Sprach-/Datennetze

Voice over IP ist nur ein Anfang

01.12.2008 von Oliver Häußler
Gründe für den Einsatz von Voice over IP (VoIP) gibt es genug. Sie reichen von Kosteneinsparungen über geringeren Administrationsaufwand bis hin zu mehr Flexibilität und höherer Sicherheit. Wer VoIP einführen und dessen Potenzial voll ausschöpfen will, sollte aber auch strategische Aspekte berücksichtigen.
Fionn Schreiner: "Die Kommunikationskanäle stehen heute isoliert nebeneinander".

Der Markt für Voice over IP entwickelt sich langsam aber kontinuierlich: Rund zwölf Jahre nach der Einführung des ersten Produkts nutzen etwa 55 Prozent der deutschen Anwender die neue Technologie, analysierte das Marktforschungsinstitut Berlecon Research. Den Anlass für die Umstellung von herkömmlicher Telefonie auf das Internet Protocol geben oft auslaufende Miet- und Leasingverträge für TK-Anlagen. Und da es zu VoIP technisch praktisch keine Alternative gibt, fällt den Betroffenen die Entscheidung leicht. Die Vorteile liegen auf der Hand: VoIP kann dazu beitragen, die Telefonkosten zu senken. Außerdem reduziert sich der Administrationsaufwand durch die Zusammenlegung bisher getrennter Netze. VoIP bietet eine höhere Sicherheit, mehr Flexibilität, Investitionsschutz, Mobilität, Unabhängigkeit und Zuverlässigkeit - vorausgesetzt, die Einführung wird professionell geplant und durchgeführt.

Wer VoIP einführen will, sollte nicht nur diese Vorteile vor Augen haben, sondern auch dessen Bedeutung für die Geschäftsprozessoptimierung berücksichtigen. Ein zentraler Punkt dabei ist die Bewältigung der Kommunikationsflut und die Weiterentwicklung der Kommunikationskultur im Unternehmen. Dank der digitalisierten Technik lässt sich VoIP mit anderen Kommunikationslösungen verknüpfen. Das Stichwort hierfür heißt Unified Communications.

Die typische Situation in Unternehmen: Die Mitarbeiter kämpfen gegen die immer größer werdende Kommunikationsflut und haben Probleme mit der Vielfalt der Kommunikationskanäle und -endgeräte. "Zu den stationär verfügbaren Instrumenten kommen mobile Geräte wie Laptops, PDAs oder Smartphones. Zu den klassischen Kommunikationsmitteln Brief, Telefon und Fax sind E-Mail, Instant Messaging, Audio-, Video- und Web-Konferenzen hinzugekommen", analysiert das Marktforschungsinstitut Experton Group. "Kein Kommunikationsmittel wurde durch ein anderes komplett abgelöst, die Kommunikation verteilt sich heute eher auf mehrere Kanäle. Diese stehen in den meisten Fällen jedoch noch isoliert nebeneinander", sagt Fionn Schreiner, Junior Advisor im ICT-Service bei der Experton Group AG.

Neue Kommunikationskultur: Die Anforderungen an die Kommunikation ändern sich.

Dank konvergenter IP-Netze und Standards wie dem Internet Protocol oder dem Session Initiation Protocol (SIP), lassen sich Kommunikationsformen kanalübergreifend anwenden. Der schnelle Erfolg des Blackberry ist ein klares Anzeichen dafür, dass der Bedarf an integrierten Lösungen immens groß ist. Inzwischen sind die Technologien auch reif für integrierte Lösungen. Unified Communications bietet demnach als Folgeschritt nach der Einführung von VoIP eine Lösung für das zunehmende Kommunikationsaufkommen über viele Kanäle. Experton-Analyst Schreiner sieht darin die "Antwort auf die heutigen Kommunikationsanforderungen" und prophezeit einen Durchbruch im Markt etwa ab 2010. Ähnlich positiv sieht auch das Marktforschungsinstitut In-Stat/Wainhouse Research die weitere Entwicklung und sagt dem weltweiten Markt für Unified-Communications-Produkte ein Wachstum von 17,4 Milliarden US-Dollar (2007) auf 24,6 Milliarden im Jahr 2012 voraus.

Die Kommunikationskultur ändert sich

Doch auch das Nutzungsverhalten der Anwender ändert sich. "Herausforderungen wie Globalisierung, Mobilität, flexible Arbeitsmodelle und Teamarbeit prägen die heutige Arbeitswelt des Informationszeitalters", so Fionn Schreiner. "Als Folge dieser Entwicklungen ist die heutige Teamarbeit nicht mehr der Notwendigkeit eines gemeinsamen Ortes und/oder Zeit unterworfen. Stationäre Arbeit ist dem mobilen Verständnis von Arbeit gewichen." Eine neue Kommunikationskultur entwickelt sich. Der Einsatz moderner Kommunikationsmittel wird zunehmend zum Wettbewerbsfaktor. Denn sie gewährleisten einen schnelleren Informationsfluss und sorgen dafür, dass Geschäftsprozesse nicht abbrechen, weil gerade niemand erreichbar ist. Das sorgt für kurze Entscheidungswege, motivierte Mitarbeiter und zufriedene Kunden.

Dan Bieler: "Unified Communications ist keine Technologie, sondern ein Konzept".

Vor diesem Hintergrund bezeichnet das Marktforschungsinstitut IDC Unified Communications nicht als reine Technologielösung, sondern als Konzept. "Die Kernaufgabe von IT Managern und CIOs besteht darin, eine IT- und Kommunikationsinfrastruktur zu schaffen, die es dem Unternehmen erlaubt, sich in effizienter und produktiver Weise seinem Kerngeschäft zu widmen. UC kann dabei helfen, bleibt aber Mittel zum Zweck", sagt Dan Bieler, Director Consulting, European, Telecommunications & Networking bei IDC.

Wer also VoIP oder Unified Communications einführen will, sollte die Bedeutung der Kommunikationsmittel für die Geschäftsprozesse herausarbeiten. Sprach- und Datenintegration wird künftig kein Selbstzweck mehr sein, sondern sie muss die Effizienz der Kommunikation steigern, indem sie einen synchronen, konstanten Informationsfluss gewährleistet, bis ein Geschäftsprozess abgeschlossen ist. Dies gilt nicht nur für die eigenen Mitarbeiter, sondern auch für Partner, Zulieferer und den Kommunikationsprozess mit Kunden. Integrierte Kommunikationstechnik verändert die Kommunikationskultur eines Unternehmens und somit auch dessen Unternehmensmodell.

Leistungsumfang von UC

Technisch betrachtet verknüpft Unified Communications alle Formen der Kommunikation wie Telefon, Handy, Online-Konferenzen, Instant Messaging, E-Mail und Fax. Auf Knopfdruck kann von jedem Endgerät aus beispielsweise eine Telefonkonferenz geschaltet werden. Jederzeit ist auch ein Wechsel zwischen textbasierter, sprach- oder videobasierter Kommunikation möglich. Dank der Presence-Funktion sieht der Anwender, wer aktuell erreichbar ist. Das reduziert Leerläufe beim Anwender und bietet ihm einen besseren Überblick und Transparenz über den Informationsfluss in allen Kommunikationskanälen.

VoIP ist der erste Integrationsschritt

Grundlage für die Weiterentwicklung der Sprach-Datenintegration sind sogenannte Next Generation Networks (NGNs). Darunter versteht man ein übergreifendes Netz, das "traditionelle leitungsvermittelnde Telekommunikationsnetze wie Telefonnetze, Kabelfernsehnetze, Mobilfunknetze usw. durch eine einheitliche paketvermittelnde Netzinfrastrukur und -architektur ersetzt" (Wikipedia). Der Versorgungsgrad der deutschen Netzwerke mit ganzer oder teilweiser Sprach- und Datenintegration liegt bei 81 Prozent. Netzseitig sind somit die wesentlichen Voraussetzungen für anwendungsorientierte Lösungen geschaffen.

In der Unternehmenspraxis ist VoIP häufig der erste Schritt in die konvergente Anwendungswelt, dem dann Unified Communications im nächsten Schritt folgt. Schon heute sind sich Experten darüber einig, dass sich UC zur wichtigsten Anwendungen für NGNs entwickeln wird. Ebenfalls hohe Erwartungen versprechen sich die Hersteller in diesem Zusammenhang von der Videokommunikation und dem Thema Telepresence.

Keine Lösungen von der Stange

Andreas Löber: "Wenn ein Hersteller UC in die eigenen Systeme integriert, klappt das meistens. Wenn UC an andere Anlagen angeflanscht wird, funktioniert es eben nicht mehr".

Das Angebot für Unified Communications am Markt ist groß. Allerdings gibt es keine Lösungen "von der Stange" und die Anwender müssen prüfen, welcher Anbieter die individuellen Kommunikationsanforderungen abdeckt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass herstellerübergreifende Durchgängigkeit nicht immer gewährleistet ist. Das bedeutet: "Wenn ein Hersteller UC-Lösungen in die eigenen Systeme integriert, klappt das gut, aber wenn UC an andere Anlagen `angeflanscht` wird, funktioniert es eben nicht mehr", weiß Andreas Löber, Analyst bei der ICB Internet Consulting for Business. Zwar bietet das Session Initiation Protocol (SIP) als Standard eine Grundlage, allerdings garantieren die dort festgeschriebenen Spezifikationen noch nicht das reibungslose Zusammenspiel der Komponenten unterschiedlicher Hersteller.

Fazit

Mit der Einführung von Voice over IP25 wird die technische Grundlage geschaffen für die Integration von Sprach- und Datenkommunikation, die sich im nächsten Schritt mit Unified Communications realisieren lässt. Wer Voice over IP in seine Kommunikationsstrategie mit einbezieht und die sich ändernde Kommunikationskultur berücksichtigt, verschafft sich langfristig Wettbewerbsvorteile.