die Mitarbeiter des Bahnhofsmanagements die Stationen per Videokamera, sodass ein schnelles Eingreifen möglich ist", verspricht Meurer. Das Team kann von jedem ISDN- oder IP-Telefon aus am gewünschten Bahnhof Durchsagen machen.

Standardisierte Arbeitsabläufe helfen

Das IT-System gibt den Teams Abläufe vor, die sie in einer außergewöhnlichen Situation abarbeiten müssen. "Statt einzelner Aktionen wie früher laufen standardisierte Prozesse ab, die durch das neue Managementsystem angestoßen werden", so Meurer. Workflows, standardisierte Arbeitsabläufe, helfen den Menschen in der Verkehrszentrale bei der Erledigung all jener Aufgaben, die sich durch die Informationen aus den verschiedenen Systemen ergeben. Und damit kein Vorgang unbearbeitet bleibt, erinnert der Computer die Mitarbeiter regelmäßig daran, was noch zu tun ist.

"Wenn jemand auf einem der 22 angeschlossenen Bahnhöfe den Knopf einer der 75 Notruf- und Infosäulen drückt, löst das System über SOAP einen Event aus und teilt dies dem Bahnmitarbeiter in der Verkehrszentrale mit", erklärt Andreas Gerst, Projektverantwortlicher beim EAI-Hersteller Tibco, der das Workflow-Modul liefert.

Eine der 135 Kameras richtet sich auf die Säule, das Videobild der Station wird auf den Monitor des Dienst habenden Mitarbeiters geschaltet. Der Chef der Verkehrszentrale muss fünf W-Fragen (Wer? Was? Wann? Wie? Welche Ursache?) stellen, die ihm das System vorgibt, und dann entscheiden, ob ein Notfall vorliegt und er den Notarzt oder die Polizei rufen muss. Die erforderlichen Nummern sind im System hinterlegt; der Ablauf wird in einem elektronischen Protokoll aufgezeichnet.

In Mannheim und Stuttgart soll das Ganze weiter verfeinert werden. Ob und wann die nächsten Verkehrszentralen eingerichtet werden, hängt vom Geld ab. Die Länder sollen sich an den Kosten der Bahn beteiligen. In Aachen hat das Land Nordrhein-Westfalen die Kosten von 13 Millionen Euro übernommen. Über diesen Punkt wird die Bahn jetzt auch mit den anderen Bundesländern verhandeln - damit Deutschlands Bahnhöfe zur Fußball-WM in drei Jahren einen guten Eindruck machen.