Carve-out

Was der CIO bei der Abspaltung eines Geschäftsbereichs beachten muss

15.07.2016
Anzeige  Obwohl auf die IT große Veränderungen zukommen, wird der CIO beim Carve-out häufig erst sehr spät ins Boot geholt. Der dadurch entstehende zeitliche Engpass erhöht den Druck auf den IT-Verantwortlichen.

Siemens hat es schon oft getan. Hewlett-Packard vor kurzem ebenso. Bosch-Rexroth und Zeiss haben es ebenfalls hinter sich, wie auch Bayer und Merck. Viele weitere Unternehmen werden es noch tun. Die Rede ist vom sogenannten Carve-out, der Abspaltung eines Geschäftsbereichs oder Unternehmensteils.

Während dieser Schritt für das Management eine wirtschaftlich und strategisch interessante Möglichkeit bietet, das Unternehmen neu aufzustellen oder durch den Verkauf kurzfristig Kasse zu machen, stellt es den CIO meist vor große Herausforderungen. "Der IT-Leiter erfährt vom geplanten Spin-off oft erst zeitgleich mit der Öffentlichkeit und sieht plötzlich eine Welle neuer Herausforderungen auf sich zurollen - für die er weder Budget noch Personal eingeplant hat", schreibt HPE-Manager Christian Valerius in seinem Blog auf BVEx.

Erschwerend kommt hinzu, dass er keine Erfahrungen darin hat und mit den Best Practices nicht vertraut ist, sofern er nicht in einem Konzern arbeitet, für den derartige Auslagerungen Gang und Gäbe sind. "Er weiß nicht einmal, welche Aufgaben und Risiken ihm nun bevorstehen", so Valerius, der den Carve-out als "Minenfeld für den CIO" bezeichnet. Dabei trägt der CIO eine große Verantwortung, denn "über die operative Realisierung des Erfolgs entscheidet am Ende des Tages immer häufiger die IT", schreibt Jens Weber, Manager CIO Advisory bei Deloitte, in einem CIO-Beitrag.

Der Verzug hat automatisch einen erhöhten Zeitdruck zur Folge. Schließlich steht der zeitliche Rahmen für den geplanten Börsengang oder den Verkauf an einen privaten Investor bereits fest. Er kann bei 18 Monaten, einem Jahr oder manchmal auch bei gerade mal bei sechs Monaten liegen. "Diesen Zeitdruck verstärkt der Umstand, dass die für das Divestiture-Projekt angeheuerten Wirtschaftsberater vom CIO möglichst baldige Antworten auf eine Reihe von Fragen einfordern", weiß Valerius.

IT-Kosten darlegen

So beispielsweise die Bewertung der IT-Organisation des abzuspaltenden Geschäftsbereichs, Angaben zu den IT-Betriebskosten der Tochter sowie eine Prognose über deren Umfang nach einer Abspaltung. In diesem Zusammenhang wollen die Berater auch wissen, wie hoch die Investitionen sein werden, um die Trennung der IT in zwei Bereiche durchzuführen, damit der IT-Betrieb der Tochter garantieren werden kann.

Dazu muss er eine Einschätzung der sogenannten "No-Regret Costs" vornehmen, damit werden genau jene Ausgaben bezeichnet, die für die funktionsfähige Weiterführung der IT des auszugliedernden Bereichs nötig sind, die aber nicht so hoch sein dürfen, dass man befürchten muss, die Höhe der Investitionen später zu bereuen.

Der CIO ist gefordert, die mit dem Carve-out verbundenen Kosten auf einem Minimum zu halten. Die Einstufung der Kosten ist nicht einfach, da nach der Aufspaltung die in der Vergangenheit gewonnenen Synergien durch Zusammenlegung mehrerer Bereiche nun zu "Dis-Synergien" führen können, also Extrakosten, damit der auszulagernde IT-Betrieb unabhängig vom verbleibenden funktioniert.

Abwägung zwischen "No Betterment" und Innovationen

Der Leitgedanke bei Carve-Outs war bislang, dass der technische Status quo der IT der künftigen Tochter beibehalten wird. "No Betterment" heißt das Stichwort, das Investitionen nur soweit zulässt, dass der neue Geschäftsbereich selbstständig mit dieser IT arbeiten kann, es wird jedoch nicht in neue Entwicklungen investiert.

Häufig wäre es viel sinnvoller und idealerweise sogar kostenneutral, wenn der CIO Innovationsschritte wie beispielsweise die digitale Transformation einleiten würde. Denkbar wären sogar Kosteneinsparungen, wenn zum Beispiel Backup und Recovery der auszulagernden Tochter als Cloud-Service betrieben werden, was Zusatzkosten in Hard- und Software für Speichertechnologien überflüssig macht.

So eine Lösung böte dem Käufer außerdem mehr Flexibilität, das Backup-Konzept nach dem Kauf ohne großen Aufwand erneut anzupassen. Beschreitet ein CIO einen solchen Weg, ruft er mit seinen Vorschlägen oft Neider auf den Plan, denen gegenüber er seine Entscheidungen geschickt vertreten muss.

Das können einerseits die Mitarbeiter der verbleibenden Abteilung sein, die wissen wollen, warum die Innovation nicht auch im Mutterkonzern stattfindet. Andererseits können Kompetenzkonflikte auch mit dem neuen CIO des abgespaltenen Bereichs aufkommen.

Best Practices bei der Implementierung eines Carve-out-Projekts

Bei der Durchführung eines Carve-outs orientiert sich der CIO angesichts der vielen Unabwägbarkeiten und des Risikos unnötig hoher Kosten idealerweise an Best Practices. Andernfalls läuft ein in Carve-out-Projekten unerfahrener CIO Gefahr, die termingerechte Aufspaltung der IT-Landschaft nicht einhalten zu können.

Reichlich Erfahrung bei der Begleitung hunderter Mergers, Akquisitionen und Divestiture-Projekten haben die Consulting-Spezialisten von Hewlett Packard Enterprise gesammelt (siehe BVEx-Beitrag "Carve-outs strukturiert durchführen"). Sie empfehlen ein strukturiertes Vorgehen und teilen den Carve-out-Prozess in drei Phasen ein:

Drei Phasen des Carve-outs: Es empfiehlt sich, Divestiture-Experten unterstützend einzusetzen.
Foto: HPE

In der ersten Phase entwickelt der CIO eine IT-Strategie für das abzuspaltende Unternehmen. Häufig ist dieser Bereich kleiner als die unternehmens- bzw. konzerninterne IT, was die Anforderungen an die IT ändert. "Zuvor gilt es, eine Inventarisierung und Bewertung aller verfügbaren Assets (Due Diligence) vorzunehmen, um überhaupt ein klares Bild der Ausgangslage zu erhalten", empfiehlt Valerius.

Gleichzeitig findet die Planung der Trennung der vorhandenen gemeinsamen IT-Bestände statt sowie die Konzeption einer zweiten separaten Umgebung. An dieser Stelle entscheidet der CIO, ob die bisherige Maxime des "No Betterment" (siehe oben) sinnvoll ist oder ob er Innovationsschritte einleiten kann, die gegebenenfalls Kosteneinsparungen bewirken.

"Die zweite Phase erfordert die Umsetzung der Schritte, die erforderlich sind, um die künftige Tochter mit einer eigenen IT-Organisation gleichen Niveaus auszustatten", sagt Valerius. Darunter fallen die Überführung oder Neuanschaffung von Hardware und Software ebenso wie die Übernahme beziehungsweise der Neuabschluss von Verträgen oder der Transfer von IT-Personal.

Die HPE-Berater empfehlen den Abschluss eines sogenannten Transitional Service Agreements (TSA), das festlegt, welche IT-Services vom Verkäufer während der Übergangsphase übergeben oder für einen bestimmten Zeitrahmen bereitgestellt werden, bis eine neue IT-Architektur vom Käufer eingerichtet ist.

Klar strukturiertes Vorgehen beim Carve-out: In acht Schritten von der Etablierung eines Separation Management Offices bis zur Übergabe des Betriebs.
Foto: HPE

Folgende Reihenfolge einzuhalten hat sich in der der Praxis bewährt:

Abspaltung in acht Schritten

In der Umsetzungsphase sollte der CIO sein Augenmerk besonders auf die folgenden acht Bereiche legen:

Möglichkeiten, einen Carve-out durch Innovationsschritte zu optimieren

Auch wenn es von der oben beschriebenen Maxime des "No Betterment" abweicht, sollte der CIO in jedem Fall prüfen, ob eine Innovation für ein Carve-out-Projekt besser und günstiger ist als die Replikation des Bestehenden.

Das "No Betterment"-Konzept, das noch aus dem 20. Jahrhundert stammt, berücksichtigt nicht das inzwischen extrem hohe Fortschrittstempo in der IT und gilt zunehmend als überholt. So kann aufgrund technischer Fortschritte und eines rapiden Kostenverfalls beispielsweise durch Cloud-Angebote heute eine Innovation nicht nur angeraten, sondern sogar gegenüber dem "No Betterment" kostenneutral sein.

Welchen Weg der CIO beim Carve-out schlussendlich verfolgt, hängt stark vom jeweiligen Ziel ab: Soll der auszulagernde Bereich an einen anderen Konzern verkauft und die IT somit integriert werden oder wird ein selbstständiger Betrieb mittels Private-Equity-Kapital oder durch einen Börsengang angestrebt. In beiden Fällen kann die Nutzung von Cloud-Services sinnvoll sein, um Dis-Synergiekosten zu senken.

So ist es beispielsweise denkbar, eine bestehende Office-Installation in eine Office-365-Anwendung zu überführen. Das hat den Vorteil, dass der neue Betrieb die Leistung komplett von Microsoft bezieht und bei der Einführung und Integration der gewünschten Cloud-Services von seinem Cloud-Dienstleister unterstützt wird.

Auch bei SAP-Umgebungen ist es sinnvoll, über Innovationsschritte nachzudenken. Häufig stehen SAP- Anwenderunternehmen vor der Optimierung gewachsener Strukturen, Prozesse und IT-Systeme. Der Carve-out ist eine Gelegenheit, innerhalb kurzer Zeit eine standardisierte, harmonisierte und konsolidierte Prozess-, Daten- und Systemlandschaft zu realisieren.

Kraft Foods, einer der größten Lebensmittel-Konzerne weltweit, beschloss vor vier Jahren die Aufspaltung in zwei Teile: Das reine Lebensmittelgeschäft im amerikanischen Heimatmarkt fungierte fortan unter der Bezeichnung Kraft Foods Group, das Geschäft mit Snacks und Süßwaren (u.a. Milka-Schokolade) unter dem neu gegründeten Unternehmen Mondeléz.

HPE unterstützte die Planung und Umsetzung einer Next-Generation-Infrastruktur für die beiden Unternehmen. In weniger als neun Monaten wurden folgende Innovationen realisiert:

Virtualisierung und der Einsatz von Cloud-Services trugen maßgeblich zu einer zeit- und budgetgerechten Umsetzung der Transformation bei. Mondeléz verfügt heute über eine äußerst flexible Infrastruktur, die es ermöglicht, weitere Konzernbereiche einzubinden oder Teilbereiche bei Bedarf auch wieder auszulagern.

Fazit

Ein Carve-out ist für den CIO stets eine große Herausforderung, da er die IT des auszulagernden Bereichs nicht nur wirtschaftlich bewerten, sondern sie auch technisch so vorzubereiten muss, dass sie abgespalten funktionsfähig ist. Je nach dem vorgegebenen Szenario hängt es davon ab, auf welche Weise sich Dis-Synergiekosten möglichst gering halten lassen. Innovation beispielsweise durch die Nutzung von Cloud Services können für den CIO heute - der "No Betterment"-Doktrin zum Trotz - ein probates Mittel sein.