Haltlose Verdächtigungen, rigorose Kontrollen, persönliche Gängelei

Wenn die Geschäftsreise zum Horrortrip wird

10.11.2008 von Claus G. Schmalholz und Anne Preissner
Ausufernde Sicherheitschecks, enorme Verspätungen und mieser Service lassen viele Business-Trips zum Albtraum werden. Das Spektrum der Schikanen reicht von plötzlich geänderten Vorschriften bis hin zu entwürdigenden Kontrollprozeduren. Und es wird noch schlimmer.
Geschäftsreisen geraten immer mehr zum unfreiwilligen Abenteuertrip.
Foto: MEV Verlag

Die Rückreise aus New York verlief zunächst wie gewohnt. Knapp wie immer erreichte Chemiemanager Günter Gabler (Name von der Redaktion geändert) den Flughafen, wie immer spurtete er zum Sicherheitscheck, wie immer reihte er sich in die Warteschlange ein, befreite sich von Schuhen und Gürtel und legte sie zusammen mit seinem Laptop auf das Band.

Ein paar Sekunden später war auf einmal nichts mehr so wie immer. Vor ihm baute sich ein Gebirge von einem Mann auf, das bedrohlich zu knurren begann: "Sir, we got a situation here." Freundlich, aber sehr bestimmt wurde Gabler von zwei Wachbeamten in einen Nebenraum bugsiert. Sie forderten eine Erklärung für etwas, das ihm selbst ein Rätsel war: Ein Detektor hatte Sprengstoffspuren an seinem Computer geortet.

Während der Rechner einer Spezialuntersuchung unterzogen wurde, grübelte Gabler in seinem stickigen Kabuff darüber nach, wer ihm das Teufelszeug wohl untergejubelt haben könnte. Nach quälender Warterei tauchte der Sicherheitsexperte wieder auf und akzeptierte schließlich Gablers Erklärung, dass er bei einem Chemieunternehmen arbeite und dadurch wohl mit Substanzen in Berührung geraten sei, die den Alarm ausgelöst hätten. In allerletzter Sekunde bekam Gabler seinen Flieger.

Dieser Artikel erscheint mit freundlicher Genehmigung von manager-magazin.de.
Foto: manager-magazin.de

Rigorose Kontrollen, haltlose Verdächtigungen, verpasste Flüge - oft aus nichtigem Anlass oder wegen absurder Zufälle werden aus normalen Geschäftsreisen Trips ins Ungewisse. Vor allem das Fliegen ist seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 zu einer Mischung aus unfreiwilligem Abenteuer und ständigem Ärgernis geworden.

Die verschärften Maßnahmen von Behörden, Airlines und Flughäfen zur Verhinderung von Terroranschlägen führen bei Vielreisenden zu einer ganz anderen Art des systematischen Schreckens.

Die Rechte und Interessen der Passagiere, deren Unternehmen für teures Geld Tickets mit oft horrenden Sicherheitsgebühren bezahlt haben, spielen nur noch eine untergeordnete Rolle. "Der Passagier ist heute kein Fluggast mehr, sondern nur noch ein Transportfall", resümiert Datenschützer Hans G. Zeger.

USA verschärfen Sicherheitskontrollen

Das Spektrum der Schikanen reicht von plötzlich geänderten Einreisevorschriften wie in China im Vorfeld der Olympischen Spiele bis hin zu entwürdigenden Kontrollprozeduren wie dem Bodyscan, einer neuartigen Kontrollschleuse, in der die detaillierten Körperkonturen der Passagiere sichtbar werden.

Angeführt von den USA, nehmen viele Länder den Krieg gegen den Terror zum Anlass, die Kontrollen am Boden bis an den Rand des Erträglichen auszudehnen. Ein Ende der Aufrüstung in den Kontrollzonen ist nicht absehbar: Ab Juni 2009 müssen die Airlines ihren Passagieren auch bei der Ausreise aus den USA Fingerabdrücke abnehmen.

Und bis Ende 2008 wollen die US-Sicherheitsbehörden zudem rund 600 neuartige Röntgengeräte einsetzen, die hochauflösende Bilder des Inhalts von Taschen und Koffern liefern. Die Folge: Viele Gepäckstücke werden künftig mehrmals durch das Gerät fahren und anschließend noch genauer inspiziert.

Einher geht die Vielzahl neuer Kontrollsysteme oft mit persönlicher Gängelei. So empfindet es etwa Christoph Carnier, Chef des Reisemanagements beim Darmstädter Pharma- und Chemiekonzern Merck. Der 36-Jährige riskierte unlängst seinen eng getakteten Zeitplan, als er sich mit einem äußerst unfreundlichen Kontrolleur am New Yorker Flughafen anlegte. Der Mann hatte Carnier in barschem Befehlston aufgefordert, für das obligatorische Einreisefoto in die Knie zu gehen - statt den flexiblen Haltearm der Digitalkamera einfach auf die richtige Höhe zu bringen.

Flugzeuge im innereuropäischen Verkehr starten immer unpünktlicher.
Foto: Saudi Airlines

Carnier verweigerte den Kniefall mit dem Hinweis auf sein lädiertes Gelenk. Erst nach einem langen Wortwechsel wurde er schließlich doch im Stehen abgelichtet. Glück gehabt. Denn renitente Ausländer laufen besonders in den USA Gefahr, zeitraubenden Extraprüfungen unterzogen zu werden.

Manchmal genügt auch eine unglückliche Häufung vermeintlicher Verdachtsmomente, um ins Visier der Beamten zu geraten. Das musste Martin Koehler, Geschäftsführer der Boston Consulting Group, erfahren, als er nach einem dienstlichen Termin in Miami per First-Class-Flug einen Freund in Los Angeles besuchen wollte, um von dort zurück nach Deutschland zu fliegen. Koehlers vor Ort gekauftes und bar bezahltes One-Way-Ticket an die Westküste und die vielen Ein- und Ausreisestempel aus aller Herren Länder sowie der anderslautende Name der Ehefrau machten die Kontrolleure misstrauisch.

"Ich wurde von einer Warteschlange in die nächste geschickt, hatte am Ende vier Kreuze auf meiner Bordkarte und musste mich bis auf die Unterhose ausziehen", erzählt Koehler. Erklärungen für die insgesamt vier Stunden dauernde Prozedur gab es nicht und natürlich auch keine Entschuldigung, als er am Ende seinen Flug verpasste. "Als ich schließlich in Los Angeles ankam, war die Geburtstagsparty meines Freundes längst vorbei", sagt Koehler.

Zähneknirschend befolgte er den Rat, den er für solche Fälle gern parat hat: "Niemals protestieren. Widerspruch provoziert lediglich die nächste Stufe der Eskalation."

Geduld und Zurückhaltung empfehlen sich aber auch aus einem ganz anderen Grund: Ohne es zu ahnen, kann sich der in bester geschäftlicher Absicht reisende Manager in einem der Datenbankraster verfangen haben, mit dem Polizei und Heimatschutzministerium Verdächtige aus dem Terrorumfeld suchen.

Verdächtige Namen auf No-Fly-Listen

Das Risiko ist nicht zu unterschätzen. Seit 2004 erfasst die US Homeland Security 34 Einzeldaten jedes Reisenden, von der Reiseroute über die Essenswünsche bis hin zu Anzahl und Gewicht der Gepäckstücke. Ein Computer gleicht die Daten mit den Profilen von Terrorverdächtigen ab und ordnet jeden Reisenden per Ampelfarbe einer Gefährdungsstufe zu: Grün steht für unbedenklich, Gelb führt zu eingehenden Untersuchungen der betroffenen Passagiere, Rot bedeutet Einreiseverbot.

Dass die ungezügelte Sammelwut der US-Behörden mehr ist als nur ein datenschutzrechtliches Ärgernis, zeigt die Existenz sogenannter No-Fly-Listen. Auf diesen streng unter Verschluss gehaltenen schwarzen Listen stehen Namen, von denen die Behörden vermuten, dass sie von potenziellen Flugzeugentführern als Decknamen benutzt werden könnten. Reisende, die das Pech haben, tatsächlich so zu heißen, laufen Gefahr, wie Staatsfeinde behandelt zu werden.

Auch Angehörige bestimmter Berufsgruppen müssen sich auf Ärger einstellen. Bei Mitarbeitern der Darmstädter Merck KGaA etwa führte die Berufsangabe Biochemiker häufig zu langen Interviews durch das Sicherheitspersonal, sagt Merck-Reisemanager Carnier. Viele hätten deshalb schon ihre Anschlussflüge verpasst. Die Reisemanager des Konzerns empfehlen ihren Kollegen dennoch, bei der Wahrheit zu bleiben und die Befragungen über sich ergehen zu lassen. Sonst, so die Befürchtung, könnte am Ende das ganze Unternehmen unter verschärfter Beobachtung der US-Aufpasser stehen.

Zulässig sind allenfalls kleine Tricks, um den zeitaufwendigen Sonderkontrollen zu entgehen. BCG-Berater Koehler empfiehlt Deutschen, die üblicherweise ohne Visum in die USA oder nach Kanada einreisen dürfen, an der Immigration Control grundsätzlich die Worte "Work" sowie "Client in this country" zu vermeiden. "Meetings" oder "Convention" seien dagegen unverfänglich genug, um ohne Schwierigkeiten ins Land zu gelangen.

Verstopfte Flughäfen

Alle Tricks helfen jedoch nichts, wenn die Maschine nicht rechtzeitig kommt. Ein Grund dafür: zu wenige Piloten, Fluglotsen und Mechaniker. Nach Angaben der Association of European Airlines (AEA) starten die Flugzeuge im innereuropäischen Verkehr immer unpünktlicher. Der Anteil der Flüge, die um mehr als 15 Minuten verspätet abhoben, stieg binnen eines Jahres von 20,5 auf 22,4 Prozent. Der größte Zeitfresser ist London Heathrow, dort landet fast jedes zweite Flugzeug außerplanmäßig, durchschnittlich 47 Minuten zu spät.

Der Mangel an Fachpersonal ist zumindest ein Teil der Erklärung für die vielen Verspätungen und Flugausfälle, unter denen Vielreisende besonders beim Umsteigen zu leiden haben. Die Wut der Wartenden richtet sich in solchen Fällen gern auf die Flugsicherung, die im vermeintlich notorisch überlasteten Luftraum die Luftstraßen nicht optimal nutzt und Flugzeuge scheinbar willkürlich in die Warteschleife beordert.

Tatsächlich sind aber nicht die Luftstraßen verstopft, sondern die Flughäfen, sagt BCG-Experte Koehler. Weil sich die Airlines weltweit zu Netzwerken verbündeten, werden große Umsteigeflughäfen wie London Heathrow und Frankfurt/Main täglich in Wellen angeflogen. Am Frankfurter Flughafen ist zwischen 7.30 Uhr und 8.30 Uhr sowie zwischen 17 Uhr und 18 Uhr am meisten Betrieb. "Wer diese Wellen vermeiden kann, spart viel Zeit", empfiehlt Koehler.

Damit Tausende Fluggäste aus aller Herren Länder zu dieser Stunde ins Flugzeug der Partner-Airline umsteigen können, müssen möglichst viele Maschinen am Boden stehen. Die Folge ist eine chronische Überlastung bei der Abfertigung von Flugzeugen zu diesen Spitzenzeiten. Wer als Geschäftsreisender das Pech hat, in einer jener Maschinen zu sitzen, die in diesem Dominospiel der Pünktlichkeit am Ende der Schlange stehen, hat verloren.

So entwickelte sich zum Beispiel der Rückflug von Holger Reimann aus den USA zu einem typischen Nervenschocker von Geschäftsreisenden. Wegen der verspäteten Ankunft seines Fliegers in Boston verpasste er nicht nur die Anschlussflüge nach Paris und Düsseldorf, sondern verlor auch sein Gepäck.

Nach eineinhalb Stunden Wartezeit hatte der Verkaufsleiter des Handelsunternehmens Sojitz schließlich sein Ticket von Boston nach New York mit Weiterflug nach London und Düsseldorf. Doch beinahe wäre auch Plan B gescheitert. Die Kontrolleure in Boston setzten ihn ohne Begründung einer "Luftdusche" aus, um Sprengstoff oder Drogen aufzuspüren. Die Prozedur kostete zusätzlich Zeit, und nur auf den letzten Drücker erreichte er schließlich seinen Flug nach New York - das Gepäck kam drei Tage später an.

Aufwendige und teils unsinnige Sicherheitschecks, häufige Verspätungen und immer wieder Flugausfälle - das einstige Luxustransportmittel Flugzeug ist zur S-Bahn der Lüfte geworden. Mit einem Service, der trotz horrender Extragebühren oft auf dem Niveau des Schienentransports rangiert.

Meist fängt der Ärger schon bei der Sicherheitskontrolle an. Selbst während der Stoßzeiten sind oftmals nicht alle Schleusen mit Personal besetzt. Und einige der Beschäftigten führt die Mischung aus schlechter Bezahlung und ein klein wenig Macht offenbar in Versuchung, die geschniegelten Managertypen im Befehlston herumzukommandieren: "Schuhe ausziehen. Laptop extra in die Kiste legen!" Eine Etappe weiter im Abfertigungshürdenlauf ergeht es Geschäftsreisenden oft kaum besser, wie das Erlebnis von Ralf Gerbershagen, Deutschland-Chef von Motorola, zeigt.

Als er vor ein paar Wochen 45 Minuten vor Abflug am Gate in London Heathrow eintraf, um nach Brüssel zu fliegen, teilten ihm die Mitarbeiter in unbeteiligtem Ton mit, das Boarding sei bereits abgeschlossen. Da half kein Bitten und kein Betteln - der Flieger hob ohne ihn ab.

Trend zum Extra-Abkassieren

Das Verrückte an all dem Ärger ist nach Ansicht des Flugexperten Koehler, dass der Geschäftsreisende nicht nur gut zahlt, sondern auch der einfachste und kostengünstigste Passagier ist. "Der typische Geschäftsreisende ist ja längst völlig auf Effizienz trainiert", sagt Koehler, "er nutzt den Check-in-Automaten am Gate, weiß genau, was er im Handgepäck mitnehmen darf, zieht freiwillig seinen Gürtel aus, und er hat nicht drei Koffer dabei, die extra aufgegeben werden müssen."

Dennoch werden sie neuerdings gern noch extra zur Kasse gebeten, wie der Fall von Stefan Vorndran, Geschäftsführer beim Reisespezialisten BCD Travel, zeigt. Als er unlängst mit Easyjet von Berlin nach Genf fliegen wollte, stellte er sich rechtzeitig eine Stunde vor Abflug in die Warteschlange zum Check-in. Plötzlich entdeckte er einen Schalter namens "Speedy Boarding", ging hin, zahlte 11,25 Euro und durfte nebenan sofort einsteigen.

Der Trend zum Extra-Abkassieren grassiert auch in den USA. US Airways verlangt schon 25 Dollar für ein zweites Gepäckstück und 5 Dollar Gebühr für die Sitzplatzreservierung.

Der Grund für den häufig miesen Service an deutschen Flughäfen liegt auch in der Aufgabenteilung. Für die Grenzkontrolle ist die Bundespolizei zuständig, die Sicherheitschecks übernehmen in der Regel Privatfirmen, die unter staatlicher Aufsicht stehen, die Fluglinie ist am Boden nur fürs Boarding zuständig, und die Beförderung des Gepäcks ist Aufgabe des Flughafenbetreibers.

Weil sich daran nichts ändern wird und gleichzeitig die Zahl der Passagiere steigt, nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass eine Geschäftsreise zum unfreiwilligen Abenteuertrip gerät. Wer über die Besonderheiten der wichtigsten Flughäfen Bescheid weiß und ein paar Tricks kennt, kann viele Termine noch retten. Doch manchmal hilft nur ein schier übermenschliches Maß an Contenance - wie es Rene Schlegel, Chef des russischen Ablegers des Autozulieferers Bosch, bewies, als es in der Ukraine noch die Visumpflicht gab.

Als Schlegel an einem Sonntag in Kiew ankam, um einen Geschäftspartner zu treffen, erfuhr er, dass sein Visum ungültig sei. Die Vorschriften waren übers Wochenende geändert worden. Freundlich, aber beharrlich erklärte Schlegel immer wieder aufs Neue, dass er nichts von den neuen Regeln wissen konnte. Schließlich durfte er passieren.

Ganz anders erging es zwei Managern, die es auf die harte Tour versuchten. Lautstark wollten sie die Kontrolleure mit dem Argument unter Druck setzen, dass sie zwei wichtige westliche Investoren seien, mit denen man sich besser nicht anlege. "Das beeindruckte die Grenzbeamten nicht. Am Ende mussten die Manager unverrichteter Dinge zurückfliegen", erzählt Schlegel.