Deutsche Gründerszene

Unmut bei Startups

05.01.2017 von Werner Kurzlechner
Die Gründerszene in Deutschland wird weiblicher, internationaler und weniger Berlin-lastig. Doch Startups fordern weniger Hürden und ein Wagniskapitalgesetz.
  • Gründerkompetenz wird nur FDP-Chef Lindner zugeschrieben
  • 15 Prozent der Startups sind in der IT- und Softwareentwicklung tätig
  • Aufsteigerregion des Jahres ist Hannover/Oldenburg
  • 1,1 Milliarden Euro an externem Kapital flossen in diesem Jahr
  • Kickern und Mate sind nur Klischees
Die Grafik zeigt, dass deutsche Startups deutlich stärker im B2B-Bereich aktiv sind als im Geschäft mit Endverbrauchern.
Foto: BVDS/KPMG

Der Bundesfinanzminister platziert sein Grußwort dieses Mal nicht auf Freundespapier. Das dürfte ungewohnt sein für ihn und unterstreicht die Besonderheit einer Szene des Wirtschaftslebens, deren Wirklichkeit zwischen Mate, Kicker, Sweaters und der mühseligen Suche nach Wagniskapital oszilliert. Einer Szene, die geprägt ist von einer immensen Begeisterung für Christian Lindner. Und in der Wolfgang Schäubles CDU kaum glänzt.

Obwohl dieser in seinem Grußwort doch auch gute Nachrichten über ein "Eckpunktepapier Wagniskapital" hinaus zu verkünden weiß: "Dazu haben wir 2016 zwei neue Fonds aufgelegt: den Coparion-Fonds und die ERP/EIF-Wachstumsfazilität", schreibt der Minister. "Mit EXIST, INVEST und dem High-Tech-Gründerfonds verfügen wir bereits über recht erfolgreiche Programme für Startups."

Nur 12 Prozent billigen Merkel Gründerkompetenz zu

Schäubles Grußwort steht also dem "Deutschen Startup Monitor" voran, der zum vierten Mal erschienen ist und nach eigenen Angaben 1224 Startups und 14.513 Mitarbeiter repräsentiert. Initiator der Studie ist der Bundesverband Deutsche Startups (BVDS), Herausgeber sind die Analysten von KPMG, Autoren ein Forscherteam der Universität Duisburg-Essen um Professor Tobias Kollmann, dessen Forschungsschwerpunkt E-Entrepreneurship ist.

Zufrieden mit den von der Politik gebotenen Rahmenbedingungen sind die befragten Startups offensichtlich nicht, was sich in der Wahlumfrage unter Gründern widerspiegelt. Nur 20,7 Prozent würden die Union wählen, gar nur 11,2 Prozent die SPD; dafür 28,6 Prozent die FDP und 22,1 Prozent die Grünen. Gründerkompetenz sprechen 47,4 Prozent dem FDP-Chef Lindner zu, 26 Prozent gar niemandem und 12 Prozent Bundeskanzlerin Angela Merkel. Alle anderen Politiker schneiden schlechter ab.

Venture-Capital-Gesetz muss her

"Wir müssen unbedingt die Investitionsbedingungen verbessern, damit der Investitionstrend langfristig bestehen bleibt und somit zu mehr Nachhaltigkeit und mehr Startups führen kann", fordert BVDS-Chef Florian Nöll in der Studie. "Hierfür brauchen wir ein Venture-Capital-Gesetz." Eine klare Ansage an die Bundesregierung, die zum Selbstverständnis von Verband und Studie passt. Diese soll nämlich laut Nöll folgendes sein: "ein Kompass, der der Politik eine Orientierung gibt, was sie tun kann, damit Gründen in Deutschland einfacher und erfolgreicher wird".

Die Forderungen der Startups an die Politik in der Übersicht.
Foto: BVDS/KPMG

Jeder Fünfte der Befragten erwartet von der Politik einen Abbau von regulatorischen und bürokratischen Hürden. Jeweils gut 13 Prozent fordern weniger Steuern und eine Unterstützung bei der Kapitalbeschaffung. Gut 11 Prozent hätte gerne Unterstützung im Bereich Wagniskapital. Aktuelle Herausforderungen sehen die Startups im Vertrieb beziehungsweise bei der Kundengewinnung (20,2 Prozent), bei der Produktentwicklung (18,2 Prozent) und beim Wachstum (15,5 Prozent). Die Kapitalbeschaffung nennen 12,4 Prozent.

Weniger Gründungen von Startups

Offensichtlich ist, dass derzeit von einer "Gründerzeit" in Deutschland keine Rede sein kann. Im Startup-Monitor wird hierzu auf den aktuellen Gründungsmonitor der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) verwiesen, der die Gründungsquote im Jahr 2015 mit 1,5 so niedrig ausweist wie sonst nur im Jahr 2012. Zum Vergleich: 2002 und 2003 lag der Wert, der den Anteil der Existenzgründer an der Bevölkerung zwischen 18 und 64 Jahren misst, bei fast 3 Prozent.

Drei Merkmale definieren Startups

Demgegenüber ist der Befund für die Gründer-Untergruppe der Startups im Monitor deutlich positiver. Definiert werden Startups in der Studie anhand dreier Merkmale: jünger als zehn Jahre, innovativ hinsichtlich Technologie oder Geschäftsmodell, signifikantes Mitarbeiter- oder Umsatzwachstum. Von dieser Definition abgedeckt wird ein breites Spektrum an Unternehmen. Gleichwohl überwiegt in der Studie der auf digitale Geschäftsmodelle fokussierte Bereich.

Die pfiffigen Geschäftsideen der Insurtechs
Element Insurance
Als rein digitale Versicherungsplattform - inzwischen mit BaFin-Lizenz ausgestattet - ist Element im März 2017 angetreten, um sich im Segment der Sach-, Unfall- und Haftpflichversicherungen auszubreiten. Das Unternehmen, das vom Berliner Fintech-Company-Builder Fin Leap gegründet wurde, will Unternehmen verschiedener Branchen - vom E-Commerce bis zur klassischen Versicherung - unterstützen, individuelle und passgenaue Versicherungsprodukte für ihre Kunden zu schaffen.
Optisure
Eine Haftpflichtversicherung ausschließlich für IT-Freelancer bietet der Versicherungsmakler Optisure ab 29 Euro monatlich an. Das Unternehmen argumentiert damit, dass Freiberufler ihre hohen Risiken im Zusammenhang mit Rahmen- und Projektverträgen gesondert absichern sollten.
SmartInsurtech
SmartInsurtech schiebt sich als Plattform zwischen Versicherungskonzerne und deren Vertriebsorganisationen. Letzteren will die Hypoport-Tochter mit Web-basierten zentralen Standardlösungen helfen, ihre Hardware- und Lizenzkosten zu senken. Auch Provisionsabrechnungen und die Geschäftspost übernimmt SmartInsurtech.
Ottonova
Als erste vollständig digitale private Krankenversicherung ist Ottonova im Juli 2017 angetreten, Marktanteile zu erwerben. Das Unternehmen, das sich an dem US-Startup Oscar Health orientiert, hat eine Zulassung bei der Bafin bekommen und kann damit Verträge mit Kunden abschließen. Ins Beuteschema passen jüngere Akademiker, die keine Berührungsängste mit digitalen Technologien haben und gut verdienen.
PicSure
PicSure offeriert Versicherungskonzernen KI-Lösungen, mit denen diese einfach Sachverhalte verifizieren können. Mit einem Smartphone-Photo können beispielsweise Gegenstände wie ein Fahrrad aufgenommen und binnen Sekunden bewertet werden. Ebenso werden Bilder von Schadensfällen automatisiert beurteilt.
Wefox
Wefox bezeichnet sich als unabhängige Serviceplattform, auf der Versicherte ihre Verträge verwalten, Tarife vergleichen und sich beraten lassen können. Das Startup agiert anbieterneutral und bietet kostenfreie Services an, darunter Vertragsimport und Serviceleistungen. Es finanziert sich, indem es den Versicherungsgesellschaften Teile der Services abnimmt und dafür von ihnen kassiert. Auch hier geben Kunden eine Vertretungsvollmacht, die Wefox ermöglicht, die Vertragsdaten bei den Versicherungen abzufragen und in der App anzuzeigen.
ControlExpert
Das Unternehmen überprüft mithilfe intelligenter Algorithmen Schadensgutachten und Werkstattrechnungen auf Fehler. Damit hilft es Versicherern, Kosten zu senken. ControlExpert greift dabei auf eine Datenbank zurück, die jeden Tag um Tausende von Aufträgen aufgefüllt wird. Mit EasyClaim hat ControlExpert eine App herausgebracht, mit der Autofahrer einen Schaden direkt am Unfallort melden können.Anhand hochgeladener Fotos bekommen die Fahrer nach rund zwei Stunden eine Info, wie teuer die Reparatur wird und wo sich die nächste Werkstatt befindet
Kasko
Als digitale Versicherungsplattform für On-demand-Versicherungsprodukte bezeichnet sich Kasko. Das Unternehmen wendet sich als Vermittler mit den Angeboten großer Versicherer an digitale Marktplätze oder Reiseportale, wo entsprechende Angebote via Plugin oder API eingebunden werden können. Die Kunden haben den Vorteil kurzer Wege, außerdem müssen sie sich nicht um regulatorische Details oder technische Integration kümmern.
AppSichern
Kurzzeit-Versicherungen für besondere Situationen bietet AppSichern. Der Reiz liegt im schnellen und unkomplizierten Abschluss, der auf der Website oder über eine App getätigt werden kann. Das Startup bietet beispielsweise einen „24-Stunden-Drittfahrschutz“ für den Fall, dass ein Kunde sein Auto an einen Freund verleihen möchte. Kündigung ist nicht nötig, soll sie verlängert werden, wird der Vertrag nochmal unterzeichnet. Einen ähnlichen Dienst bietet Cuvva an.
Virado
Auf kleinteilige Produktversicherungen etwa für Smartphones, Tablets, Brillen, Gadgets, Fahrräder oder Haushaltswaren hat sich Virado spezialisiert. Das Startup richtet sich an Versicherungsmakler, die solche Produkte an Betreiber entsprechender E-Commerce-Seiten verkaufen. Virado bindet diese Angebote in die Homepages, Apps und Facebook-Seiten der B2B-Kunden aus dem Handel ein.
Wert14
Wert14 von der Rostocker SkenData GmbH ist eine Plattform für die Immobilienbewertung, die sich neuester Big-Data- und Machine-Learning-Technologien bedient, um zu einem schnellen und genauen Urteil zu kommen. Das Unternehmen erhielt 2017 den Insurance IT-Innovation Award der Uni St. Gallen.
Feelix
Ein breites Angebot rund um die digitale Finanzplanung bietet Feelix. Das Unternehmen will das Papierchaos in den Finanz- und Versicherungsordnern der Kunden beseitigen und bietet dafür eine App an. Verbraucher können damit ihre bestehenden Versicherungs-, Geldanlage-, Kredit- und Altersvorsorgeverträge managen. Hinzu kommen Vertrags- und Kreditcheck, mit denen Anwender herausfinden können, ob ihre Verträge noch aktuell und kostengerecht sind.
Fairr
Auf die Nische der Altersvorsorge-Lösungen rund um Riester- und Rürup-Rente hat sich fairr.de spezialisiert. Das Startup hilft Kunden, Zulagen und Steuervorteile in Anspruch zu nehmen. Das Unternehmen verzichtet auf Anschlussprovisionen und hält die Gebühren niedrig. Mit (Fonds-)Sparplänen für Riester- und Rürup-Rente verdient fairr.de Geld.
Friendsurance
Friendsurance ist zum einen ein klassischer Versicherungsmakler, der von den zirka 70 vertretenen Versicherungen bei Erfolg einen marktüblichen Bonus erhält. Zum anderen betreibt das Unternehmen ein Peer-to-Peer-Versicherungsmodell, in dem sich Versicherte zu kleinen Gruppen bis zu zehn Personen zusammenschließen und gegenseitig finanziell unterstützen. Kleinere Schäden werden aus diesem Topf bezahlt, bei größeren springt das Versicherungsunternehmen ein. Tritt bei den Versicherten kein Schaden ein, sinken die Versicherungskosten.
Haftpflicht Helden
Wer in wenigen Minuten online eine private Haftpflichtversicherung für 72 Euro jährlich abschließen will, ist bei den Haftpflicht Helden richtig. Als BaFin-zugelassener Partner im Hintergrund agiert die NV-Versicherungen VVaG. Haftpflicht Helden beschreibt transparent, was mit den Gebühren der Versicherten passiert. Wer Freunde überzeugt, sich ebenfalls dort zu versichern, senkt je nach Anzahl der Mitversicherten seine Kosten und die der Freunde.
Community Life
Als Community rund um Versicherungen präsentiert sich Community Life. Das Unternehmen bietet eine Berufsunfähigkeits- und eine Lebensversicherung und stützt sich dabei auf Angebote der internationalen Versicherungsgruppe iptiQ. Größter Vorteil ist die Anbindung an eine Community, in der über Versicherungen diskutiert wird, die neue Produkte mitentwickelt und die durch den Zusammenschluss Versicherter Lobby-Vorteile schafft.

15 Prozent der befragten Startups sind in der IT- und Softwareentwicklung tätig, 10,2 Prozent im Bereich Software-as-a-Service (SaaS). Der industriellen Technologie respektive Produktion widmen sich 8,9 Prozent, dem E-Commerce 8,7 Prozent. 6 Prozent agieren im Segment Consumer Mobile/Web Application. Neben diesen IT-lastigen Gefilden sind auch Unternehmen aus der Bio-, Nano- und Medizintechnologie, aus der Beratung und aus der Medien- und Kreativwirtschaft stark vertreten.

Startups oft unabhängige Gründungen

Drei Viertel der Startups sind unabhängige Gründungen. Das heißt, dass Ausgründungen etwa aus Universitäten oder bestehenden Unternehmen eine Minderheit stellen. Das durchschnittliche Alter der Firmen im Monitor beträgt 2,5 Jahre, was eine leichte Verjüngung gegenüber dem Vorjahr bedeutet.

Etwa 22 Prozent der Startups befinden sich in der frühen "Seed"-Phase der Konzeptentwicklung ohne Umsatzrealisierung. 48 Prozent in der "Startup"-Phase haben bereits ein marktreifes Angebot und erwirtschaften Umsätze. Bei 23 Prozent in der "Growth"-Phase steht das Wachstum im Vordergrund. In späten Reifephasen etwa mit einem Börsengang befinden sich kaum welche der Unternehmen aus dem Monitor.

Hannover/Oldenburg vor Hamburg

Regional ballen sich die Startups in wenigen Zentren - allerdings einen Tick weniger ausgeprägt als noch im Vorjahr: 2015 waren noch 69 Prozent in einer Handvoll Zentren beheimatet, aktuell sind es nur noch 60 Prozent. Als neu definierte Gründerregion ist im neuen Monitor Hannover/Oldenburg hinzugekommen. Dort haben mit 6,9 Prozent sogar mehr Startups ihren Hauptsitz als in der angestammten Startup-Metropole Hamburg mit dort 6,4 Prozent. Die Top Four der Regionen sind: Berlin mit 17 Prozent, Rhein/Ruhr mit 14,1 Prozent, Stuttgart/Karlsruhe mit 8,9 Prozent und München mit 7 Prozent.

Hinter diesen Zahlen verbergen sich indes Gewinner und Verlierer. Da es mehr Startups in der Fläche gibt als im Monitor 2015, müssen zwangsläufig bestimmte Anteile gesunken sein. Drastisch passierte das in Berlin, wo es einen Absturz von 31 auf 17 Prozent gab; aber auch München verlor mit 11,5 Prozent im Vorjahr und 7 Prozent aktuell deutlich. Zulegen konnte beispielsweise Rhein/Ruhr als Region. Im Bundesländervergleich zählen vor allem Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen zu den Gewinnern, etwas schwächer ausgeprägt auch Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz.

BVDS-Chef: "Berlin schwächelt nicht"

Der BVDS-Vorstandsvorsitzende Nöll bewertet diese Entwicklung als erfreulich. Die Entwicklung zeige, dass das deutsche Startup-Ökosystem in Bewegung sei und branchen- und regionenübergreifend eine immer wichtigere Rolle übernehme. "Nicht weil Berlin schwächelt, sondern weil der Rest der Republik dem Vorbild folgt", betont Nöll. "Damit steigen die Chancen, dass Startups in Deutschland - gemeinsam mit dem Mittelstand - die wichtigste Quelle für unseren zukünftigen Wohlstand werden."

18,8 Prozent der Startups werden aktuell mit Wagniskapital finanziert. Der Anteil lag schon einmal höher.
Foto: BVDS/KPMG

Drei weitere Trends offenbart der Monitor: einen langsam, aber stetig wachsenden Frauenanteil in der Gründerszene; eine steigende Internationalität; eine stetig steigende Höhe der kumulierten Investitionssummen. In diesem Jahr flossen 1,1 Milliarden Euro an externem Kapital an die befragten Unternehmen.

Digitale Bildung in Schulen und flexible Kinderbetreuung

Nöll leitet daraus eine Reihe von Forderungen ab, um diese positiven Entwicklungen zu fördern: eine frühzeitige digitale Bildung in den Schulen, eine Flexibilisierung der Kinderbetreuung, eine Pflege der offenen Willkommenskultur, weitere Harmonisierung auf europäischer Ebene.

Klischees über den Startup-Alltag treffen übrigens manchmal sehr und manchmal weniger zu, wie die Studie zeigt. Tatsächlich sind in fast allen befragten Firmen Sweaters und Hoodies als Arbeitskleidung erlaubt. Aber nur ein Viertel der Unternehmen hat einen Kickertisch. Und nur 16,6 Prozent nennen Mate als ihr Lieblingsgetränk.