Data Mining als Detektiv

Videoanalyse spürt Ladendiebe auf

03.08.2009 von Christa Manta
Datenanalyse-Software und IP-basierte Videokameras sollen Kunden beobachten und verdächtiges Verhalten identifizieren. Immer mehr Einzelhändler setzen auf digitale Kaufhausdetektive, um Langfinger zu entlarven. Wie die jüngste Vergangenheit zeigt aber auch, um Mitarbeiter zu beobachten.

Ein hastiger Griff ins Zigarettenregal, ein kurzer Blick nach hinten, ein Schweißtropfen auf der Stirn. Sehen so potenzielle Ladendiebe aus? Fahren kurze Zeit später beide Schachteln Marlboro über den Scanner oder hat sich eine in der Jackentasche verirrt? Fragen, die kaum eine Kassiererin an ihrem hektischen Arbeitsplatz beantworten kann. Zwar laufen in den meisten Supermärkten und Geschäften Überwachungskameras, doch es sitzt selten jemand im Kämmerlein und sichtet stundenlang das Video-Material.

Ladendetektive bekommen Unterstützung durch clevere Softwaresysteme. Diese werten Videodaten von Überwachungskameras aus und identifizieren auffälliges Kundenverhalten. (Bild: Stephanie Hofschläger, pixelio.de)
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Dieser Aufgabe nehmen sich jetzt immer öfter spezifische Data Mining Tools an. Die Datenanalyse-Software wertet die Aufnahmen von IP-basierten Videokameras aus, indem sie versucht, ungewöhnliches Kundenverhalten zu erkennen und Rückschlüsse auf bevorstehende kriminelle Taten zu ziehen.

IP-basierte Videokameras ersetzen analoge Videosysteme

In Deutschland sind dem Europäischen Handelsinstitut (EHI) zufolge 80 Prozent der großen Einzelhändler mit Videosystemen ausgestattet. Professionelle Diebe wissen jedoch auch, dass in den meisten Fällen kein Detektiv vor dem Kontrollschirm sitzt, um sie zu beobachten. Das wäre viel zu aufwändig. Deshalb gehen Unternehmen verstärkt dazu über, analoge Kameras durch IP-basierte Systeme ersetzt. Diese verfügen zum Beispiel über eine Pre-Buffer-Funktion, mithilfe derer sich die letzten 30 Sekunden vor einem Diebstahl anzeigen lassen. So können Kaufhausdetektive den Modus Operandi von Langfingern analysieren und im Zweifelsfall eingreifen. "Zunächst einmal muss man verstehen, wie es zu einem bestimmten Diebstahl kam. Dann kann man Techniken entwickeln und einsetzen, um alle Lücken zu schließen", sagt Phil Doyle, Chef von Axis Communikations, einem großen Hersteller von Netzwerkvideos. Viele seiner Systeme seien an Data Mining Tools angeschlossen.

Data Mining Tools analysieren Bewegungsrichtung und Geschwindigkeit

Manche Kamerasysteme filmen zum Beispiel nur Gesicht und Oberkörper der Kunden und registrieren Merkwürdigkeiten wie plötzliche Schweißausbrüche. Andere versuchen, bestimmte Personen und Objekte zu identifizieren und alarmieren, wenn registrierte Personen ein Geschäft betreten. Und wiederum andere nehmen Gehrichtung und -Geschwindigkeit der Einkaufenden auf und versuchen daraus, Rückschlüsse zu ziehen. Die Analyse der Daten soll Hinweise darüber liefern, wie das typische Verhalten von Langfingern aussieht oder aber automatisch Alarm auslösen, wenn etwas Auffälliges passiert. Neben dem Kundenverhalten untersuchen Data Mining Tools auch, welche Produkte, zu welcher Tageszeit und in welchen Bereichen der Ladenfläche bevorzugt verschwinden. So können begehrtes Gut sicherer platziert und brisante Bereiche genauer beobachtet werden.

Heißes Diebesgut: Dessous und Kondome

Im deutschen Einzelhandel sind vergangenes Jahr Waren im Wert von fast vier Millionen Euro entwendet worden. Neben Kondomen gehören in Kaufhäuser auch Dessous zum heißen Diebesgut. (Bild: Paul Georg Meister, pixelio.de)
Foto: Paul Georg Meister - pixelo.de

Ein Aufwand, der sich lohnt und Händler vor großen finanziellen Verlusten schützen kann. Denn allein im vergangenen Jahr sind im deutschen Einzelhandel Waren im Wert von 3,9 Milliarden Euro verschwunden. Das besagt eine Studie des Europäischen Handelsinstituts (EHI). Der Großteil der vermissten Ware wurde gestohlen, nämlich 53 Prozent oder Produkte im Wert von zwei Milliarden Euro. 23 Prozent des Schadens oder 0,9 Milliarden Euro Verlust haben kriminelle Mitarbeiter verursacht. Der Rest geht auf Lieferanten oder organisatorische Fehler zurück. Geklaut wird am liebsten, was klein und teuer ist und sich gut verstecken lässt: Zigaretten, Spirituosen, Rasierklingen, Batterien, CDs, DVDs, Kondome oder Schreibwaren. Und zu den Langfingern gehören keinesfalls nur Männer. In Kaufhäusern werden gerne teure Dessous entwendet, in Drogeriemärkten verschwinden bevorzugt Artikel wie Lippenstift oder Wimperntusche.

Stehlende Mitarbeiter verursachen großen Schaden

"In unseren Filialen hatten wir Verluste von mehr als einer halben Million Euro", klagt Dirk Roßmann, Chef der Drogeriekette Rossmann in einem Interview mit der WirtschaftsWoche. Viele der Diebstähle ließen sich jedoch auch auf hauseigene Mitarbeiter zurückführen. So habe eine verdeckte Videoüberwachung ergeben, "dass sich 21 Mitarbeiter von der Putzfrau bis zur Filialleitung jeden Abend die Taschen vollgestopft haben", fügt er hinzu. Überwacht habe man nur in Einzelfällen und mit Abstimmung durch den Betriebsrat, betont Roßmann in einer Pressemitteilung. Man habe nach stichhaltigen Beweisen gesucht, um gegen unehrliche Mitarbeiter arbeitsrechtlich vorzugehen.

Video-Analyse verstößt gegen Persönlichkeitsrechte und Datenschutz

Auch wenn fast ein Viertel der Diebstähle im Einzelhandel auf die eigenen Mitarbeiter zurückzuführen sind, ist in Deutschland die systematische Überwachung von Arbeitsplätzen verboten. Sie verstößt gegen die Persönlichkeits- und Datenschutzrechte der Angestellten. Erst im vergangen Jahr war der Discounter Lidl wegen illegaler Bespitzelung seiner Mitarbeiter in die Schlagzeilen geraten und musste insgesamt Bußgelder in Höhe von mehr als einer Million Euro bezahlen. In den USA sieht die Sache etwas anders aus. So überwachen etwa bei der Lebensmittelkette Big Y in Massachusetts Kameras die Kassierer beim Scannen der Waren. Mithilfe von Data Mining Software wird nach Auffälligkeiten gesucht, etwa wenn Mitarbeiter ein Produkt am Scanner vorbeiführen. Die Software alarmiert dann automatisch das Management.

Lidl-Kamera hatte EC-Kartenlesegerät im Visier

In einer dreimonatigen Testphase konnte das Data Mining bei Big Y überzeugen und wird nun in allen Läden eingesetzt. Manager Mark Gaudette formuliert die Bespitzelung positiv um. Man habe festgestellt, dass es an der Ausbildung der Kassiererinnen hapere. Viele hätten Scanner-Fehler gar nicht bemerkt. Bis zu drei Millionen Dollar will Big Y mit der Kombination aus IP-Kamera und Datenanalyse jährlich einsparen.

Den deutschen Discounter Lidl kamen ähnliche Analysen teuer zu stehen. Auch er platzierte Kameras über den Arbeitsplätzen der Kassierer. Es sollte sich herausstellen, dass die Kameras auch Kunden bei der Eingabe ihrer Geheimzahl am EC-Kartenlesegerät filmten und weitere brisante Details aufnahmen. So soll es laut "Stern" in einem Überwachungsprotokoll von Lidl geheißen haben: "Frau N. ist an beiden Unterarmen tätowiert (…) Man sollte Frau N. anweisen, die Unterarme während der Arbeitszeit, insbesondere an der Kasse, bedeckt zu halten." Knapp am Ziel vorbeigeschossen.