Erste Studie in Europa zur beruflichen Mobilität

Wenn Pendeln das Leben zerstört

30.10.2008 von Riem Sarsam
Pendeln zwischen Arbeit und zu Hause ist Stress. Das merkt nicht nur der Körper. Auch soziale Beziehungen leiden darunter. Auf der anderen Seite wird Mobilität im Job immer wichtiger. Für viele ist sie die letzte Chance zur Existenzsicherung.
Kopfschmerzen, Schlafstörungen und kein echtes Privatleben: Pendler opfern viel für den Job.

Berufspendler haben oft Probleme mit der Gesundheit. Sie leiden unter Kopfschmerzen oder Schlafstörungen. Aber auch die soziale Komponente kommt zu kurz, egal ob Freundeskreis, Beziehung oder Familie. Mobile Frauen bleiben häufiger kinderlos und auch ohne Partner.

Zu diesen Ergebnissen kommt die Studie "Job Mobilities and Familie Lives in Europe", die von der EU-Kommission in Auftrag und von der Mainzer Johannes Gutenberg Universität koordiniert wurde. Demnach hat Mobilität aber nicht per se negative Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die Zufriedenheit.

Es kommt unter anderem darauf an, warum jemand pendeln oder umziehen muss. Wenn Mobilität als Zwang erlebt wird, unvorhergesehen oder ungewollt eintritt, wird sie als besonders belastend empfunden.

Politik und Wirtschaft sind gefordert, Strategien zu entwickeln, um die negativen Konsequenzen zu verringern, so das Fazit der Studie. Der Beitrag der Arbeitgeber kann darin bestehen, Arbeitszeiten weiter zu flexibilisieren oder mehr Arbeit von zu Hause zu ermöglichen.

Derzeit sind 16 Prozent der Erwerbstätigen in Europa mobil. Deutschland weist mit 18 Prozent den höchsten Anteil mobiler Arbeitnehmer auf, die Schweiz mit 13 Prozent den niedrigsten.

Im europäischen Vergleich bewegten sich deutsche Arbeitnehmer in der Vergangenheit im Mittelfeld. Heute ist das anders: Sie pendeln am häufigsten.

32 Prozent der europäischen Erwerbstätigen haben bereits Zeiten als Pendler hinter sich. Der Anteil derer, die pendeln, ist in den vergangenen 20 Jahren gestiegen. "Die heute 30-Jährigen haben jetzt schon deutlich mehr Mobilitätserfahrung als die 50-Jährigen", berichtet Norbert Schneider, Professor an der Uni Mainz und Koordinator des Projekts.

Die bei weitem häufigste Form ist Fernpendeln: 41 Prozent der Berufspendler benötigen mindestens zwei Stunden für den Weg zur Arbeit und zurück. Knapp 30 Prozent der Pendler übernachten als Dienstreisende, Wochenendpendler oder Saisonarbeiter wenigstens 60 Mal im Jahr nicht zu Hause.

Die Menschen in Europa zeigen sich laut Studie erstaunlich sesshaft: Sie ziehen selten über weite Strecken um und migrieren kaum. Junge, männliche Akademiker sind dabei am mobilsten: Sie ziehen für einen Job auch woanders hin, während Alte und Nicht-Akademiker lieber pendeln, auch über längere Distanzen.

Dabei haben die Menschen unterschiedliche Gründe: Die einen erhoffen sich neue Chancen. Für andere ist Mobilität der einzige Weg, Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Das sind nicht wenige: Für ein Viertel ist Mobilität die letzte Möglichkeit zur Existenzsicherung.

Für die Studie wurden 7.220 Menschen im Alter zwischen 25 und 54 Jahren in Frankreich, Deutschland, Spanien, Polen, der Schweiz und Belgien befragt. Sie wurde innerhalb des 6. Rahmenprogramms für Forschung und technologische Entwicklung von der Europäischen Kommission finanziell gefördert.