Monsanto-Übernahme

Wie der Carve-out von Bayer an BASF ablief

12.11.2018 von Horst Ellermann
Dass Kartellbehörden klaglos zusehen, wie Bayer Monsanto schluckt, hat selbst bei Bayer niemand geglaubt. Dass Teile des Crop-Science-Geschäfts verkauft werden mussten, ahnten alle. Nur war lange nicht klar, welche und an wen. CIO Daniel Hartert schildert, wie die IT den Verkauf vorbereitet hat.
  • Das Henne-Ei-Problem: Den Merger gibt es erst, wenn der Verkauf stattgefunden hat. Und den Verkauf gibt es erst, wenn der Merger stattgefunden hat.
  • Ein cross-funktionales Team bereitete in einem Pre-Merger-Planning-Projekt zunächst die Veräußerung vor.
  • Drei neue Systemlandschaften entstehen: Zwei komplett neue ERP-Systeme werden gebaut und ein bestehendes ERP-System wird erweitert.
Daniel Hartert - CIO der Bayer AG: "Normalerweise benötigt man für einen Carve-out dieser Größenordnung mindestens zwölf Monate. So viel Zeit hatten wir aber nicht."
Foto: Bayer AG

Daniel Hartert freut sich, dass seine IT wieder im Mittelpunkt steht. Der Geschäftsführer der Bayer Business Services sagt, er habe selten so viel Aufmerksamkeit erhalten wie in den letzten zwei Jahren - vom Vorstand, von den Mitarbeitern und von CIO-Kollegen aus Gartners Research Board. Beim Thema Mergers & Acquisitions sind auf einmal alle hellwach: "Als wir 2016 die Pläne zu Monsanto auf den Tisch gelegt haben, war uns klar, dass uns die über 30 Regulierungsbehörden weltweit Auflagen machen würden", sagt Hartert: "Aber wir wussten zu diesem Zeitpunkt nicht, welche Teile des Geschäfts das betreffen würde."

Das Henne-Ei-Problem

Erschwerend kam bei der geplanten Übernahme von Monsanto hinzu: "Wir erhalten die Genehmigungen der Regulierungsbehörden nur, wenn die abzugebenden Geschäftseinheiten bereits vollständig veräußert sind. Der Käufer wiederum kann allerdings erst dann bestätigen, dass der Kauf vollzogen ist, wenn die Systemwelt entsprechend an ihn übergegangen ist", erzählt Hartert. "Catch22" würden Amerikaner so eine Situa­tion nennen. Deutsche sprechen eher vom Henne-Ei-Problem: Den Merger gibt es erst, wenn der Verkauf stattgefunden hat. Und den Verkauf gibt es erst, wenn der Merger stattgefunden hat.

Wie bereitet man unter solchen Umständen einen Verkauf vor?

Um es gleich vorwegzunehmen: Am Ende hat BASF Teile der Crop-Science-Geschäfte gekauft, während Bayer Monsanto übernahm. Das erste Crop-Science-Paket ging im Oktober 2017 für 5,9 Milliarden Euro an die Ludwigshafener, 1.800 Beschäftigte wechselten den Arbeitgeber.

Foto: Bayer AG

Das zweite Paket ging im April 2018 für 1,7 Milliarden Euro an BASF, 2.500 Beschäftigte wechselten den Arbeitgeber. Gemüsesaatgut, einige Saatgutbehandlungsmittel, die Forschungsplattform für Weizenhybride sowie bestimmte Glyphosat-basierte Herbizide in Europa kommen ab jetzt aus Ludwigshafen statt aus Leverkusen.

Ebenfalls den Rhein hochgewandert sind drei Forschungsvorhaben im Bereich der Totalherbizide und das Digital-Farming-Geschäft von Bayer. "Normalerweise benötigt man für einen Carve-out dieser Größenordnung mindestens zwölf Monate", sagt Hartert: "So viel Zeit hatten wir aber nicht."

Möglich geworden ist das Geschäft schließlich, weil Bayer sich zusammen mit dem IT-Dienstleister Tata Consultancy Services (TCS) eine "Carve-out-Solution" einfallen ließ, die zumindest Bayer und TCS für total neuartig halten. Und die geht so:

1. Pre-Merger-Planning-Projekt

Ein cross-funktionales Team bei Bayer Business Services bereitet zunächst die Veräußerung vor. Dieses Pre-Merger-Planning-Projekt (PrMP) ist nötig, denn lange ist noch völlig offen, welche Geschäfte konkret abgegeben werden müssen und wer für deren Übernahme in Frage kommt. Bayer könnte die Geschäftsfelder einzeln oder insgesamt, an einen strategischen Investor mit entsprechender Infrastruktur oder auch an einen Finanzinvestor abgeben. "Die Voraussetzung hierfür ist, die abzugebenden Geschäfte mit einer voll funktionsfähigen Systemlandschaft sowie mit einem externen IT- und BPO-Service-Provider auszustatten", sagt Hartert: "Und das Ganze sollte möglichst lean sein, denn gerade Private Equity hat es gerne schlank."

2. Drei neue Systemlandschaften

Das Bayer-Team entwickelt zusammen mit mehr als 200 Mitarbeitern von TCS neue Prozesse und Systeme für IT, Procurement, HR sowie Finanzen und Accounting. Drei neue Systemlandschaften entstehen. Das gemeinsame Team entwirft zwei komplett neue ERP-Systeme und baut ein bestehendes ERP-System aus. Mehr als 25 Buchungskreise funktionieren jetzt losgelöst von Bayer. Die neuen Systemlandschaften umfassen auch 400 Non-ERP-Applikationen, zum Beispiel ein HR-System für mehr als 3.000 Mitarbeiter in 25 Ländern und neue Entgeltlösungen in 16 dieser Länder. Außerdem stellt das Team 9.000 neue und voll konfigurierte Laptops und Handys bereit.

3. Lösung auf der grünen Wiese

TCS betreibt die Services zunächst weiter. BASF findet eine Lösung vor, die erst einmal auf der grünen Wiese weiterlaufen kann. "Sehr oft ist es bei Carve-outs so, dass der ausgewählte Provider nach dem Closing der Transaktion automatisch zum Provider des Käufers wird - zumindest auf Zeit", erklärt Hartert. "Damit können wir uns voll auf unsere eigenen Prioritäten konzentrieren, allen voran die Integration von Monsanto."

Erstaunlich an diesem Ansatz ist in der Tat: Am Ende haben zwar 4.300 Arbeitnehmer ihren Arbeitgeber gewechselt, bei Bayer hat allerdings kein einziger Mitarbeiter aus IT, Accounting oder Procurement das Unternehmen verlassen.

Die Top CIOs der Chemie- und Pharma-Branche
Markus Schümmelfeder
Seit April 2018 ist Markus Schümmelfeder neuer CIO des Pharmakonzerns Boehringer Ingelheim in Ingelheim am Rhein. Er war zuvor Corporate Vice President IT im Unternehmen. Schümmelfeder berichtet an seinen Vorgänger im CIO-Amt, den CFO Michael Schmelmer.
Martin Richtberg
Seit 1. Januar 2022 bekleidet Martin Richtberg die Position des Senior Vice President Information Technology, CIO und CDO von Wacker Chemie. Zuletzt war er dort Leiter des globalen Project-Engineering.
Annette Hamann
Annette Hamann ist seit 2020 CIO bei der Hamburger Beiersdorf AG. Ihre Vorgängerin Barbara Saunier ist im Ruhestand.
Dirk Ramhorst
Seit dem 1. Mai 2022 ist Dirk Ramhorst, ehemaliger IT-Chef von Wacker Chemie, CIO beim Spezialchemiekonzern Evonik. Seine Vorgängerin Bettina Uhlich ging in den Vorruhestand.
Michael Nilles
Henkel hat Michael Nilles am 1. Oktober 2019 zum Chief Digital & Information Officer (CDIO) ernannt. Er berichtet direkt an Carsten Knobel, CEO von Henkel. In seiner Position ist Nilles für die Bereiche Digital, IT, Geschäftsprozessmanagement und Corporate Venture Capital verantwortlich.
Abel Archundia-Pineda
Abel Archundia-Pineda ist seit Mai 2017 Head of IT Business Partnering Pharmaceuticals bei Bayer im Geschäftsbereich Pharma bei Bayer. Zuvor war er Head of IT for Novartis Technical Operations and Global CIO der Sandoz Division, Novartis AG.
Michael Jud
Michael Jud ist seit April 2017 Leiter IT beim Pharmahersteller InfectoPharm Arzneimittel und Consilium GmbH in Heppenheim im südlichen Hessen. Jud kommt vom Anlagenbauer Schenck Process in Darmstadt. Er berichtet bei seinem Arbeitgeber an den kaufmännischen Geschäftsführer. Neben dem Fokus-Thema IT-Sicherheit baut der gelernte Diplom Ingenieur SAP weiter aus und unterstützt das internationale Wachstum von InfectoPharm.
Alessandro de Luca
Alessandro de Luca war bisher Interims-Group CIO beim Pharmakonzern Merck. Der Konzern hat sich entschieden, de Luca dauerhaft in dieser Position zu beschäftigen.
Hermann Schuster
Seit 1. September 2021 ist Hermann Schuster Head of Information Technology bei der Lanxess AG. Er folgt auf Kai Finke. In seiner neuen Position will Schuster im Chemiekonzern ein Konzept für den Modern Workplace umsetzen und sich auf Cybersicherheit konzentrieren. Daneben steht der Rollout eines SAP S/4 Hana-Templates auf seiner Agenda. Schuster berichtet an den Lanxess-Finanzvorstand Michael Pontzen.
Bijoy Sagar
Bijoy Sagar ist ab Juni 2020 neuer Leiter IT und Digitale Transformation der Bayer AG. Er löst den bisherigen CIO und CEO der IT-Tochter Bayer Business Services (BBS) ab, der seine Konzernkarriere beendet. Die BBS wird aufgelöst. Sagar soll die Digitalisierung des Pharmakonzerns vorantreiben und die begonnene Neuaufstellung der IT ans Ziel führen. Er berichtet an den Finanzvorstand Wolfgang Nickl.
Martin Wiedenmann
Martin Wiedenmann ist seit Februar 2019 Head of Global IT/CIO der Atotech Group, einem weltweit agierenden Marktführer für Spezialchemie. Zuvor war er war seit Juli 2016 CIO bei Ledvance in München.
Andreas Becker
Andreas Becker ist seit April 2017 Vice President Information Technology/CIO beim Pharmakonzern Daiichi-Sankyo Europe in München. Im Oktober 2014 kam der Diplom-Kaufmann mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik & EDV als Head of IT Strategy & Service Delivery ins Unternehmen.
Sandeep Sen
Sandeep Sen ist CIO der Linde Group. In dieser Funktion hat er Büros in Singapur und München. Weltweit führt Sen rund 1.100 Mitarbeiter. Er kam 1993 zu Linde Indien (vormals BOC India). Zuvor war er in der IT auf dem Finance-Sektor tätig. Dabei arbeitete er sowohl in Indien als auch in Großbritannien.
Peter Buchmüller
Seit Mitte Juni 2017 ist Peter Buchmüller IT-Leiter der Aenova Group, einem pharmazeutischen Auftragshersteller mit Sitz in Starnberg bei München. Der genaue Titel lautet: Senior Vice President Corporate IT Aenova Group. Buchmüller wechselte von der Molkerei Meggle in Wasserburg, wo er zuvor als Leiter IT tätig war.
Berthold Kröger
Berthold Kröger hat im Juli 2015 die IT-Verantwortung bei der K+S AG in Kassel übernommen. Der neue Leiter Corporate IT berichtet an den Vorstand Thomas Nöcker. Der promovierte Informatiker hat sein Studium an der Universität-Gesamthochschule Paderborn absolviert. Er arbeitete danach mehr als drei Jahre im Forschungs- und Technologiezentrum der Deutschen Telekom und war später in verschiedenen Positionen bei der Hochtief AG und der Hochtief Solutions AG in Essen beschäftigt.
Alexander Bode
Im Juli 2014 hat Alexander Bode den CIO-Posten beim Farbenhersteller DAW SE angetreten. DAW (Deutsche Amphibolin-Werke) ist vor allem bekannt durch Farbenmarken wie Caparol und Alpina. Bode kommt vom Pharmahändler Celesio, wo er seit 2013 als Global Head of IT Governance tätig war. Davor arbeitete der Wirtschaftsinformatiker viele Jahre bei der Freudenberg-Gruppe, wo er auch seine berufliche Laufbahn 2002 begann. Zuletzt verantwortete er dort von 2008 bis 2013 als Director ERP Europe das SAP Competence Center von Freudenberg Sealing Technologies.
Torsten Müller
Seit November 2018 ist Torsten Müller Head of Information Technology (CIO) beim Pharma- und Laborzulieferer Sartorius AG mit Sitz in Göttingen. Zuvor war er Chief Digital Officer und Chief Information Officer sowie Mitglied der Geschäftsleitung der Versicherung Helvetia Deutschland in Frankfurt.
Stephan Heinelt
Stephan Heinelt ist seit September 2018 Group CIO beim Spezialchemiekonzern Altana AG mit Sitz in Wesel. Der Diplom-Wirtschaftsinformatiker Heinelt war zuletzt Leiter Service Management Global IT Services bei der Evonik Industries AG in Essen.
Martin Kinnegim
Martijn Kinnegim ist seit März 2019 CIO der STADA Arzneimittel AG mit Sitz im hessischen Bad Vilbel. Kinnegim arbeitete zuvor bei Jacobs Douwe Egberts (JDE). Dort war er als Global CIO tätig und leitete die Integration der Gesellschaften DE Masterblender 1753 und Mondelez International in den weltweit führenden Kaffeekonzern.
Walter Grüner
Walter Grüner ist seit Mai 2019 Head of Information Technology beim Chemie-Unternehmen Covestro in Leverkusen. Zuvor war Grüner seit 2013 als Group CIO bei der KION Group AG tätig, einem Anbieter von Gabelstapler und Lagertechnik.
Tobias Günthör
Der Pharmakonzern Stada hat mit Tobias Günthör seit Anfang April einen neuen IT-Chef. Der Titel des 53-Jährigen lautet CIO/Senior Vice President IT at Stada Group.
Carsten Priebs
Zum 01.01.2024 wurde Carsten Priebs zum Digitalchef der Biesterfeld AG berufen.

Die Lessons Learned

Was lief nicht so gut bei der neuen Carve-out-Solu­tion? "Nun gut", sagt Hartert. Man trage die Learnings gerade noch zusammen. Drei Dinge ließen sich aber jetzt schon konstatieren:

Einen vollautomatisierten Carve-out wird es also auch in Zukunft nicht geben. Erst einmal sei aber gut, dass die Carve-outs jetzt routinierter ablaufen, sagt Hartert. Bayer wird das Thema M&A vermutlich auch in den nächsten Jahren beschäftigen, das haben Covestro, Lanxess und jetzt die Crop-Science rund um das Gemüsesaatgut gezeigt. Hartert freut das. Die Bereinigung des Unternehmensportfolios bleibe Daueraufgabe. Und die IT beweist dabei ihre unternehmerische Agilität. Das ist viel besser als abstrakt über Digitalisierung zu reden.