Die IT bei der Fifa

Verwirrende Strategie

06.06.2006 von Marita Vogel
Eine „Responsibility-Matrix“ regelt ITVerantwortlichkeiten bei der Fußball-WM. Denn unter den Partnern Fifa, dem Organisationskomitee, Avaya, Telekom, Toshiba, Philips, Yahoo und EGS gibt es keinen Generalunternehmer

Was passiert eigentlich, wenn sich 30000 Menschen vor den Drehtüren des Hamburger WM-Stadions drängeln, weil die Software für die Einlasskontrolle ausgefallen ist? Wer behebt das Problem, wer ist dafür verantwortlich? Diese Frage stellt sich einem Mittvierziger schon seit Wochen. Der Mann leitet die IT in einem der zwölf Stadien, die demnächst als WM-Austragungsorte fungieren – und kurz vor Beginn der WM 2006 fühlt er sich von den WM-Organisatoren allein gelassen: „Bei Fragen musste ich ständig mit anderen Leuten sprechen.

Es gab niemanden, der für alles verantwortlich ist.“ Das war Mitte April. Inzwischen scheint nun das meiste rund zu laufen. „Die Kooperation ist in den letzten Wochen gewachsen“, sagt derselbe IT-Leiter, der seinen Namen jedoch nicht nennen möchte. Einiges funktioniere, anderes aber noch nicht, sagt er diplomatisch.

Kein Generalunternehmer für die WM

Das sollte so nicht sein, wenn die ganze Welt ab dem 9. Juni auf Deutschland schaut. 40 Milliarden Fernsehzuschauer in 210 Ländern wollen mit Bildern versorgt werden, gut drei Millionen Fans werden Eintritt in die Fußballstadien verlangen. Um diesem Andrang gerecht zu werden, stellt die Fifa gemeinsam mit den IT-Hauptausstattern Telekom und Avaya das umfangreichste ITEquipment auf die Beine, das jemals zu einem Sportgroßereignis geboten wurde. Mit im Team sind der Elektronikkonzern Toshiba und die Internet-Firma Yahoo als weitere IT-Sponsoren sowie der Schweizer Sport- Event-IT-Dienstleister Eurotech Global Sports (EGS) und das WM-Organisationskomitee 2006 vom DFB.

Doch anders als bei anderen großen IT-Projekten üblich, gibt es für die WM 2006 keinen Generalunternehmer, der die verschiedenen Unternehmen koordiniert. Dies sei „eine der Herausforderungen der WM“, sagt Rainer Müller, WM-Projektmanager bei der Telekom- Tochter T-Systems. Stattdessen bildete die Fifa Anfang 2004 vier Projektteams zu den Bereichen Application, Network, Deployment und Security. Jedes Team besteht aus bis zu zehn Mitgliedern der involvierten Unternehmen und Organisationen. „Zunächst trafen wir uns monatlich, mittlerweile aber fast täglich“, sagt Karsten Hobbie, Leiter des Netzwerk-Projektteams der Fifa vom Netzwerkausstatter Avaya. Alle Projektteamleiter berichten an den CIO der WM 2006. Das ist seit 2005 Mike Kelly, ITLeiter der Fifa. Der Manager war bereits zur WM 2002 in Korea/Japan an Bord – als Manager Budget/Resource. Damals kontrollierte er die Finanzen und war für das Resource- Tracking verantwortlich. Anschließend leitete er als General Manager die Event-IT der Fifa. Der Fifa-CIO der WM 2002, Gerard Gouillou, und auch der an ihn berichtende Director IT-Solution, CEO Dick Wiles von EGS, sind nicht mehr dabei.

Die Konstanten der WM sind fünf Partner: Avaya, Toshiba, Philips, Yahoo und EGS. Gewechselt wird jeweils der Telecom-Anbieter vor Ort. In Deutschland ist es T-Systems, in Japan/Korea waren es die dortigen Telecom- Unternehmen. Hinzu kommt das jeweilige Organisationskomitee (OK).

Im deutschen OK ist Ralph Dietz, sonst IT-Leiter des Deutschen Fußballbundes (DFB), für die IT verantwortlich. Er soll mit zwölf Mitarbeitern dafür sorgen, dass die DFB-eigene Infrastruktur gut aufgestellt ist. Außerdem ist er für die Internet-, TV- und Telefonanbindung der Hospitility-Bereiche, der Logistik-Points und der Fan- Botschaften zuständig. „Wir versuchen seit 1,5 Jahren, den Stadien ‚beizubringen‘, was das alles werden soll“, beschreibt der 44-Jährige einen Teil seines Jobs.

„Rausschmiss“ aus eigenem Stadion

Nicht alle IT-Leiter der WM-Stadien sind von der OKund Fifa-Unterstützung begeistert: Durften sie zunächst den Fifa-Managern die stadioneigene Infrastruktur erklären, wurde ihnen anschließend durch die Fifa – die seit dem 15. Mai und bis drei Tage nach Spielende per Mietvertrag das Hausrecht über die Stadien hat – mitgeteilt, dass alles weitere von ihnen selbst organisiert würde. „Das war wie ein Rausschmiss aus unserem Stadion“, sagt ein IT-Chef, der nicht genannt werden möchte. Für OK-Mann Dietz dagegen sind die IT-Leiter „unser First Contact, unsere Ansprechpartner“. In allen Stadien sind vor einigen Wochen die Mitarbeiter der Beteiligten eingezogen. An der Spitze dieser „Satelliten“, so nennt sie Dietz, steht jeweils ein OK-Koordinator, der mit mehreren „IT-Venue-Managern“ der Fifa zusammenarbeitet. Die Fäden laufen schließlich in den Fifa-Projektteams zusammen.

Nur so sei es machbar, insgesamt 70 Locations - darunter zwölf Stadien, 14 Akkreditierungsbüros, 14 Media Center und die Hotels der Fifa und der Mannschaften – zu vernetzen. In allen Stadien sind jeweils zwei Haupttechnikräume eingerichtet, jeder untergebracht in einer anderen Brandschutzzone, jeder ist separat an das Wide Area Netzwerk angebunden, jeder enthält die gleiche Hardware. Beide Räume werden parallel betrieben, um so die von der Fifa geforderte 99,99-prozentige Ausfallsicherheit zu gewährleisten.

Abteilungen ohne IT im Kopf

Avaya-Projektleiter Hobbie sieht sich trotzdem vor große Herausforderungen gestellt – nämlich dann, „wenn plötzlich massive Änderungen von den Ausrichtern vorgegeben werden“. So seien beispielsweise lange im Voraus 300 bis 400 Netzwerk-Ports geplant worden, plötzlich würden aber über 1000 verlangt. Damit schildert er ein Problem, das auch viele IT-Leiter aus ihren Unternehmen kennen: „Es gibt viele Abteilungen, die nicht die IT im Kopf haben.“ Nicht einfacher würde die Umsetzung, wenn sowohl Fifa als auch das OK einige Informationen relativ spät weitergeben würden.

Sollte dennoch etwas schief laufen, hängt bei der Fifa eine „Responsibility-Matrix“, beruhigt OK-IT-Leiter Dietz: „Dort sind eskalationsrelevante Dinge bis ins Detail beschrieben.“ Für alle Eventualitäten seien Rückfallszenarien samt Krisen-Manuals entwickelt worden, selbst für den Offline-Fall.Wer allerdings beispielsweise die Verantwortung für Ausfälle im Ticketing-Bereich trägt, will er nicht sagen.

Und was passiert nun tatsächlich,wenn es bei den Eingangskontrollen klemmt? Darauf hat Horst R. Schmidt, Vize-Präsident des OK und bekennender IT-Amateur, eine ganz einfache Antwort: „Wenn man merkt, dass 20 Minuten vor Spielbeginn noch 10000 Leute vor dem Stadion stehen, wird man die Kontrollmaßnahmen auch entsprechend anpassen, um sicherzustellen, dass auch alle auf den Tribünen sind, wenn es losgeht.“
Marita Vogel [redaktion@cio.de]