Gefährliche Wut im Bauch

Wer öfter ausrastet, ist früher tot

17.11.2014 von Jana Reiblein
Brüllen, Türen knallen, Geschirr zerdeppern – so ein gepflegter Wutausbruch tut schon mal gut. Doch Vorsicht: Wer zu Zornanfällen neigt, hat laut einer Studie ein erhöhtes Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko. So bleiben Sie gelassener.

Wut hat viele Formen. Mal ist sie rasend aggressiv, mal eifersüchtig, mal traurig-frustriert - ein natürliches, normales Gefühl, das uns in unserem Alltag begegnet und nicht unbedingt schädlich sein muss. Wut kann jedoch auch zum Problem werden, wenn sie uns ständig beherrscht, die Kontrolle übernimmt und die Lebensqualität auf vielfältige Weise einschränkt: Es sind nicht nur die Angestellten, die unter einem cholerischen Chef leiden oder Kinder, die sich vor allzu temperamentvollen Eltern ducken - auch der Körper des Jähzornigen selbst leidet.

Dass die Seele unmittelbare Auswirkungen auf den Blutdruck hat, wissen nicht nur Mediziner, auch Betroffene erfahren es am eigenen Leib. Der Wütende spürt Hitze, Herzklopfen und Erröten, wenn sein Ärger zu einem Blutdruck- und Pulsanstieg führt. Der Körper ist in Alarmbereitschaft und schüttet die Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin, die unter anderem Einfluss auf die Blutgerinnung haben, vermehrt aus. Auch die Vermutung, dass andauernder Stress und Ärger zu Herzproblemen oder Schlaganfällen führen kann, gibt es schon länger. Laut der Deutschen Herzstiftung kann es etwa gefährlich fürs Herz werden, wenn private oder berufliche Spannungen im Laufe der Zeit zu chronischem Bluthochdruck führen, der zu den größten Risikofaktoren für Herz-Kreislauferkrankungen zählt.

Es sind nicht nur die Angestellten, die unter einem cholerischen Chef leiden - auch der Körper des Jähzornigen selbst leidet.
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Eine Meta-Studie der US-Forscher Elizabeth Mostofsky, Elizabeth A. Penner und Murray A. Mittleman, die in der Fachzeitschrift "European Heart Journal" veröffentlicht wurde, untermauert die Vermutungen, dass es einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen intensiven negativen Emotionen und dem Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall gibt. Für die Untersuchung wurden neun Studien aus den Jahren 1966 bis 2013 ausgewertet, die Patienten mit einem Hang zu heftigen Wutausbrüchen und koronaren Herzkrankheiten bis zum Infarkt (vier Studien), Hirninfarkt (zwei Studien), gerissenen Blutgefäßen (Aneurysmen) im Kopf (eine Studie) und Herzrhythmusstörungen (eine Studie) dokumentierten.

Zwei Stunden nach Ausbruch ist das Risiko erhöht

Die Auswertung der US-Wissenschaftler untermauert die These, dass Ärger zu körperlichen Problemen führen kann - und zeigt darüber hinaus, dass bereits kurze Attacken von psychischem Stress in Form von Wutausbrüchen erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Die Forscher berechneten, dass in den zwei Stunden, die auf einen Wutanfall einer Person folgen, das Risiko für einen Herzinfarkt um nahezu das Fünffache, die Gefahr eines Hirninfarkts um mehr als das Dreifache steigt. Das Risiko eines platzenden Aneurysmas im Kopf steigt laut den Berechnungen in der Stunde nach einem Wutanfall sogar um mehr als das Sechsfache. Die Gefühlsausbrüche können laut der Studie auch zu Herzrhythmusstörungen führen. Zum Vergleich wurden die Zeiten herangezogen, in denen der Patient emotional ausgeglichen war.

Die Wut besser unterdrücken?

In der Statistik zeigte sich, dass von 10000 untersuchten Patienten ohne weitere Risikofaktoren, bei denen fünf Mal am Tag ein Wutausbruch nachgehalten wurde, 158 Patienten pro Jahr einen Herzinfarkt erlitten. Hatten die Patienten in der Vergangenheit bereits Probleme mit ihrem Herz-Kreislaufsystem, wächst das Risiko deutlich. Auch weitere Vorerkrankungen wie Diabetes oder Übergewicht und Zigarettenkonsum gelten als Risikofaktoren. Für 10000 Menschen, die zusätzlich zu den fünf Wutanfällen noch solche Risikofaktoren trugen, errechneten die Studienautoren 657 Menschen mit Infarkt pro Jahr.

Eine Feststellung der gefährlichen "Wut-Dosis" war den Forschern nicht möglich, da die Heftigkeit der Wut-Gefühle in den Studien zumeist nicht gemessen wurde. Lediglich die beiden Untersuchungen zu Herzrhythmusstörungen belegten ein höheres Risiko bei wutentbrannten Patienten ("furious" im Original), als bei mäßig wütenden ("moderately angry") Personen. Auch bleiben biologische oder andere Ursachen wie sozioökonomische Einflüsse oder Medikamenteneinnahme unklar, da die Stichproben für solche Schlussfolgerungen zu klein waren. Zwar seien Wutausbrüche bei Patienten mit niedrigerem Bildungsstand häufiger aufgetreten, jedoch könne man hier keine Verbindung zu Herz- oder Hirninfarkten nachweisen. Auch, ob etwa die Einnahme von Beta-Blockern oder Aspirin das Risiko, das mit den Wutausbrüchen einhergeht, senken kann, sei nicht statistisch signifikant nachzuweisen gewesen.

Den Groll einfach herunterschlucken?

Konflikte und Streit gehören zu unserem täglichen Leben, sei es im Job oder in der Familie. Ärger lässt sich nicht vermeiden. Leben nun Menschen, die ihren Frust herunterschlucken, gesünder als Choleriker? Mitnichten. Schon im Jahr 1939 hat der Psycho-Analytiker und Mitbegründer der Psychosomatik, Franz Alexander, die These aufgestellt, dass auch unterdrückter Ärger zu Bluthochdruck führen kann. Auch psychische Probleme wie Depressionen oder Bulimie führte er darauf zurück.

Eine schwedische Langzeit-Studie wies nach, dass heruntergeschluckter Ärger das Herzinfarkt-Risiko erhöht. Die Forscher untersuchten in den Jahren 2755 männliche Teilnehmer, die zu Beginn der Untersuchungen in den Jahren 1992 bis 1995 gesund waren und noch nie einen Herzinfarkt erlitten hatten. Mit Fragebögen wurde erhoben, ob sie sich auf der Arbeit unfair behandelt fühlen und wie sie damit umgehen. Das Forscherteam um Constanze Leineweber vom Stress Research Institute der Universität Stockholm stellte in der zehn Jahre andauernden Beobachtung der Probanden fest, dass es einen Zusammenhang zwischen aufgestauter Wut und Herzerkrankungen gibt. Die Männer, die regelmäßig ihren Ärger herunterschluckten, wiesen ein doppelt so hohes Risiko für Herzkrankheiten bis hin zum Tod durch Herzinfarkt auf.

8 Tipps für den Stressabbau

Und wie exzessive Wutanfälle bringt auch unterdrückte Wut Probleme im sozialen Miteinander mit sich. Heruntergeschluckter Frust kann laut der American Psychological Association zu passiv-aggressivem Verhalten oder zu einer zynischen und feindseligen Persönlichkeit führen - Menschen, die permanent alles kritisieren, andere heruntermachen haben oft nicht gelernt, ihren Ärger konstruktiv auszudrücken.

Ein einfaches Rezept für den Umgang mit Ärger und Wut gibt es nicht. Weder ständiges, unbedachtes Explodieren noch den Groll unverarbeitet in sich hineinzufressen, hilft weiter, beides führt nur zu noch mehr Schwierigkeiten. Um sich selbst und seine Mitmenschen zu schonen, sollte aber unbedingt ein Weg zu innerer Ruhe gefunden werden. Dafür gibt es viele Ratgeber.

Die Deutsche Herzstiftung gibt etwa die folgenden Empfehlungen zum Stressabbau:

Acht Tipps, um das Herz vor Stress zu schützen
Wechseln Sie in die Vogelperspektive
Versuchen Sie, die Situation, die Ihnen Frust bereitet, ganz bewusst von oben beziehungsweise von außen zu betrachten. So bauen Sie eine innere Distanz zum aktuellen Geschehen auf. Zum Beispiel: "Der Stau, in dem ich gerade stehe, ist eine Tatsache, die ich nicht ändern kann. Wenn ich mich aufrege, verschlimmere ich die Situation nur."
Treiben Sie Sport
Sport zählt laut der Deutschen Herzstiftung zu den besten Möglichkeiten, um Stress loszuwerden. Bereits eine halbe Stunde Bewegung, sei es Walking, Schwimmen oder Tennis, kann gefühlte Wunder vollbringen.
Das Übel bei der Wurzel packen
Zwar lassen sich die Ursachen von Stress nicht immer beheben, etwa bei einem schwierigen Chef. Bei Stress in der Beziehung können gezielte Gespräche helfen. Hier gilt: Nicht schon aufgebracht ins Gespräch gehen, sondern lieber ein paar Tage warten und alle Argumente und Gegenargumente auch sacken lassen.
Entspannungstechniken einüben
Yoga, autogenes Training und Co. werden immer wieder angepriesen - doch nicht jedem sind sie eine Hilfe. Die Deutsche Herzstiftung empfiehlt einen pragmatischen Ansatz: Wenn eine Methode Entspannung bringt, ist sie auch gut - wenn nicht, sollte man andere Sachen ausprobieren. Während manche Menschen alleine und in völliger Stille entspannen, bevorzugen andere etwa die Anleitung in einer Gruppe ...

... Die gewählte Technik sollte auf jeden Fall regelmäßig geübt werden, damit sie in akuten Stress-Situationen auch abrufbar ist.
Starten Sie Ihren "Gegenentwurf"
Unter dem "Gegenentwurf" versteht man die ständige Pflege persönlicher Interessen, seien es Chorsingen, Fußballspielen oder Briefmarkensammeln. Also Aktivitäten, die uns anregen und positiv herausfordern und so vom negativen Stress ablenken.
Verbannung für Entspannungskiller
Fernsehen mag zwar entspannend erscheinen, doch man ist dabei passiv und erreicht keine nachhaltige Stress-Reduktion - wertvolle Zeit, in der man den Ärger des Tages verarbeiten und abschütteln kann, geht so verloren. Es kann helfen, sich einen Plan zu machen, an welchen Tagen man den Fernseher auf jeden Fall auslassen und stattdessen ein altes Hobby wieder aufleben lassen oder ein Treffen mit Freunden verabreden kann.
Vorsicht bei Medikamenten
Arzneien, die Beruhigung versprechen gibt es zwar - sie sollten aber stets nur unter Kontrolle eines Arztes zum Einsatz kommen, und nicht einfach auf eigene Faust im Internet bestellt werden. Als Beispiel nennt die Deutsche Herzstiftung Benzodiazepine, die für langfristige Stressbewältigung ungeeignet sind, weil sie schon nach kurzer Zeit abhängig machen und zudem erhebliche Nebenwirkungen (Konzentrationsschwierigkeiten, Benommenheit) haben können.
Achten Sie auf Ihre Ernährung
Gerade wer viel zu tun und einen gefühlten 48-Stunden-Tag hat, achtet oft nicht ausreichend auf seine Ernährungsweise. Es wird dann zu schnell, das Falsche und zu viel gegessen und vielfach auch zu viel Alkohol getrunken. Zusammen mit Bewegungsmangel kann das zu Übergewicht führen, was Unzufriedenheit und Frustgefühle noch verstärken kann. Man sollte sich am Besten ein Repertoire an schnellen und gesunden Mahlzeiten zulegen, etwa aus der Mittelmeerküche.

Auch der chinesische Philosoph Konfuzius gab schon Tipps gegen den Ärger. "Wenn die Wut wächst, denke an die Konsequenzen", mahnte er und forderte zu langfristigem Denken anstelle von kurzfristigem Nachgeben eines Wut-Impulses auf. Der Blick in die Zukunft und das Bewusstwerden der Folgen unseres Handelns soll die nötige innere Ruhe bringen.

Ist es eine unbeeinflussbare Situation, die uns in Rage bringt, oder ist ein klärendes Gespräch mit dem Menschen, über den wir uns ärgern, nicht möglich, kann auch ein Selbstgespräch hilfreich sein. Was zunächst seltsam klingt, untersuchte der US-Psychologe Thomas Brinthaupt von der Middle Tennessee State University. Er fand heraus, dass Frustration, Trauer und Wut durch Selbstgespräche ein Ventil finden können.

Welche Methode tatsächlich hilft, ist individuell verschieden und muss ausprobiert werden. Die Deutsche Herzstiftung empfiehlt einen pragmatischen Ansatz: Wenn eine Methode Entspannung bringt, ist sie auch gut - wenn nicht, sollte man andere Sachen ausprobieren. Und trotz aller guten Ratschläge, die man in Unmengen von Büchern zum Thema nachlesen kann - manchmal hilft statt durchatmen und bis drei zählen eben nur noch eine Therapie weiter, um die Probleme im Leben zu lösen und die Wut nachhaltig in den Griff zu bekommen.

(Quelle: Wirtschaftswoche)