Kein Bock auf Brillenschlange

Warum 3-D-Fernseher gekauft, aber nicht genutzt werden

06.11.2012 von Thomas Kuhn
Was im Kino die Filmfans begeistert, kommt daheim nicht recht vom Fleck. Inzwischen stehen in immer mehr deutschen Wohnzimmern 3-D-taugliche Fernseher. Doch kaum einer nutzt sie. WirtschaftsWoche Online erklärt den Widerspruch.
Der 3-D-Fernseher LM670S von LG wird mit vier 3D-Brillen und einem Brillen-Clip-On an Käufer ausgeliefert.
Foto: LG Electronics

Jeden Samstag das gleiche Bild. An den Kassen des Kinopalasts im Düsseldorfer Medienhafen drängen sich die Filmfans und greifen gerne besonders tief in die Tasche. Denn wenn schon Kino, dann richtig - und immer öfter in 3-D. Dass Filme wie "Asterix & Obelix - Im Auftrag Ihrer Majestät", "Madagascar - Flucht durch Europa" oder "Abraham Lincoln Vampirjäger" in der dreidimensionalen Version bis zu einem Drittel teurer sind als die klassische 2-D-Version schreckt die Fans des räumlichen Bildgenusses kaum ab. Den Aufpreis fürs imposante Bild zahlen sie gerne.

Ganz anders das Szenario zur gleichen Zeit, knappe zwei Kilometer entfernt: In der TV-Abteilung des Elektronikriesen Saturn an Düsseldorfs Nobel-Einkaufsmeile Kö ist von Gedränge nichts zu sehen. Das Verhältnis von Kauf- oder zumindest Technik-Interessenten zu Flachbildfernsehern ist etwa 1 zu 10 - günstigstenfalls. Und so sehr sich die Verkäufer mühen die potenzielle Kundschaft für die Vorteile der in den meisten High-End-Fernsehern längst standardmäßig verbauten 3-D-Bildtechnik zu begeistern, so rechte Faszination will sich nicht entwickeln.

Räumliche Bilder, so fesselnd sie im Kino sein mögen, so wenig treiben sie das Geschäft mit TV-Geräten in Deutschland. Die Hoffnungen der TV-Hersteller, die zur IFA vergangenen Jahres massiv auf die neuen Megamonitore setzten, die - im Zusammenspiel mit den noch immer kaum vermeidlichen Spezialbrillen - die Fernseh- und Videobilder vor des Zuschauers Auge zum räumlichen Erlebnis werden lassen, haben sich zerschlagen.

Statt des erhofften, markanten Schubs fürs eigene Geschäft herrscht bei den Käufern neuer Fernseher allenfalls gebremstes Interesse am Fernsehen der dritten Art. Rund zwei Drittel der potenziellen TV-Neukäufer in Europa erklärten in einer vergangenes Jahr veröffentlichten Studie von Nielsen, dass sie entweder wahrscheinlich oder sicherlich keinen 3-D-Fernseher kaufen wollen. Und da war die Werbemaschinerie der großen Elektronikkonzerne gerade angelaufen. Auf der IFA in diesem Jahr war 3-D-TV schon nur noch ein Thema unter vielen - und entsprechend weniger wird die Technik mittlerweile beworben.

Immer mehr 3-D-Fernseher werden verkauft

Umso erstaunlicher scheint da, dass die Zahl der verkaufen 3-D-Fernseher - aller geäußerten Zurückhaltung der Zuschauer zum Trotz - kontinuierlich wächst, und zwar ziemlich rasant. Lag der Anteil von 3-D-fähigen Geräten im zweiten Quartal dieses Jahres noch bei gut 20 Prozent aller weltweit verkauften Neugeräte, so wird er im soeben angelaufenen vierten Quartal vermutlich schon deutlich über 25 Prozent liegen. Und besaßen im vergangenen Jahr nur zwei Prozent aller deutschen TV-Haushalte ein entsprechendes Fernsehgerät, so werden es in diesem Jahr wohl schon sechs Prozent sein. Insgesamt wird die Zahl der in Deutschland in diesem Jahr verkauften 3-D-fähigen Fernseher, nach Prognosen des Branchenverbandes gfu, bei rund 3,7 Millionen Geräten liegen. Das wäre mehr als jedes dritte Neugerät.

Markantes Desinteresse und dynamisch wachsendes Geschäft

Markantes Desinteresse und dynamisch wachsendes Geschäft - was auf den ersten Blick nicht zusammen passen will, fügt sich zum Bild, wenn man weiß, dass der technische Aufwand vergleichsweise gering ist, um speziell TV-Geräte der Mittel- und Oberklasse mit 3-D-Technik auszurüsten. Die erforderlichen schnellen Bildschirme mit Bildfrequenzen von 200 Megahertz und mehr, die - im Zusammenspiel mit sogenannten Shutterbrillen, die im Millisekundentakt abwechselnd das linke oder das rechte Auge abdunkeln - die räumlichen Bilder darstellen können, sind in besseren Fernsehern ohnehin verbaut. Leistungsfähige Grafikprozessoren, die die beiden Bilder fürs linke und rechte Bild ebenso schnell aufbereiten können, sind darin ebenfalls längst Standard.

Allenfalls die funk- oder infrarotbasierten Sender zu Steuerung der elektronischen Shutterbrillen braucht es noch als Zusatzbauteil in den High-End-Fernsehern - und die kosten als Elektronikmodul allenfalls ein paar Euro. Größter Kostenpunkt sind da noch die Spezialbrillen. Umso mehr als die bis vor Kurzem noch für jeden Hersteller in vergleichsweise kleinen Serien produziert wurden, weil sich die Branche nicht auf eine einheitlich Shutter-Technik einigen konnte.

Doch auch das ist vorbei. Zum einen weil die TV-Hersteller inzwischen einen gemeinsamen Technikstandard für ihre funkgesteuerten Brillen verabschiedet hat. Und zum anderen, weil Hersteller wie LG oder auch Philips ganz oder teilweise auf die deutlich einfachere und damit billigere Polarisationstechnik setzt. Dabei sorgen statt elektronischen nun optische Filter in den Displays und den Brillen dafür, dass jedes Auge nur die für es bestimmte Bildinformation zu sehen bekommt, und das Hirn so aus den beiden Teilbildern einen räumlichen Eindruck erzeugen kann.

Tatsächlich also erklärt sich das vermeintliche Paradoxon inzwischen so, dass viele Käufer von - speziell - höherwertigen TV-Geräten 3-D-fähige Fernseher kaufen, weil sie die notwendige Bildtechnik ohnehin an Bord haben und nicht, WEIL sie explizit 3-D-Fernseher haben wollen. Insofern löst sich das Henne-Ei-Problem des dreidimensionalen Fernsehens fast unbemerkt von den Zuschauern.

Spärliches Pay-TV-Angebot

Denn noch immer werden kaum reguläre 3-D-Inhalte im Fernsehen übertragen. Die spärlichen Angebote der Pay-TV-Sender erinnern nicht mal entfernt an so etwas wie Vollprogramme. Und auch das Angebot an 3-D-Filmen auf DVD oder Blu-ray ist zwar wachsend, aber offenbar für die Masse der potenziellen Neukunden noch immer nicht als zwingendes Kaufargument für die 3-D-Fernseher ausreichend. Und selbst Highlights wie etwa die Olympischen Sommerspiele in London, bei denen Sky 3D, Virgin Media und die BBC rund 300 Stunden Programm produzierten, sorgen bestenfalls kurzfristig für Aufmerksamkeit.

Keine Frage, wer die Eröffnungs- oder Schlussfeier, den 100-Meter-Sprint der Herren oder die täglichen Zusammenfassungen der Höhepunkte vor entsprechend großen Monitoren und mit der entsprechenden 3-D-Technik ausgerüstet verfolgte, der konnte sich der Faszination der räumlichen Spiele im eigenen Wohnzimmer kaum entziehen. Doch tatsächlich ist es wohl so, dass das Angebot den Zuschauern jenseits solcher Events zum einen noch lange nicht ausreicht. Und die Brillen, die die Fans opulenter Bilder im Kino anstandslos akzeptieren, sind daheim - jenseits der fehlenden Inhalte - noch immer das größte Hemmnis, sich auf die dritte TV-Dimension einzulassen. Kein Bock auf Brillenschlange, sozusagen.

Aus zweidimensional mach dreidimensional

Und vor allem letzteres Problem wird sich auf absehbare Zeit noch nicht lösen lassen. Denn selbst wenn beispielsweise der japanische Elektronikriese Toshiba inzwischen auch in Europa seinen ersten Megafernseher auf den Markt gebracht hat, der in der Lage ist, seinen Betrachtern auch so etwas wie räumliche TV-Bilder ohne Brille zu bieten, noch erinnert das Bilderlebnis nur entfernt an die dreidimensionale Realität. Zudem funktioniert der Effekt nicht aus beliebigen Blickwinkeln vor dem Display und nicht bei beliebig vielen Betrachtern zugleich. Und zu allem Überfluss liegt der Kaufpreis des Gerätes etwa auf dem Preisniveau eines 3-D-Jahresabos fürs Kino.

Da dürfte ein anderer technischer Fortschritt womöglich schneller dafür sorgen, dass sich die Akzeptanz für die dritte Dimension am Fernsehgerät allmählich dem Anteil der bereits installierten Geräte annähert. Denn angesichts des Mangels an 3-D-Inhalten stecken die Hersteller der TV-Geräte inzwischen eine Menge an Know-how in die Entwicklung spezieller Software, die in der Lage ist, reguläres zweidimensionales Bild- und Videomaterial in Echtzeit so umzurechnen, dass es am Bildschirm zumindest einen 3-D-Eindruck erzeugt.

Überraschend gute Illusion

Das erinnert an die Surround-Sound-Funktion mit der sich in Radio oder MP3-Spieler selbst schmächtiger Stereo-Sound zum pseudo-opulenten Klang eines Rock-Events in der Konzertarena aufblasen lässt. Und sogar Mono-Klänge lassen sich auf diese Weise noch mit räumlicher Fülle versehen.

Nicht anderes ist, was die Elektronik der 3-D-Riesen aus den flachen Videos des klassischen TV-Programms machen: Eine Simulation, basierend auf jeder Menge Rechenpower, die die Bilder fortwährend daraufhin analysiert, welche Inhalte bei der Aufnahme wahrscheinlich im Vorder- und welche wohl im Hintergrund gelegen haben.

Das funktioniert nicht immer, und längst nicht mir jedem Inhalt gut. Doch es klappt immer besser, und es liefert immer öfter eine überraschend gute Illusion. Speziell, wenn die 2-D-Vorlage ohnehin hochauflösend ist - weil sie von öffentlich-rechtlichen HD-Sendern wie ARD, ZDF oder Arte oder den entsprechenden aufpreispflichtigen Satelliten- oder Kabelangeboten stammt - und, wenn die Bilder bereits in der 2-D-Variante reichlich Perspektive bieten. Damit sind gerade Dokumentation und Naturaufnahmen geradezu prädestiniert, sich per Software eine dritte Perspektive verleihen zu lassen.

Zugegeben, es ist bleibt eine Simulation. Aber jeder, der die entsprechende Technik bereits zuhause stehen hat, sie aber bislang mangels Interesse nicht ausprobiert hat, der sollte den entsprechenden 3-D-Modus zumindest ein paarmal ausprobieren. Das Ergebnis wird an die Qualität der opulenten Kino-Optik nicht heranreichen - und ist in vielen Fällen doch ein ziemlich beeindruckendes Argument, die heimische 3-D-Glotze doch mal bestimmungsgemäß zu nutzen. (Wirtschaftswoche)