Dieselkrise, E-Flaute, Kartellverdacht

Was folgt aufs Autojahr 2017?

27.12.2017
Können die Autobauer nach einem turbulenten 2017 im kommenden Jahr nach vorn schauen? Sicher ist: Der Diesel treibt die Branche mit drohenden Fahrverboten und Milliardenkosten weiter um - inklusive Kartellvorwürfen. Aber das Fahrzeug von morgen nimmt Gestalt an.

Deutschlands einstige Vorzeigebranche kämpft um ihre Zukunft. Die Autoindustrie will die Dieselkrise abschütteln, doch zugleich muss sie Milliarden in neue Technologien stecken. Und auch für Kunden und Beschäftigte zeichnen sich zahlreiche Umwälzungen ab.

Der Diesel in Existenznöten - nicht nur bei Volkswagen

Mit gefälschten Stickoxid-Werten bei Millionen Autos des VW-Konzerns fing es an. Kann der Diesel angesichts der Glaubwürdigkeitskrise und schrumpfenden Neuzulassungen noch mal die Kurve kriegen? Volkswagen ist bei der Aufarbeitung des Abgas-Skandals ein Stück vorangekommen - jedenfalls was Milliarden-Entschädigungen für Verbraucher in den USA und den Rückruf betroffener Modelle angeht. In Amerika wurde zudem ein Strafrechtsvergleich mit Behörden geschlossen, zwei Ex-Manager sind wegen Verstößen gegen Umweltgesetze schon verurteilt. Klagen von Aktionären und Betrugsermittlungen sind aber noch nicht ausgestanden.

Mit dem VW-Skandal nahm die Diesel-Krise ihren Anfang.
Foto: Gyuszko-Photo - shutterstock.com

Hinweise auf Software, die die Abgasreinigung auf der Straße senkt oder abschaltet, brachten auch andere Hersteller in den Verdacht der Manipulation. Tests des Kraftfahrt-Bundesamts und der Deutschen Umwelthilfe erschütterten das Vertrauen in den Diesel, kürzlich musste VW zusätzlich fast 60 000 Touareg zurückrufen. Doch der Selbstzünder bleibt wohl noch einige Zeit unerlässlich: als relativ CO2-effiziente Übergangstechnologie in die Ära alternativer Antriebe. Wäre da nicht der vergleichsweise hohe Ausstoß an Stickoxiden (NOx).

Risiko Fahrverbote und ein lückenhafter Dieselfonds

Weil die Konzentration des Atemgifts NOx vielerorts erlaubte Niveaus übersteigt, haben Besitzer älterer Diesel Angst vor Fahrverboten. Vor allem Stuttgart, München oder Kiel hatten bereits 2016 hohe Werte. NRW und Baden-Württemberg gehen gegen Urteile vor, die Dieselautos aussperren könnten. Bald entscheidet das Bundesverwaltungsgericht. Eigentlich waren zum Januar 2018 Fahrverbote in Stuttgart geplant - zehn Jahre nach der Einführung erster Umweltzonen in Deutschland.

Die Bundesregierung will neben einem Milliarden-Fonds für sauberere Luft in den Städten weitere Hilfen bereitstellen. Aber schon der Fonds macht Probleme: Hier klafft eine Finanzierungslücke, auch weil sich ausländische Autobauer gegen eine Beteiligung sperren. Derweil wärmt ausgerechnet VW-Chef Matthias Müller den Vorschlag auf, Diesel-Subventionen in die Förderung der E-Mobilität umzuleiten. Gegenüber einer Umweltplakette zeigt er sich ebenfalls offen - zur Verwunderung des Verkehrsministeriums und Freude von Umweltschützern.

Bürgermeister fordern, dass sich Autobauer stärker am Dieselfonds beteiligen. Anderswo sind Neuzulassungs-Stopps für Verbrenner längst beschlossen: Frankreich will bis 2040 aussteigen, Großbritannien ab 2040. Die Umwelthilfe lässt hierzulande nicht locker. Sie klagt vor weiteren Gerichten, um die Einhaltung der Luftqualität durchzusetzen.

Mehr Ehrlichkeit durch neue Abgastests und Motortechnik?

Die Grauzone zwischen dem Ausnutzen von Regellücken und gezielter Täuschung ist groß - bei der Schadstoffmessung wie bei den Angaben zu CO2 und Verbrauch. Die Industrie kontert das gern mit dem Verweis auf moderne Tests. Seit dem Herbst durchlaufen neue Autotypen den Zyklus WLTP, der im September 2018 für sämtliche Neu-Pkw bindend wird. Er ist gründlicher als das alte Verfahren NEFZ. Es seien jedoch auch hier Schlupflöcher möglich, meinen Kritiker. Daher seien Straßentests (RDE) nötig. Ab September 2019 sind diese für Neuwagen Pflicht. Die EU-Kommission kann ab 2020 selbst Rückrufaktionen starten und bei Regelverstößen Bußgelder von bis zu 30 000 Euro pro Auto verhängen.

Einige Experten betonen, dass das NOx-Problem mit neuen Motoren keine große Rolle mehr spiele. "Wir reden ausschließlich über Altlasten", sagt Thomas Koch vom Karlsruher Institut für Technologie. Die Branche finanziert Abwrackprämien für betagte Autos und Software-Updates für jüngere. Aber ohne langfristigen Wechsel zu E-Antrieben werde es eng, mahnt die Commerzbank: "Damit sind Autohersteller gefordert, ihren Strategiewandel in Richtung E-Mobilität erheblich zu beschleunigen."

Elektrisches Fahren bleibt (bei uns) noch in der Nische

Der Mitte 2016 eingeführte "Umweltbonus" nimmt nur langsam Fahrt auf. Bis Ende November gab es 42 251 Förderanträge für E-, Hybrid- und Brennstoffzellenautos. Viele Stromer sind recht teuer, haben geringe Reichweiten. Die Konzerne investieren nun Milliarden in neue Modelle. Bei der Ladeinfrastruktur tut sich etwas: Projekte wie Ionity (BMW, Daimler, VW, Ford, Shell) und Energieversorger bauen das Netz aus.

Den Auto-Belegschaften stehen stürmische Zeiten bevor. E-Antriebe benötigen weniger und andere Teile als Verbrenner, ein Teil der alten Jobs wird verloren gehen. Der IG Metall zufolge hängen über 200 000 der 880 000 Beschäftigten in der deutschen Branche am Diesel. Und US-Rivale Tesla will sich mit günstigeren Exemplaren breitmachen.

China hingegen reguliert den Anteil seiner wachsenden Elektro- und Hybridflotte per Quote, was Importeure im wichtigsten Automarkt der Welt unter Druck setzt. Experte Stefan Bratzel betont: "Die globale E-Mobilität wird durch China bestimmt." Ein Mix verschiedener Antriebe - fossil, hybrid, elektrisch, Brennstoffzelle - gilt als bestimmendes Szenario. "Wenn wir zukunftsfähig bleiben wollen", so BMW-Chef Harald Krüger jüngst, "müssen wir hier und jetzt handeln."

Autonome Autos, Vernetzung, Services: Megatrends mit Startproblemen

Autobauer, Zulieferer und Wissenschaftler feilen an der Kommunikation von Fahrzeugen untereinander ("car-to-car") und mit der Umgebung wie Fußgängern, intelligenten Schildern oder Ampeln. Das ist einerseits Voraussetzung für sicheres autonomes Fahren. Zum anderen birgt es Herausforderungen wie die Zurechnung von Verantwortung und Haftung, die Versicherung bei Unfällen - und ruft Datenschutz-Bedenken hervor.

Die Hersteller sind in Zugzwang. Geschäftsmodelle müssen her, um in der Mobilität von morgen mit Robo-Taxis, Auto-Abos und neuen Carsharing-Konzepten mithalten zu können. BMW, Fiat Chrysler und der Chipriese Intel kooperieren beim autonomen Fahren. Volvo liefert dem Fahrvermittler Uber neue Modelle, die Google-Schwester Waymo will Roboterwagen auf die Straße bringen. VW rüstet sich mit tausenden Software-Experten und vermittelt Fahrgemeinschaften per Minibus. Seit 2010 steckte die Branche laut McKinsey weltweit 111 Milliarden Dollar in Firmen aus der Automatisierung, Vernetzung und Elektrifizierung.

Ein unrühmlicher Kartellverdacht

Als gäbe es nicht genug Baustellen, kam im Sommer eine zusätzliche hinzu. Die EU-Kommission prüft nach einem "Spiegel"-Bericht über jahrelange Geheimabsprachen in der Autoindustrie den Verdacht der Kartellbildung. BMW, Daimler und VW samt den Töchtern Audi und Porsche sollen Informationen über Modelle, Kosten und Zulieferer ausgetauscht haben - möglicherweise zulasten des Wettbewerbs und der Verbraucher. Noch laufen die Ermittlungen, auch die Abgrenzung von zulässigen Absprachen ist nicht ganz klar. Die Unternehmen sehen kein Fehlverhalten. Zulieferer hätten keine Behördenanfragen erhalten.

Protektionismus als Bedrohung des Exportgeschäfts

Die deutsche Autobranche hängt zu großen Teilen am freien Welthandel. 2017 gingen gut drei von vier hierzulande hergestellten Wagen - rund 4,3 Millionen Stück - in den Export. Da sorgten die Ankündigungen von US-Präsident Donald Trump, Importzölle einzuführen oder anzuheben, für Verunsicherung. Bisher hat Trump seinen Worten keine Taten folgen lassen. Doch auch der Brexit und die Elektro-Quoten Chinas könnten die internationalen Verkäufe von Autos "made in Germany" hemmen.

Wird es weitere Übernahmen in der Branche geben?

Im März einigte sich PSA (Peugeot/Citroën/DS) mit dem bisherigen Eigentümer General Motors auf die Übernahme von Opel. In Europa entsteht nun der nach Absatz zweitgrößte Anbieter nach der VW-Gruppe. Bis Ende 2018 sind die rund 19 000 deutschen Opelaner zwar vor betriebsbedingten Kündigungen geschützt. Die PSA-Spitze hat aber schon klargemacht, dass sie die Firma auf Effizienz trimmen will.

Auch zu einem möglichen Liebäugeln von VW mit Fiat Chrysler gibt es immer wieder Gerüchte, die die Wolfsburger hartnäckig dementieren. In der Zulieferbranche bleibt der Konkurrenzkampf ebenfalls hoch - wobei laut Ratingagentur Moody's ausgerechnet die Abgaskrise durch den Bedarf an neuer Reinigungstechnik für neue Umsätze sorgen könnte. (dpa/ad)