Versunkene Kosten

Wann CIOs ein Projekt beenden sollten

07.09.2012 von Werner Kurzlechner
Der alte Jaguar und Omas Salztee: An zwei Anekdoten zeigt Analyst Rob Enderle, wann sich dauerndes Herumschrauben an missglückten IT-Systemen nicht mehr lohnt.

Manchmal helfen alte Hausmittel. Oder Großmutters Weisheiten. Oder eigene Lebenserfahrung. Oder sogar Basiskenntnisse in Ökonomie. Für unsere amerikanische Schwesterpublikation CIO.com bündelt Analyst Rob Enderle, Gründer der Enderle Group, eine Anekdote seiner Oma und Erinnerungen an seine Jugend zu einer Lektion für IT-Manager. Sie soll lehren, wie das theoretische Wissen um so genannte „sunk costs“ in der alltäglichen Projektarbeit nützlich werden kann.

Großmutters Anekdote geht so: Eine Frau kippt versehentlich Salz statt Zucker in ihren Tee. In Panik rennt sie zu ihrem Nachbarn und bittet um einen Rat. Der Nachbar empfiehlt Pfeffer – der sei das Gegenteil von Salz und mache das Getränk womöglich wieder schmackhaft. Die aufgewühlte Frau probiert es aus, aber der Tee ist immer noch ungenießbar. Sie sucht den nächsten Nachbarn auf, der Knoblauch vorschlägt. Der könne den jetzigen Geschmack übertünchen. Aber leider mundet auch der Knofi-Tee nicht.

Auf fortlaufendes Herumdoktern verzichten

Die Frau klappert alle ihre anderen Nachbarn ab, die unterschiedlichste Gewürze anraten. Nutzen tut das alles natürlich nicht mehr. Erst die letzte Nachbarin ist die klügste Bürgerin der Stadt. Sie schüttelt den Kopf und sagt: „Schütten Sie das Zeug weg! Kochen Sie neuen Tee!“

Die Lehre daraus: Oft ist es besser, auf fortlaufendes Herumdoktern zu verzichten und neu zu beginnen. Enderle erinnert sich daran, in jungen Jahren einen alten Jaguar gekauft zu haben. Den begann er, in mühseliger Kleinarbeit zum Wunschauto mit allen nötigen Extras aufzumotzen. Bis er sich an Omas Anekdote erinnerte, das Ding verkaufte und ein vernünftiges Auto erwarb. Das habe letztlich eine Menge an Geld und Zeit gespart, so Enderle.

Die Botschaft für den CIO sollte schon jetzt klar sein. Manchmal wäre es klüger, auf das beharrliche, aber vergebliche Aufbessern eines suboptimalen Systems zu verzichten und eine neue, funktionierende Lösung anzuschaffen. Oder ein schlingerndes Projekt schlicht zu beenden, statt ewig weiter auf Besserung zu hoffen.

Psychologisches Problem

In der Wirtschaftswissenschaft ist diese Lehre im Konzept der „sunk costs“ enthalten. Bei den versunkenen Kosten handelt es sich um Ausgaben, die getätigt und damit unwiederbringlich verbraucht sind und deshalb in einem ökonomischen Kalkül schlichtweg keine Rolle mehr spielen.

Wenn beispielsweise an einem wirtschaftlichen Verkehrskonzept gefeilt wird, braucht man vergangene Ausgaben fürs Straßennetz nicht mehr zu berücksichtigen. Das ist über Jahrzehnte entstanden, war teuer und erfüllt sicher nicht alle heutigen Erwartungen – aber es ist da und die Kosten dafür sind nicht zurückzubekommen.

Soweit dürfte die Theorie auch jeder CIO kennen. In der Praxis ist das Problem indes kein ökonomisches, sondern ein psychologisches: Nützlich wird das Erkennen von „sunk costs“ just dann, wenn man getätigte Investitionen als verloren erkennt und eine neue Kosten-Nutzen-Rechnung ohne jene „versunkenen“ Kosten macht. Dabei müsste man aber zugeben, dass sich vergangene Entscheidungen als falsch entpuppt haben.

An dieser Stelle hakt Enderle ein. „Ob die ursprüngliche Entscheidung zum Kauf einer Technologie klug war oder nicht: Die Technologie wird möglicherweise obsolet sein, oder ihr Aufmöbeln kostet mehr, als sie wert ist – vor allem dann, wenn man sie mit einer geeigneteren Alternative vergleicht“, schreibt Enderle. „Weil wir aber Angst haben, die frühere Entscheidung könnte als Fehler erscheinen, oder weil wir uns zu sehr auf das Beheben eines Problems fokussieren, verpassen wir es, den notwendigen Schritt zurück zu machen, durchzuschnaufen und die Kosten und Nutzen des Herumschraubens an einer Lösung mit jenen einer Neuanschaffung zu vergleichen.“

Enderle empfiehlt, investiertes Geld zu betrachten wie verspeistes Essen: „Es ist weg und hat keinen Einfluss auf künftige Entscheidungen.“ Man müsse Alternativen immer vergleichen, indem man Kosten gegen künftigen Nutzen abwägt. Dabei mache es keinen Unterschied, ob man in der Vergangenheit zehn Dollar oder eine Milliarde Dollar ausgegeben hat.

Cloud erleichtert Neuanfänge

Der Analyst untermalt das mit einer weiteren Geschichte: Thomas Drake beschuldigte die National Security Agency in den USA, eine Milliarde US-Dollar für das Sammeln von Telefondaten verschleudert zu haben. Man hätte die gleiche Aufgabe intern für lediglich drei Millionen Dollar erledigen können. Drake wurde als Nestbeschmutzer verunglimpft und als vermeintlicher Spion vor Gericht gebracht – ohne verurteilt zu werden. Laut Enderle wäre es die klügste Entscheidung der Sicherheitsbehörde gewesen, geräuschlos das günstige Inhouse-System zu implementieren, anstatt sinnlose Anwalts- und Gerichtskosten zu produzieren.

Für größere Produkte rät Enderle zu einer regelmäßigen Kosten-Nutzen-Analyse, die Herumdoktern und Neustart gegenüberstellt. „Besonders bei seit Jahren erfolglos verlaufenden Projekten ist es oft der schnellere und günstigere Weg zum gewünschten Ergebnis, die Reißleine zu ziehen und neu anzufangen“, so der Analyst.

Man müsse nur herausfinden, wie man aus den bestehenden Verträgen herauskomme. Dabei möge man sich an die Generalklauseln erinnern, die einen Ausstieg ermöglichen, wenn man mit den Ergebnissen nicht zufrieden ist. „Das Schöne an der Cloud-Welt, in der wir jetzt leben, ist, dass wir einen riesigen IT-Shop durch einen Service ersetzen oder nachbilden können“, urteilt Enderle. Das erleichtere auch das Testen einer Technologie unter echten Bedingungen und mache Anschaffungen weniger risikoreich als in der Vergangenheit.